Die Sonntage in Kolumbien scheinen zwei Dingen gewidmet zu sein, die sich mehr oder weniger überraschenderweise herrlich kombinieren lassen – dem Bier trinken und dem Nationalsport Tejo. Entlang der mäßig befahrenen Hauptstraße Richtung Nordwesten, inmitten der Zona Cafetera, zischt und knallt es an vielen Ecken und Enden, wenn der Tejo, eine eiserne diskusförmige Scheibe die schwarzpulvergefüllten Papiertaschen trifft, die einem Eisenring in einem Tonbett aufliegen. Wer den Ring trifft und gleichzeitig eine Explosion dabei bewirkt ist der königliche Sieger der Tejo-Runde. Klingt nach Spaß? Ist es auch…
Während sich die einen vergnügen sind wir am Strampeln, Treten und Schwitzen, denn wider aller Hoffnungen und gemäß aller Befürchtungen ist auch Kolumbien ein Land, das nicht an Bergen und Hügeln spart, das aber auch nicht an Freundlichkeit und Großzügigkeit spart, die uns am Ende des Tages die Strapazen hundert Mal vergelten und vergessen lassen. Über einen eindrucksvollen Höhenrücken durch Kaffee-, Lulo- und Bananenplantagen gelangen wir in das Städtchen Riosucio, für dessen geistliches und moralisches Wohl Padre Joaquin zuständig ist. Der lebenslustige Stadtpfarrer nimmt uns großzügig in sein kirchliches Reich auf, versorgt uns mit Zimmer, Bett und Dusche und kümmert sich neben seinen Schäfchen auch um unser seelisches Wohl, indem er beim Abendessen sein komödiantisches Talent unter Beweis stellt. Beinahe sind wir versucht zu bleiben, aber wie so oft siegt die Vernunft und wir treten den steilen Feldweg in das koloniale Jardin an. Guter Dinge und vor Kraft strotzend bewältigend wir den ersten Teil de Etappe bis uns am Sattel ein Gewitter einholt, das uns im Schlamm versinken lässt und den Nachmittag und Abend zu einem mühsamen Gewaltakt verwandelt. Aber hat nicht alles irgendwie seinen Sinn, sein Gutes? Und wie so oft wird es auch uns erst nach dem Leiden bewusst, wozu es gedient hat. Abgerackert, müde, durchgefroren radeln wir auf dem bunten Hauptplatz Jardins ein und beschließen uns erst mal mit einem Tässchen Tinto zu wärmen. Weiß man nicht weiter, kann eine kurze Denkpause bei Kaffee nicht allzu verkehrt sein. Wir treffen die Übereinkunft uns erneut in kirchliche Obhut zu begeben, sofern der Wille „väterlicherseits“ vorhanden sei. Der Elan lässt allerdings bereits deutlich zu wünschen übrig und die äußere Erscheinung - schmutzig, nass und heruntergekommen - lässt wohl erahnen, dass wir hilfsbedürftig sein könnten… Diesmal ist es allerdings der „weltliche“ Vater Jardins, der uns gewissermaßen wortwörtlich am Straßenrand aufgabelt und unserem Tag eine unverhofft geniale Wendung verleiht - Bürgermeister/ Alcalde Alvaro. Sein Bruder sei ebenfalls „einer von uns“, habe fünfundzwanzigtausend Kilometer mit dem Rad bewältigt und aus dessen Erzählungen wisse er, was es heißt auf die Großzügigkeit der Mitmenschen angewiesen zu sein. Er bringt uns zum nächsten Café an der Plaza, wo sein Vater Eduardo Tinto trinkend noch nichts von seinem „Glück“ ahnt uns aber wie alte Bekannte völlig selbstverständlich und herzlich bei sich zu Hause aufnimmt. Das Glück ist uns an jenem Abend hold. Gleich zwei aus der eigenen Asche auferstandenen Phönixen, frisch geduscht schreiten wir wieder an die Plaza um Eduardo, Alvaro und Parteifreunde zu einem Schwätzchen zu treffen. Und da ist er der Glücksmoment, dessen Glücksfee Velia Vidal ist, eine Journalistin mit einer TV- Sendung, in der sie die 125 Gemeinden der Provinz Antioquia und deren Bürgermeister den Kolumbianern vorstellt. Eine Persönlichkeit im Lande. Sie ist dermaßen angetan von unserer Geschichte, unserer Reise und unseren Abenteuern und zugleich mit einem großen Herz gesegnet, sodass sie uns ohne zu zaudern zu sich nach Medellín einlädt. Ihr Mann wird telefonisch kurz eingeweiht, die Adresse und Telefonnummer notiert und die Sache ist beschlossen… Am nächsten Morgen weht uns schon der Geruch gebratener Eier mit Arepa in die Nase und wir finden Eduardo fröhlich am Herd stehen, unser Frühstück bereiten. Der Tag hält einiges für uns bereit. Wir besuchen unter Führung von Eduardo, der unsere ärztliche Profession offensichtlich sehr schätzt, das örtliche Spital, das Altersheim und werden zum Almuerzo (Mittagessen) bei seinem Sohn, dem Herrn Bürgermeister Alvaro auf Sancocho (kolumbianischer Eintopf)eingeladen. Die Nachmittagsschicht der Stadtführung übernimmt prompt Velia. In den „Dulces de Jardin“ tauchen wir in die verführerische Welt des familiär geführten Süßwarenproduzenten ein und Camilo, der Sattelmacher verleitet mich mit seinem kunstvollen Handwerk beinahe dazu einen Sattel für ein nicht vorhandenes Pferd zu kaufen. Früh genug ruft mich Christopher zur Vernunft und vereitelt meine Geschäfte. Dieses wunderbare Städtchen Jardin, mit seinen bezaubernden bunten Häusern, vor denen die Pferde wie Autos geparkt werden, und seinen entspannten liebenswürdigen und außergewöhnlich großzügigen Menschen wäre ein Ort zum Verweilen, aber wie so oft bleibt auch die Spannung auf das was folgt. Schweren Herzen verabschieden wir uns von den so schnell lieb Gewonnenen und lassen das koloniale Schmuckstück hinter uns. Entlang der tiefgrünen Kaffee-bewachsenen Hänge passieren wir ausgemergelt Arbeiter, die in den steilen Plantagen ihre tägliche harte Arbeit verrichten, um der Welt das wohlschmeckende schwarze Gold zu schenken. Je tiefer uns die Straße führt, desto mehr steigen die Temperaturen an, die Farben der Landschaft wechseln in ein warmes Ocker mit spärlicher Vegetation und zunehmender Rinderzucht. Das Land der kolumbianischen Cowboys. Behütet und beritten treiben sie ihre Herden die Straße und den Rio Cauca entlang zwischen Weiden und Fincas, hin und zurück. Wir passen dabei gar nicht so schlecht ins Bild…behütet und beritten zumindest. Santa Fe de Antioquia…das klingt doch schon nach Cowboys…soll das Ziel des Weges sein. Klein, kolonial, bezaubernd, wie so oft und dennoch anders und die Mühen wert auch über seine steinig gepflasterten Straßen zu schreiten, das Leben auf dem bevölkerten Dorfplatz zu beobachten und sich darin einen Tag oder zwei zu verlieren. So lange alles vor dem Wochenende erledigt ist. Denn dann wird das Dorf touristisch überschwemmt und vor lauter Bäumen/Menschen sieht man kaum mehr den Wald/die Stadt. Wir flüchten zeitgerecht in die Hauptstadt Antioquias - Medellin. Der Stadt eilt zugegebenermaßen ein gewisser Ruf voraus über den wir uns auf der steilen Passstraße genügend Gedanken machen können und der sich in der folgenden Woche nicht im Geringsten bestätigen wird. Im Grunde ähnelt es einem Schauermärchen, das Wirtshaus im Spessart und dergleichen fällt mir dabei spontan ein. Es ist aber die traurige und brutale Geschichte eines Mannes, der Medellin in eine der gefährlichsten Städte der Welt verwandelte. Pablo Emilio Escobar Gaviria, auch „El Patrón“ oder „Don Pablo“ genannt. Der Drogenhändler industrialisierte den Schmuggel und wurde so nicht nur zu einem der reichsten Menschen der Welt, sondern auch zum mächtigsten und brutalsten Drogenhändler der Geschichte, womit er nachhaltig und weltweit dem Ansehen des Landes Kolumbien als „Narco-Republik“ schadete. Er führte einen regelrechten Krieg gegen den Staat mit Bombenterror, Ermordungen von Richtern und Staatsanwälten und Kopfgeldern bis zu 1000 Dollar auf jeden in Medellin getöteten Polizisten. Escobar wurde letztendlich 1993 von einer amerikanisch-kolumbianischen Elite-Einheit erschossen. Zwanzig Jahre also hatte die Stadt Zeit sich auf ein geordnetes Leben einzuspielen und das mit Erfolg. In einem ruhigen Wohnviertel mit freundlichen Backsteinhäusern suchen wir zunächst unsere Gastgeber und da unsere liebe Velia noch am Arbeiten und Interviewen ist freunden wir uns zunächst mit ihrem liebenswürdigen Mann Rogelio und den zwei Katzen Sacha und Mandarina an, die ja von ihrem Glück zwar schon gehört hatten, für die wir aber bis zu unserem Auftauchen ja doch nur Gesichter lose Namen waren. Kurze Zeit später kehrt auch Velia heim, wir plaudern, sehen uns Fotos an, lernen uns eigentlich erst kennen und brechen dann spät zu einer beschwingten Nacht in einer Salsa Bar auf, in der wir über ein paar Mojitos und verhaltenen Tanzschritten unsere Müdigkeit nach einem harten Radtag völlig vergessen. Nach einem gemeinsamen Sonntagsfrühstück beginnen wir die Stadt zu erkunden…jeden Tag ein bisschen mehr ein bisschen tiefer in die Kultur und das Leben der Großstadt. Kultur, endlich nach langer Zeit ein bisschen Kultur…im Museo de Antioquia mit zeitgenössischer Kunst vor allem des großen Künstlersohnes der Stadt – Botero. Und shoppen, nach eineinhalb Jahren einige der alten und abgenutzten „Fetzten“ gegen etwas Neues austauschen. Auch das muss und vor allem darf sein. Abends lassen wir die Geschehnisses und Eindrücke des Tages gemeinsam mit Velia und Rogelio bei Salat und einem Gläschen Wein Revue passieren und so verbringen wir eine geschlagene Woche in der Stadt, bevor wir uns schweren Herzens wieder aufraffen und uns auf den Weg zurück ins Tal des Rio Magdalena machen. Medellin liegt in einem Talkessel und so erklärt es sich von selbst, dass ein Entfliehen nur über einen weiteren Pass möglich ist. Einer von vielen, vielen, vielen in der folgenden Woche. Nachdem der Weg gegen Osten führt und somit alles andere als unserem Ziel entgegen, beschließen wir zumindest den kürzesten Weg gen Osten zu nehmen, um zumindest nicht erst Recht am Ende in Bogota zu landen, das wir großzügig meiden wollten und weiterhin wollen. Das geht, sagt zumindest unsere Karte, mit dem kleinen Pferdefuß, dass dabei wieder ein beträchtliches Stück steiniger, schlechter, manchmal zu Fluchen harter und steiler Feldweg vor uns liegt. Auch wenn wir uns zuvor an die zehn Mal schon geschworen hatten, ab nun immer dem Asphalt Vorzug zu geben, so ist dann doch die Praxis meist deutlich anders und der kürzere Weg, der zumindest den Vorteil des geringeren Verkehrsaufkommens auf seiner Seite hat, gewinnt das Rennen. Gemischten Gefühls verlassen wir also die Hauptstraße, werden noch wenige Kilometer mit gutem Belag verwöhnt und poltern alsbald über Waschbrett und Steine unserem Abend und Ende des Tages entgegen. Die eine oder andere Finca am Wegesrand lädt uns zum Fragen nach einem Zeltplatz ein bis wir am Ende bei Doña Elvia um 3 mal 3 Meter ebene Erde zum Schlafen bitten und bleiben dürfen. Aber nicht auf 3 mal 3 Meter ebener Erde, denn die freundliche ältere Dame, die seit Kurzem ihr Leben als Witwe alleine bestreiten muss, ist über unseren Besuch ganz glücklich und lädt uns zu einer Nacht in Bett und dazugehöriger Vollpension ein. Fernsehabend an ihrer Seite mit kolumbianischer volkstümlichen Musik ganz selbstverständlich inklusive. Mit Absicht drängt sich einem nun ein wenig das Bild von Urlaub am Bauernhof auf…Natur pur, Pferd, Hühner und Gänse, rustikale Bleibe und Essen im Kreise der Familie. Die Idylle komplettiert die Tatsache, dass hinter der Haustüre der Dschungel zu beginnen scheint, denn blau-gelbe Guacamayos (Aras) schwirren über unsere Köpfe hinweg, Tucansillos tummeln sich in den Ästen und die Geräusche der eintretenden Nacht hüllen uns ein und entführen uns in die Träume des Waldes. Die Glühwürmchen, die sich zu uns ins Zimmer verirrt haben, tragen zur Stimmung ihres bei! Die Erholung benötigen wir dringend, auch das doppelte Frühstück am Morgen – unser traditioneller Haferschleim mit Banane und Doña Elvias hausgemachte Arepa mit Fleisch und, wie schön, Haferschleim. Gestärkt wagen wir uns also weiter vor auf dem Weg, der auf der Karte nicht mehr als eine graue unscheinbare gestrichelte Linie darstellt. Schlechtes Zeichen können wir hier versichern. Noch schlechter ist die Tatsache, dass der Weg nicht nur in miesem Zustand ist, sondern, zum Glück der Radfahrer in naher Zukunft, allerdings gegenwärtig zu unserem Nachteil, ausgebaut wird. Das bedeutet im Klartext viel Verkehr, Baustellenverkehr wohlgemerkt, viel Staub und viele erzwungene Stopps aufgrund der Arbeiten. Hinzu kommt die saftige Steigung, die wie immer unabwendbare Dauerbelästigung durch die zahllosen Hunde und der einsetzende Regen, der den Weg in ein Schlammbad verwandelt. Da kann es dann auch passieren, dass der/die eine oder andere von uns beiden einen entnervten Schrei oder ein schluchzendes Klagen von sich lässt, jede(r) nach seiner/ihrer Façon. Am Ende helfen aber weder Schreie noch Klagen, einzig ein beharrliches Treten in die Pedale, bis wieder das sanfte gleitende Fahrgefühl glatten, geschmeidigen Asphaltes einsetzt. Aber auch der übernimmt keine Garantie für Komfort. Nach einem weiteren anspruchsvollen Tag mit beinahe-Brechen des Höhenmeter-Rekordes (geleistete 1.900 hm vs. Rekordhaltende 1.903 hm) würden wir uns aber genau den zumindest im Ansatz wünschen. Nichts da, nur die harten kommen durch. Also landen wir im Zelt, eh eigentlich normal, aber sehr sehr ungemütlich, wenn ein Jahrhundertgewitter über uns nieder geht, die Blitze uns in die Luft zu sprengen drohen und das mit ohrenbetäubenden Donner untermalen, die die Erde unter uns erbeben lassen. Das Schlammbad um uns herum und der See, der sich im Zeltinneren bildet (zum Glück schlafen wir auf Luftmatratzen) erscheint uns in jener Nacht noch das geringste Problem. Für uns gibt es zum diesem Zeitpunkt zwei Möglichkeiten – A: der Blitz erschlägt uns, B: wir ertrinken jämmerlich in den Wassermassen. Und doch tritt keines von beiden ein, wir erwachen morgens, zwar mit dicken und dunklen Augenringen, aber lebend. Zudem blinzeln uns ein paar schüchterne morgendliche Sonnenstrahlen versöhnlich entgegen und entschuldigen sich für den klimatischen Wutausbruch der vergangenen Nacht. Es sei verziehen. Ausnahmsweise. Ist ja auch nichts passiert. Aber… Endlich erreichen wir nach einer harten Woche und einem Radversagen des armen Tigre (Freilauf kaputt) das pittoreske Villa de Leyva, seines Zeichens koloniales Schmuckstück im Norden Bogotas und unser lang ersehntes und endlich erreichtes Zwischenziel. Zeit sich wieder einmal etwas zu gönnen, sich richtig zu verwöhnen und siehe da, eine französische Bäckerei mit auf der Zunge zergehenden Leckerbissen, lässt unser Herz höher springen und den Gaumen jubeln. Außerdem wird auf einer kleinen Plaza samstags der Wochenmarkt abgehalten auf dem so ziemlich jede Frucht und jedes Gemüse feilgeboten wird, das man sich vorstellen kann. Eine Explosion an Farben, Gerüchen und Geschmäckern und unmöglich sich nicht am Ende der Runde mit zehn verschiedenen Säcken voll mit diversen Einkäufen wiederzufinden. Nebst dem Feilschen und Fragen, Kosten und Schmecken ist auch das eine oder andere Gespräch mit den Marktleuten ganz nett und interessant und lässt den Vormittag fliegend vorüberziehen. Mehr und mehr erkennen wir auch, was uns von den übrigen Touristen unterscheidet. Haben wir endlich ein Ziel erreicht, steht uns so gar nicht mehr der Sinn nach vielfältigen Ausflügen, Bikes Ausborgen, Dinosaurierknochen oder Ähnlichem. Am glücklichsten sind wir beim Faulenzen, Stadt Erbummeln und uns kulinarischen Genüssen Widmend. Denn der Weg hält für uns die größten Erlebnisse und Abenteuer bereit, sodass das Ziel nur mehr den abschließenden körperlichen Lohn bietet. Klingt komisch, is aber sooooo. Der Weg führt nun endlich wieder einmal für ein paar Tage nordwärts. Fast schon erweckt es den Eindruck dass wir dieser Himmelsrichtung ausweichen, um das Ziel noch etwas fernzuhalten. Aber nur allzu selten ist der gerade Weg der beste. War die Landschaft zwischen Medellin und Villa de Leyva grün und fruchtbar, mit dichter Vegetation und viel Niederschlag, so setzt sie sich nun trocken und karg fort. Der Zuckerrohranbau dominiert über weite Landstriche das Bild, Maulesel schleppen die geschnittene Caña zu hohen Schornsteinen, die weithin sichtbar Panela-fabriken (Rohzucker) kennzeichnen. Im Flusstal auf und ab bewegen wir uns Richtung San Gil, das hochgepriesene Outdoor-Mekka Kolumbiens. Biken, Trekken, Rafting, Canyoning, Paragleiten, was das Abenteurer-Herz begehrt wird hier offeriert. Wir begehren vorerst gar nichts, außer dem Üblichen…Ruhen und Essen und dem Anlass und Datum entsprechend Christophers 36sten Geburtstag ausgiebig zu feiern. Sogar mir selbstgebackener Torte, naja, Kuchen - aus der Mikrowelle, aber ist es nicht der Wille der schlussendlich zählt? Die Outdoor-Atmosphäre, die zugegeben wie ein Damoklesschwert über uns schwingt, zieht uns letztendlich in ihren Bann und wir entschließen uns zu einem Perspektivenwechsel. ES soll den Horizont gewaltig erweitern und das tut es auch… Wir stehen am Abgrund, kein senkrechter, aber früher oder später geht’s nach wenigen Schritten an die tausendvierhundert Meter in Tiefe des Cañon de Chicamocha. Hinter uns steht jemand, nicht zum Schubsen, nein unser Paragleitpartner, der uns in wenigen Augenblicken, sobald die Thermik stimmt mithilfe des gewaltigen Schirmes über uns in die Lüfte bringt. Plötzlich kommt die Anweisung loszulaufen und nach wenigen Schritten erfasst uns der austeigende Wind und lässt und lautlos und sanft und den gewaltigen Canyon schweben. Unter uns werden die Häuser klein, die Menschen kleiner und alle Gedanken oder Sorgen verschwinden im Glücksgefühl des Fliegens. So leicht, so schwerelos gleiten wir mit den Vögeln in den Lüften, mal hinauf, mal leicht hinunter, bestaunen das rege Treiben auf der geschlängelten Straße unter uns und entschwinden für eine halbe Stunde der Realität des Erdbodens. Das Hochgefühl bleibt, denn als wir zurückkehren nach San Gil ist unser lieber Freund Arnaud eingetrudelt, um die letzten gemeinsamen Tage auf südamerikanischem Boden zu verbringen und unsere Freundschaft noch einmal zu besiegeln (wenngleich das längst geschehen ist). Mit ihm lassen wir uns sogar zu einem weiteren Ausflug hinreißen, Barichara, ein weiteres koloniales Wunder und Schauplatz kolumbianischer Seifenopern. Eben fast zu schön, um wahr zu sein. Mit der Gewissheit, uns erst in Europa wiederzusehen, wird er Abschied lang und schwer und der Wunsch noch einmal gemeinsam zu radeln groß. Aber unsere Wege trennen sich und führen bestimmt alsbald zu Hause wieder zusammen. Adios Arnaud, merci pour tout!!! Gracias!!! Danke… War nett J Wir holen also zum scheinbar letzten Kapitel aus. Die Küste liegt vor uns und bei zügigem Fahren, sollten wir in eineinhalb Wochen bereits karibische Luft einatmen, Kokosnüsse wie Wasser trinken und uns im türkisen Meer und am weißen Korallenstrand rekeln. Ja, ja... Zunächst wechseln wir wieder die Perspektive und bezwingen den bereits „erflogenen“ Cañon de Chicamocha auf dem festen Erdgrund. Rauf, runter, rauf, was bei einem Radiojournalisten derart Anklang findet, dass er neben der Straße ein Interview mit Christopher führt und ihn vielleicht zum Star des Radio Santander macht. Angebote werden gerne entgegengenommen. Wie ein alter Hase beantwortet er bereits spielend alle Fragen, wo wir herkommen, wo wir hinwollen, wie viele Kilometer etc. etc. etc. haben ja auch oft genug geübt (so circa zehn Mal am Tag!) Nach einem langen Tag, in strömendem Regen, auf Herbergssuche werden wir wieder einmal von der grenzenlosen Gastfreundschaft Kolumbiens überwältigt. Brenda, eine lebensfrohe lustige Frau mit strahlenden Augen nimmt sich unser an und beherbergt uns in ihrem kleinen Haus für eine Nacht, bewirtet uns mit Abendessen und Frühstück und gibt uns das Gefühl eine lange nicht gesehene Tante zu besuchen. Uns wird aber auch bewusst, dass nicht nur wir begeistert sind über solche Begegnungen. Durch unsere Erzählungen und Geschichten, von Europa und zu Hause, von unseren Abenteuern und Erlebnissen, lassen wir die Menschen an unserer Welt teilhaben und sie darin ein kleinwenig mitreisen. Das macht auch sie glücklich. Auch Brenda wünscht sich einen Tag länger mit uns, aber der Ruf der Karibik ist längst allzu laut und deutlich. Bis auf einen kleinen Umweg, der sich aber schwieriger und länger gestalten sollte, als erwartet… Die Straße wird nach Langem erstmals vollends eben und teils pfeilgerade. Reizlos und heiß. Brütend heiß. Wir trinken an die fünf Liter pro Tag und dank einer hunderte Kilometer langen Autobahn Baustelle werden wir von den freigiebigen Arbeitern regelmäßig mit kaltem Wasser und Rehydrierungs-Drinks versorgt. Juvenal wiederum versorgt die Arbeiter mit Mittagessen und Säften und erbarmt sich unser beim Vorbeifahren, hält prompt an und reicht uns zwei warme vollständige Mahlzeiten und kalte Säfte. Dafür schenken wir ihm eine halbe Stunde im Schatten, um über Gott und die Welt, vor allem aber über Kolumbien, die Reise und Europa zu plaudern, sehr gerne sogar. Am Abend fängt er uns an der Straße in der nächsten Stadt ab und bringt uns in ein Hotel, dass er uns bereits organisiert und bezahlt hat….So manches Mal kommt uns ein schlichtes Danke kaum mehr angemessen vor für die Großzügigkeit, die uns so oft entgegengebracht wird. Als weiteres Highlight des Tages wurde noch die 15.000 km Marke überradelt, Hurra!!! Erwähnten Abstecher planen wir während der Etappe spontan und soll uns über weite Umwege nach Mompos führen, eine koloniale Insel am Rio Magdalena, die während der Kolonisation ein blühendes Handelszentrum am Fluss darstellte. Zum ersten Mal macht uns die Gesundheit einen echten Strich durch die Rechnung und des Morgens im Hof des Pfarrhauses zu Tamalameque wird Christopher von derartigen Bauchschmerzen geplagt, dass ein Spitalsbesuch, so man das spärlich eingerichtete Gesundheitszentrum so nennen mag, nicht mehr zu umgehen ist. Eine Appendizitis? Der ist noch drin, ja, und einiges deutet darauf hin, dass das Würmchen raus muss. Wir malen uns schon die OP aus, die Länge des Krankenhausaufenthaltes, die notwendige Ruhephase danach, doch das Labor spricht eindeutig dagegen. Konservative Therapie und Ruhe werden verordnet, hierunter leichte Besserung der mysteriösen Beschwerden, und so gelangen wir verzögert und per Boot in das mystisch-romantische und geschichtliche Nest Santa Cruz de Mompox, dass trotz einiger kleinerer architektonischer Wehwehchen und abgefallenem Putz die gute alte Zeit widerspiegelt. So steht die letzte Etappe doch noch vor uns, aber ganz deutlich vernehmen wir ihn, den Ruf der Karibik.
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November 2014
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