Die Mittagssonne steht hoch über uns, eine dichte Glocke aus Smog umhüllt das Meer aus grauen Wohnblöcken und erlaubt uns nur die Silhouette der umliegenden Berglandschaft zu erahnen – wir sind in der Hauptstadt Santiago. Ein Gewusel und Gewirr aus Verkehr und geschäftigen Menschen, aber durchaus auch Ort, um die Annehmlichkeiten einer Metropole in etwas gemütlicherem Ambiente auskosten zu können. Wir erledigen ein paar Einkäufe für Mariposita und El Tigre, verwöhnen uns mit einem romantischen Abendessen und verabschieden uns alsbald, um eine weitaus gefälligere Stadt zu besuchen. Valparaíso, viel besungen (zumindest zweimal) und ein vielversprechend klingender Name…aus der Ferne ein Meer aus bunten, teils windschiefen Häuschen, die sich von den vielen Anhöhen bis an die Küste schmiegen. Aus der Nähe eine köstliche Melange aus authentischem, etwas schmutzig verruchtem Hafenstadt-Flair, Künstlerszene mit imposanten Graffitis sowie Cafés und Bars im Boho Chic. Eine besondere Eigenheit sind die vielen altertümlichen Ascensores (=Aufzüge), die einem das Treppensteigen ersparen und zu wunderbaren Aussichtspunkten über Stadt und Bucht führen. Dieser bunte Schmelztegel beschert uns ein paar entspannte und kunterbunte Tage, bevor wir erneut in die Pedale treten und die Küste entlang (natürlich) nordwärts starten. Vian del Mar, Concon, Zapallar…das sind die Seebäder, die die Reichen und Schönen ansprechen, weniger aber uns. Umso mehr imponiert uns dessen ungeachtet die Küstenstraße, die unbeschreibliche Ausblicke auf den Ozean bietet. In einem eifern wir dann aber doch der Hautevolee nach, auch wir bauen unsere kleine Villa Hugo hoch über dem Pazifik thronend in die Klippen und genießen ein unvergessliches Panorama mit selbstverständlich dazugehörendem Dinner bei Sonnenuntergang. Der Weg führt uns zurück auf die Panamericana, die teils noch die Küste entlang verläuft und uns nach und nach, hügelauf und –ab, in immer kargere Gefilde führt. Die Versorgungsstationen werden rarer, die Landschaft wird geziert von Kakteen, Steinen und malerisch auf den Anhöhen ruhenden Windrädern, die mächtig und doch grazil leise ihre Arbeit verrichten. Über Höhenzüge mit grandiosem Weitblick und durch tiefe Täler bereitet uns die Etappe konditionell und landschaftlich mehr und mehr auf das große vor uns liegende Projekt vor – die Atacamawüste…Doch halt, so weit sind wir noch nicht ganz. Wir verlassen die verkehrsreiche Ruta 5 und biegen in das Valle Rio Hurtado (Hurtado Flusstal) ein. Der Weg schlängelt sich zunächst mit leichter Steigung in das Tal hinein, die Ortschaften bestehen nur noch aus wenigen Lehmhäusern und sind dünn gesät. Gegen Talschluss wird es für uns zunehmend steiler, der Weg holpriger und die Landschaft einfach grandios. Ein fast paradoxer Anblick bietet sich uns – die Ebene sattgrün mit Weingärten, herbstlich gefärbten Pappeln, Zitrusfrüchten und Feigen, die umliegenden Berge komplett karg und steinig. In Serpentinen winden wir uns über einen 2000 Meter hohen Pass und erblicken in der Ferne die ersten Observatorien, die uns allein bei ihrem Anblick Ehrfurcht einhauchen. Auch für Geologen bietet sich ein spannendes Gemälde, der Boden leuchtet in den verschiedensten Farben von grün, gelb bis rot und offenbart auf diese Weise seinen Reichtum an Bodenschätzen…Wir genießen eine eindrucksvolle Abfahrt durch dieses zauberhafte Land und gelangen in das Valle Elqui, wo das Herz des chilenischen Nationalgetränkes gebraut wird, der Pisco. Eine lehrreiche Tour durch die Pisqueria CAPEL mit abschließender Verkostung wollen wir freilich nicht verabsäumen…Zurück Richtung Westen wird das Tal weiter, Papaya-Plantagen und Feigen gestalten die landschaftliche Umrahmung, bis wir wieder an der Küste anlangen und in Coquimbo bei Leonardo und seiner Familie herzlichst aufgenommen und umsorgt werden. Mit ihm beginnen wir die Planung für ein außergewöhnlich spannendes und interessantes Projekt…durch die Wüste zu den Sternen…Cerro Paranal. Vor uns liegen fast tausend Kilometer über zahlreiche Höhenrücken und durch die trockenste Wüste der Erde, die Atacama, die in vielen Teilen noch keinen Tropfen Regen gesehen hat. Täglich gilt es tausend oder mehr Höhenmeter zu bezwingen und Wasser für meist zwei Tage (6-12 Liter/Rad) zusätzlich zu unserem gewöhnlichen „Marschgepäck“ zu schultern. Man möchte meinen, da komme die Einladung eines Camioneros (Lastwagenfahrer) scheinbar genau recht, uns ein paar Kilometer über einen vor uns liegenden Berg zu befördern – dankend lehnen wir ab, wir sind mittlerweile zu wahren ciclo-aventureros (Rad-Abenteurer) avanciert. Wir geben erneut der Küstenstraße den Vorzug, wodurch wir uns Wind, aber auch wunderbare Fernblicke und reizvolle Zeltplätze erkaufen. Es fehlen nur noch wenige Tage bis zum 18.Mai, unserem Besuchertermin in Paranal, die Wüste lässt sich nicht mehr wegdiskutieren und vor uns liegen noch 2600 Höhenmeter bis zum Observatorium. Wir beladen Mariposita und El Tigre mit Proviant für mehrere Tage, 10 Litern Wasser und als Rad-Schwerstverkehr treten wir die letzte Etappe unseres Abenteuers von der Küste weg in Richtung Sierra del Muerto (Gebirgszug des Toten) an. Bei einer Steigung von 9-11% kommen wir rasch ins Schwitzen und Schnaufen, können dafür bis zum Sonnenuntergang auf 1600 Höhenmeter hochklettern. Die Landschaft entlohnt uns für alle Mühen, auf einer Anhöhe mit 360° Rundblick bewundern wir die Mars-ähnliche Umgebung mit den rötlich gestreiften kargen Höhenrücken. Nach einem weiteren Radtag und einer letzten Kletterpartie erspähen wir in der Ferne auf dem „Gipfel“ des Cerro Paranal die silbrig glänzenden Gehäuse, die die kräftigsten Teleskope der Welt – Very Large Telescopes – beherbergen. Nach allen Strapazen und beinahe drei Wochen an Planung ein magischer Moment. Wir nächtigen in unserem Hugo wie in der Kaiserloge, über uns der südliche Sternenhimmel, wie man ihn kaum wo klarer und imposanter bestaunen kann, neben uns der berühmte Nachbar, das Observatorium. Der Morgen der Führung beginnt mit einem Schock – ein hungriger Wüsten- Fuchs hat Maripositas Packtaschen angeknabbert und beinahe sämtliche Vorräte an Keksen, Brot, Feigen – notwendig für die verbleibenden 130 Kilometer bis zur nächsten Versorgungsmöglichkeit- des nächtens vernascht. Man muss uns wohl unseren Kummer angesehen haben, denn Luis, der liebenswürdige Wärter am Portal verwöhnt uns mit Kaffee und Broten und die reiselustige Familie Kain aus Dänemark beschenkt uns reichlich mit Keksen, Nüssen und Cornflakes, die ein sorgenfreies Weiterradeln garantieren. DANKE an alle!!! Die Spannung steigt, im Konvoy werden wir zu den Teleskopen chauffiert. Eines der gigantischen VLTs besichtigen wir von innen - die Spiegel messen 8.5 m im Durchmesser, sind 18 cm dick und wiegen an die 4.5 Tonnen. Jede klare Nacht wird observiert und ein riesiges Team an Astronomen, Ingenieuren und Technikern steckt hinter dem Zauber dieser Forschungseinrichtung. Ein gewaltiger Anblick, sowohl das Teleskop, wie auch die gesamte Plattform, die im Licht der Sonne majestätisch erhaben leuchtet. Den ganzen Abend begleitet uns der Zauber des Tages und wird geziert durch die Gestirne des unermesslichen Kosmos, der uns umgibt. Problemlos gelangen wir in die nächste Stadt, um Wegzehrung für den nächsten Abschnitt ostwärts zu besorgen. Es geht über den Wendekreis des Steinbockes endgültig in die Tropen, was wir mit einem Mango Cocktail gebührend feiern, und der weitere Pfad entführt uns ein Stück in die Vergangenheit. So zum Beispiel in dem kleinen Örtchen Baquedano, wo antike Lokomotiven und Waggons staubig in der Remise abgestellt sind, als würden sie jeden Moment losdampfen. Der Wind heult durch die umgebenden Bretterbuden und für das komplette Wild West Feeling fehlt nur noch ein Mundharmonika Ständchen und ein paar Cowboys, die in weitem Bogen aus dem Saloon fliegen. Sehr spannend…Weiter entlang der Panamericana erreichen wir Chacabuco. Es beginnt eine Zeitreise, als im Norden Chiles der Abbau von Salpeter Reichtum brachte. Heute ist die einstige Salitrera eine Geisterstadt. Anfang des 20. Jahrhunderts arbeiteten, lebten und starben hier die Minenarbeiter. Es gab Theater, Schule, Sportanlagen, Krankenhaus, Bäcker und einen Laden und ein gesamtes Arbeiterleben spielte sich auf wenigen Hektaren innerhalb der Mauern der sogenannten “Oficinas“ ab. Um uns in diese Welt hineinversetzen zu können, bleiben uns ein paar Sepia-farbene Fotos und die wenigen Gemäuer, an denen der Zahn der Zeit durch Wind, Sand und Sonne seine erbarmungslosen Spuren hinterlassen hat. Dank Jose, dem Aufseher, dürfen wir die Nacht inmitten dieser geschichtsträchtigen Mauern verbringen und können intensiv die Aura vergangener Tage erahnen…Der Rest bleibt Schweigen… Bis Calama folgt eine Salitrera der nächsten bis die verlassenen Minen früherer Tage dem modernen Minenbetrieb weichen. Der gesamte Norden des Landes stellt einen schier unerschöpflichen Pool an Bodenschätzen dar, allen voran Kupfer. Nahe Calama besichtigen wir die weltweit größte Tagebau Kupfermine Chuquicamata. Die Tour führt zunächst in die gleichnamige Stadt, die vor mehr als 5 Jahren vollständig geräumt wurde, da die Kupfervorkommen zu nahe an die Siedlung heranreichten und mittlerweile einige Wohnhäuser inklusive dem einst städtischen Krankenhaus unter dem Schutt der Mine begraben liegen. Nachfolgend werden wir zum Mirador chauffiert…vor uns erstreckt sich ein 5x3 Kilometer großes, 1 Kilometer tiefes Loch, in dem es „kreucht und fleucht“ wie in einem Ameisenhaufen. Unerschöpflich arbeiten die kolossalen Trucks, um täglich mehrere hundert Tonnen Rohmaterial für die Kupfergewinnung abzubauen. Seit nahezu hundert Jahren liefert Chuqicamata Reichtum in Form dieses wertvollen Metalls und ein Auskommen für zumindest weitere 50 Jahre (ein weiterer Kilometer Tiefe) scheint garantiert zu sein. Obgleich skeptisch gegenüber diesem „Raubbau“ sind wir dennoch mächtig beeindruckt. Unsere letzte chilenische Etappe führt uns über den 3400 Meter hohen Paso Barros Arana in die Wüstenoase San Pedro de Atacama. Die Nacht auf nahezu Passhöhe beträgt bereits einige Minus-Grade, wir schlafen in Daunenjacken und finden am Morgen das Wasser in unseren Flaschen gefroren…reines Training für das bolivianische Altiplano. Der Morgen dafür in doppelter Hinsicht lohnend – seit über zwei Monaten treffen wir das erste Mal wieder auf „KollegInnen“ auf dem Rad, zum anderen eröffnet sich nach der Passhöhe der mächtige und zutiefst beeindruckende Anden-Gebirgszug mit seinen schneebedeckten Gipfeln und Vulkanen. Wir sind zutiefst ergriffen und können uns vor Verzückung und Freude, ob dieser ungeahnt malerischen Landschaft kaum halten. Den krönenden Abschluss des Tages bildet das Valle de la Luna (Tal des Mondes), tief rote Hügel und Krater mit einer weißlich schimmernden Salzkruste, die im Licht der untergehenden Sonne ein unbeschreiblichen und magischen Anblick bieten! Wir verbringen die Nacht am Aussichtspunkt, genießen den Anblick nochmals früh am Morgen und legen dann die letzten 10 Kilometer in die Oase zurück – unser letztes Ziel in Chile. Hinter uns liegen mehr als 6100 Gesamtkilometer, 102 reine Fahr-Tage (Tage nur auf den Bikes, die Pausen nicht eingerechnet), unbeschreibliche Erlebnisse, Landschaften und Begegnungen…aber auch mehr als 35 Kilogramm Pasta, 15 Kilogramm Haferflocken, 400 Brötchen und wohl an die 200 Liter Kaffee J Alles in allem unvergessliche Tage in Argentinien und Chile, macht also Lust auf mehr…vor uns liegt Bolivien und eine besonders anspruchsvolle Radstrecke – die Lagunenroute…doch mehr dazu in Kürze….
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November 2014
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