Ganz plötzlich, beinahe ein wenig unvorbereitet verwandeln sich die gruenen Wälder in ein endloses, nahtloses Gefuege an Mauerwerk, Stahl und Beton. Die Suburbs New Yorks sind wahrscheinlich allein ein Abenteuer fuer sich, dass wir wohlgemerkt kurz halten wollen, nicht zuletzt weil man uns schon Tage zuvor davor gewarnt hatte. Das groesste Abenteuer besteht erstmals darin, die voellig verwahrlosten Greenways zu finden, die uns sicher ueber die Autobahnbruecken bringen sollen. Waehrend wir gegen Buesche und Muell nebst grollendem Schwerstverkehr kaempfen, zeichnet sich am Horizont der wahre Dschungel der Grossstadt ab. Kurz verweilen wir im Liberty State Park, nahe dem Hafen von New York mit einem Picknick im symbolischen Schatten der Libertas, der römischen Göttin der Freiheit. Es koennte kein treffenderes Monument fuer unser Ziel geben, die Allegorie der Freiheit, die fuer jeden Auswanderer nach 1886 die Ankunft in der neuen Welt markierte und unser Ende am amerikanischen Kontinent besiegelt. Die Zeit drängt, die Fähre, die uns ans suedliche Ufer Manhattans bringen soll wartet nicht auf zwei Radfahrer, dennoch, ein Moment des Innehaltens und der Reflektion, ein Augenblick Ergriffenheit sei uns gegönnt. Emotionen und Gedanken schwanken zwischen Stolz und Freude, Wehmut und einem Hauch beginnenden Abschiedsschmerz. Gehupe, rasant wechselnde Ampeln, geschäftiges Treiben auf und neben der Strasse entreisst uns der romatischen Verklärung und fuehrt uns in die Umtriebigkeit des Big Apple ein. Auf dem Greenway (Radweg) entlang des Hudson Rivers Richtung Upper Manhattan soll eine zufällige Begegnung unseren gesamten New York Aufenthalt in ein aussergewoehnliches und unvergessliches Erlebnis verwandeln. Thurstan Bannister, seines Zeichens Brite und Finanz-Irgendwas scheint sichtlich beeinrduckt von unserem bepackten Erscheinen zu sein und lädt uns zu einer Radfahrer Soiree in seinem Apartment. Wenn wir etwas gelernt haben in den vergangen Monaten der Reise, dann Spontanität und Zuversicht, dass es nur etwas zu gewinnen, kaum etwas zu verlieren gibt. So fuehrt eins zum anderen, wir werden zum Mittelpunkt der Party und Champagnerkorken knallen zur Feier unserer Ankunft. Isn't that something... Chandler, unser Gastgeber (warmshowers ueber Ecken und Enden und Freunde) waehrend der ersten Tage ermoeglicht uns einen besonderen Blickwinkel auf die Stadt, indem er uns an zwei seiner gefuehrten Stadttouren teilnehmen lässt, die sich allesamt um die Kulinarik New Yorks drehen. Eine Brooklyn Tour mit BBQ, Bagels und Pizza, gefolgt von einem suessen Nachschlag am Folgetag, an dem wir Greenwich Village anhand von Cupcakes und Cookies erkunden und geniessen. Gestaerkt besteigen wir nun wahrlich zum letzten mal unsere treuen Rösser und verlagern unsere Bleibe in die Nähe des Central Parks, Adresse Thurstan, "Englishman in New York" in vielen Facetten und vor allem inzwischen ein unvergesslicher und guter Freund, der unsere Entdeckungsreise New York mit allerlei Sightsseing Extravaganzen spikt...Stadtueberblick aus dem geschatzt 50. Stockwerk seines Hedge Funding Bueros am Puls des Financial Districts, Amateur Night im Apollo Theater - Harlems Mutter aller Talenteshows, Spaziergang entlang der Highline - ehemals "Life Line", entlang derer Fleisch und Milchprodukte im Metapacking District transportiert wurden, heute umfunktioniert zu einem aussergewöhnlichen "Hoch"-Park mit spannender Vogelperspetive auf das Treiben der Strasse. Keine brittische Empfehlung, aber nicht weniger extravagant fuer unseresgleichen ist eine Nacht im Stadion der New York Yankees, die gegen die Texas Rangers ihre Baseball-Ehre verteidigen. Umgeben von tausenden eingefleischten Fans stehen wir in den Zuschauerreihen und lauschen andächtig der Nationalhymne, bevor die Schlacht am Spielfeld beginnt, die weit weniger "blutig" und barbarisch ist als angenommen. Fuer einen Nichtkenner ein nahezu langweiliger Sport, wäre nicht ein enthusiastischer Yankee Anhänger unser Banknachbar, der uns geduldig in die Grundregeln des Spiels einweiht und besondere strategische Spielzuege und andere spannende Verlaeufe fuer uns kommentiert. Allein das Ambiente im Stadion, das Anfeuern der Menge, die akzentuierte musikalische Untermalung, das Meisterwerk an Merchandising sorgt fuer einen unterhaltsamen und originellen Abend. Anfängliche Bedenken zu viel Zeit in der pulsierenden Metropole zu haben sind am Tage unserer Abreise gänzlich zerstreut, als wir mit Thurstan eine letzte Runde ueber den Campus der Columbia Univeristy drehen, um auch diesen Punkt seiner endlosen "Empfehlungsliste" abhaken zu koennen. Romeo und Julia im Ruecksitz vortragend (Agnes die Julia, Thurstan der Romeo), werden wir zum Flughafen kutschiert und persönlich verabschiedet in der Gewissheit einen guten Freund in New York zu wissen, dem wir unseren wunderbaren Abschluss einer unvergesslichen USA Tour verdanken. Erneut ein Anflug von Wehmut, eine symbolische Traene, die ueber unsere Wangen huscht, aber im Meer des Lachens untergeht. Danke an alle fuer alles! Danke fuer all die Freundlichkeit, die Grossherzigkeit, die spontanen Unterkuenfte, Esseneseinladungen, die inspirierenden Gespräche und Freundschaften, danke euch alle, die ihr ein Leben lang einen besonderen Platz in unseren Herzen einnehmen werdet.
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Liebes Tagebuch!
Wir stehen 30 Meilen vor New York City, halten einen letzten Rasttag nach zehn unermüdlichen Tagen durch die hügeligen Wälder und Wiesen Pennsylvanias. Das Ende einer Etappe ist nah - das Ende unserer Odyssee, ein Epos unserer Biographie hat somit den Zenit der verfügbaren Zeit längst überschritten. Oft blicken wir sehnsüchtig in die Zukunft, visualisieren unsere Heimkehr und die Freuden des Wiedersehens. Öfter noch driften wir in die Vergangenheit der letzten zwei Jahre ab und schwelgen in unauslöschlichen Erinnerungen… Es ist der 23. Juni, unser zweiter Hochzeitstag, ein untrügliches Zeichen wie sehr die Zeit vorangeschritten ist. Bisher eine Ehe auf zweimal zwei Rädern, ein besonderer Einstieg in eine gemeinsame Zukunft mit Proben und Prüfungen, die einem herkömmlichen Alltag kaum oder vielleicht auch nur ganz anders entspringen würden. Wir begehen den Tag mit einem feudalen Frühstück und der Überquerung des Mississippi River an beinahe jener Stelle, wo Mark Twain zu seinen Geschichten und Abenteuern von Tom Sawyer und Huck Finn inspiriert wurde. Die anschließenden Meilen werden allerdings weniger inspirierend als erhofft. Mais und Sojabohnen, Sojabohnen und Mais, mal rechterhand, mal linkerhand….den lieben langen Tag nichts als Sojabohnen und Mais. Die Monotonie wird ab und an durch eine schmucke rote Scheune oder ein kleines Städtchen unterbrochen. Vor allem aber sind es die Menschen, die hier unsere Tage zum Erblühen bringen. Egal wie schwer uns ein Tag fällt, wie wenig Abwechslung es geben mag oder wie sehr uns das mehrheitlich schlechte und feuchte Wetter plagt, am Ende des Tages gibt es immer einen Menschen, der uns zu Hilfe eilt, uns einen Schlafplatz anbietet, mit Essen versorgt oder eine heiße Dusche organisiert. Am Morgen keinerlei Idee davon zu haben, wo man am Ende des Tages landen, wem man begegnen und wie man die Nacht verbringen wird, ist eines der größten Abenteuer im langen, weiten und endlos scheinenden Midwest. Mal schnarchen wir friedlich zwischen liebevoll restaurierten Oldtimer Autos, eine andermal frühstücken wir wie alte Freunde am Sonntags-Morgentisch Pancakes und Sirup, wieder ein andermal schickt uns ein Mountainbiker durch seine Drive-thru Pizzeria, um uns mit einem außergewöhnlich schmackhaften Abendessen zu verwöhnen …eine Liste die sich endlos fortsetzen ließe. Langsam aber sicher lassen wir die flachen Staaten hinter uns, erste Milchfarmen und Getreidefelder lassen unsere Herzen höher schlagen und dankbar bezwingen wir wieder den einen oder anderen Hügel, ein Perspektivenwechsel, nach welchem wir uns nahezu gesehnt hatten. Zulasten der Kilometer steigen die Höhenmeter, was aber dennoch nichts an der Tatsache ändert, die uns subtil und langsam ins Bewusstsein dringt. Wir waren zu schnell, haben zu viel Zeit und zu wenig ausstehende und zu bezwingende Distanz zu unserem Ziel New York, Big Apple, Stadt, die nicht schläft. Was tun? Ruhen? Umwege suchen? Canada? Niagara Falls? Die Möglichkeiten erscheinen endlos und doch begrenzt, woraus resultierend wir uns erst mal etwas nordwärts Richtung Eriesee orientieren, um eine weitere Entscheidung an den Ufern des gro0en Sees zu treffen. Was uns nicht bewusst ist, es dauert bis man überhaupt ein Ufer erreicht, denn über weite Strecken ist die südliche Küste ein riesen unzugängliches Schwemm- und Sumpfland oder aber industriell verbaut. Spätestens als wir ein Atomkraftwerk passieren fühlen wir einen Anflug von Enttäuschung über die doch etwas andere Seenerfahrung, als erhofft. Aber wer wird denn gleich den Kopf hängen lassen. Industrie hat auch seine Vorteile, wenn daraus zum Beispiel einer der größten Amusement Parks der Welt hervorgeht – Cedar Point. Zumindest das lassen wir uns nicht entgehen und verbringen einen Tag Kopf-über hängend, an kleine Wägelchen gekrallt oder schreiend in einem der unzähligen Rollercoaster auf der Halbinsel des Eriesees. Das bringt uns in die richtige Laune zum Feiern, der 4. Juli = Independence Day steht bevor und schon am Morgen warten einige Leute gespannt auf die anstehenden Paraden. Die Geschäfte quellen nahezu über mit rot-blau-weißen Fahnen, Keksen, Kuchen, Servietten, Papptellern, Chips…unglaublich was man so alles in rot-blau-weiß einfärben kann. Wir dürfen uns an diesem Abend Gäste von Dr. Dave und seiner charmanten Frau Donna nennen, die uns ein herrliches Dinner zaubern und fast auf das Feuerwerk im Herzen der Collegestadt Wooster vergessen lassen. Geographisch befinden wir uns im Osten Ohios und nun beginnt es sowohl landschaftlich als auch kulturell wieder interessant zu werden. Ein wenig eigenartig, dass man sich als Radfahrer in den Bergen wohler fühlt, als in der Ebene… es sei dahingestellt welche genauen Beweggründe es dafür gibt. Mittlerweile scheint es zu einer routinierten Antwort geworden zu sein, dass wohl ein Mindestmaß an Leid für ein außergewöhnliches Erlebnis nahezu unerlässlich zu sein scheint. Seis drum, Pennsylvania ist der Bundesstaat der Apalachen und entsprechend mehr an Anstrengung erfordert die Überwindung der weiteren Meilen. Thematisch reiht sich das Gebiet sehr passend an unser Funpark Erlebnis an - auf und ab und auf und ab und das nicht allzu knapp und vor allem sehr steil. Steigungen bis zu 13% sind keine Seltenheit und in Kombination mit einer durchschnittlich 100 Kilometer Distanz spüren wir den Unterschied recht deutlich. Nichts geht da über ein wenig Ablenkung und die bietet uns eine für uns völlig fremde und spannende Kultur. Die Amischen sind eine Glaubensgemeinschaft, die sich dem technischen Fortschritt in vielerlei Hinsicht vollkommen verschlossen hat, was zu einem ambivalent kontrastreichen Bild führt. Straßenschilder weisen auf das vermehrte Aufkommen von Pferdekutschen hin, die man bei genauerem Hinsehen in den doch modernen Garagen oder auf den Straßen erspähen kann. Männer tragen einen charakteristischen Bart mit freigelassener Oberlippe, dazu einen Strohhut und einen Haarschnitt, den man wohl einfach als Topffrisur bezeichnen könnte. Die großen Farmen werden oft mit einfachsten Mitteln bewirtschaftet, Pferdegespanne und Handarbeit stehen an der Tagesordnung und die schmackhaften Produkte werden auf den Bauernmärkten oder an der Straße feilgeboten. Da müssen auch wir uns eindecken und werden von einem geschäftstüchtigen Amischjungen freundlich bedient. Obwohl die Lebensweise dieser Menschen so fremd auf uns wirkt - ein wenig fühlen wir uns wie in einem Filmset- weckt sie dennoch auch eine gewisse Sehnsucht nach einem einfachen und unkomplizierten Leben. Als wir allerdings auf einer dieser Farmen um ein Fleckchen zum campen bitten, merken wir wie fern wir dieser Kultur sind und die Welten die uns trennen. Wer für wen exotischer war bleibt dahingestellt, auch ob wir mit schwerst bepackten Rädern als typische Vertreter unserer Kultur gelten... Zeltplatz gabs jedenfalls keinen. Der Osten ist hügelig, grün und baumreich. Wann immer wir eine der endlosen Anhöhen erklommen haben bietet sich ein weites Panorama über die Wälder, die bis an den Horizont reichen. Nach Langem bietet sich wieder einmal die Gelegenheit in einem der National Forests auf einer weiten Lichtung inmitten des Waldes zu campen. Ein idyllischeres Fleckchen könnte man sich kaum wünschen. Während wir am kleinen Lagerfeuer sitzen und meditativ in die züngelnden Flammen starren betreten zwei Hirschkühe die Wiese, beobachten unser Lager und verabschieden sich alsbald auf die Nachbarlichtung, wo sie ungestörter ihr Nachtmahl zu sich nehmen können. Während die Sonne hinter den Baumwipfeln verschwindet und der Mond in seiner vollen Pracht seinen Auftritt vorbereitet, bieten Millionen an Glühwürmchen ein besonderes Schauspiel. Bei anbrechender Dämmerung beginnen sie mit synchronem Aufblinken einen Lichterteppich zu bilden, der beinahe bis an den Horizont reicht. Ein wahrhaft märchenhafter Tanz, der uns magisch in seinen Bann zieht und verzaubert. Was Pennsylvania allerdings und leider keineswegs vom Midwest unterscheidet, ist die wiederholt recht angespannte Wettersituation. Jeden zweiten Tag versuchen wir einem der zahlreichen Gewitter zu entfliehen, werden vor Tornados gewarnt oder schlicht und einfach bis auf die Unterwäsche von heftigen Schauern durchnässt. Es sollte an unserem letzten Tag sein, den wir auf unserer West-Ost Tour campend verbringen, an dem uns ein besonderes Abenteuer wach hält…Die Szene spielt unter einer Highway Brücke, die Protagonisten sind klar, die Kulisse bildet ein unscheinbarer kleiner und nicht sehr wasserreicher Bach, der gemächlich unter der breiten Brücke seines „Weges“ fließt und damit wahrlich keine große Aufmerksamkeit erregt. Klingt eigentlich recht beschaulich und in Anbetracht der Tatsache, dass unzählige Trucks und Autos über unsere Köpfe hinwegrollen, ein friedliches Plätzchen. Wir baden im Bach, genießen ein verführerisches Campingdinner alla Instantnudel in feiner Zucchini-soße und betten alsbald unsere müden Körper und Köpfe auf den weichen Matratzen, die schon so vieles mit uns durchgemacht haben. Es beginnt zu blitzen, zu donnern und heftigst zu regnen und noch freuen wir uns über das doppelte Dach (Hugo und Brücke), das uns diese Nacht bestimmt trocken halten wird. Man nennt den nächsten Umstand, der uns aus dem Zelt blicken lässt, wohl Bauchgefühl. Das schmächtige Rinnsal muss binnen kürzester Zeit zu einem reißenden Fluss angeschwollen sein und droht all unser Hab und Gut in seinen Fluten fortzuschwemmen. Wir schnappen Hugo, der bereits zur Hälfte im Wasser steht und schleppen ihn auf einen dicht bewachsenen Hügel, schaffen die Räder aus der Schusslinie und fischen in den Wassermassen was es da zu fischen gibt…Kocher, Pfannen, Straßenkarten, Schuhe… Eine Pyjamaparty der besonderen Art, deren einzige zu beklagende Opfer ein Pfannenwender, ein Kaffeebecher und ein Radhandschuh sind. Es möge ihnen gut gehen wo sie gestrandet sind… Es verbleiben drei Tagesreisen bis New York, die wir dank „warmshowers“ (Organisation für Beherbergung zwischen gastfreundlichen Radreisenden) auch ohne Hugo überbrücken können. Ein Tag näher am Ziel, ein Tag weniger des Weges. |
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November 2014
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