Schon bei der Anreise zum Proyecto Ak´Tenamit (Qeq´chi für neues Dorf) zeigt sich, dass unser nächster Monat wieder vom Wasser bestimmt wird-nämlich im wesentlichen vom recht stattlichen, von malerischen Urwäldern gesäumter Fluss „Rio Dulce“, der süsse Fluss, an dessen Ufer nach einer einstündigen Bootsfahrt die Clinica des Proyecto liegt. Die Fahrt dorthin ist an sich schon eine Attraktion-die dichte, sattgrüne Vegetation und der Fluss bieten Vögeln, wie Reihern, Kormoranen, Pelikanen und Papageien Lebensraum, wir können nur staunen über diese Vielfalt. Der Fluss steht an einer zentralen Stelle des Lebens in Ak´Tenamit, wir baden, waschen uns und unsere Kleidung dort und gleichzeitig ist er unsere einzige Verbindung zur Aussenwelt-kleinere Ausflüge machen wir mit „Cayucos“, aus einem einzigen Baumstamm in etwa 6 Wöchiger Arbeit ausgehöhlten kleinen Kanus. Dadurch sind unweigerlich die Voraussetzungen gegeben, uns der Natur sehr nahe zu fühlen, was durch das einfache Leben in der nach vorn und hinten offenen Holzhütte, in der wir in kleinen Kojen schlafen, noch verstärkt wird. Zu unseren Gästen dürfen wir Cucarachas, Ratten, diverse beeindruckende Spinnen und andere Mitbewohner zählen. Unsere Diät: Frijoles (schwarze Bohnen), Maistortillas. Soweit, sogut, insgesamt sind also vier „voluntarios“ hier, wir, Brie aus USA und Georgina aus Mexico, sie arbeiten in anderen Bereichen und wir verstehen uns mit ihnen sehr gut… Nach dem kurzen Einleben beginnt also ein Arbeitstag in der „Clinica“ um ca. 8 Uhr (für Notfälle unter der Woche jederzeit), bevor die ersten Patienten gesehen werden können, müssen oft noch wahlweise eine Kröte, ein Hund oder ein Huhn aus den Untersuchungszimmern vertrieben werden. Dann beginnt gemeinsam mit den Einheimischen Angestellten Maria oder mit Martin (sowas wie gelernte Krankenpfleger) die Arbeit-oft wie bei einem praktischen Arzt mit Problemen und Problemchen aller Art üblicherweise, gröbere Verletzungen und komplizierte Schwangerschaften und Geburten müssen mit dem Motorboot schnell nach Livingston gebracht werden, wo sie dann weiter in ein richtiges KH mit OP gebracht werden können. Zu Allerheiligen-Allerseelen besuchen wir in Santiago Sacatepequez nahe Antigua, ein bei Einheimischen und auch einigen Touristen sehr beliebtes und sehr gut besuchtes Fest, das „Festival de barriletes gigantes“, das Fest der Riesen-Papierdrachen. Es handelt sich um einen speziell in diesem Ort gepflegten Brauch, bei dem am 1.November, zu Ehren der Verstorbenen, und um „ihnen Nachrichten zu senden“ diese farbenprächtigen, bis 5m grossen (die die Fliegen) und bis zu 25-30m hohen (zur Zierde aufgestellten) Papierdrachen zu zeigen und auch fliegen zu lassen! Es ist für Westler nicht vorstellbar, was hier auf dem Friedhof abgeht: überall Musik, Essen, Trinken, Trubel und Heiterkeit und Farben, Farben, Farben, was einen vergessen macht, wo man eigentlich ist: auf dem Friedhof! Uns hats sehr gefallen, doch wir werden der Versuchung widerstehen müssen, diese Art der Verlustbewältigung auch auf heimischen Friedhöfen einzuführen… Zurück zur Arbeit am Projekt. Wir arbeiten üblicherweise von 8 bis 16.00, für Notfälle also auch jederzeit, was glücklicherweise wenig oft vorkommt-passenderweise nämlich zum Beispiel an Agnes Geburtstag, als wir nach dem Geburtstagsabendessen auswärts (um der Routine der Bohnen und Tortillas zu entfliehen) heimkommen, gibt Agnes noch die Geburtshelferin, und es ist: ein Mädchen! Zur Feier des selben Geburtstages möchte die erst 17 oder 18jährige Mutter das Kind wohl nach Agnes benennen, bekommt leider ihren Namen aber nicht ganz auf die Reihe („Nes…Nes?“), aber wir freuen uns sehr über dieses schöne und doch sehr passende Ereignis! Natürlich wurde am Morgen des 13.11. unsere allseits geliebte Agnes mit einem leckeren Geburtstagsfrühstück überrascht (Huevos revueltos con cebolla y tomate, frijoles volteadas, bananos fritos, pan de coco, papaya…) Eine andere Geburt, in der nächsten Nacht, verläuft ebenfalls problemlos, doch leider wird das Kind mit einer Meningomyelocele geboren (offener Wirbelkanal, gehört schnell operiert!), was hier keine so guten Karten bedeutet…Wir haben das arme kleine mitsamt dem Vater Mitternachts ins Boot gepackt und bei Regen sind wir mit allen auf Richtung Krankenhaus…was für ein Start ins Leben für dieses arme 10.Kind der Familie! Wir hoffen, dass die weitere Reise in die Hauptstadt, denn nur dort kann sowas operiert werden, irgendwie geklappt hat...es war sehr traurig, so eine Hilflosigkeit mitzubekommen, so eine Reise kann sich üblicherweise keiner der campesinos, der Bauern, aus den Dörfern hier leisten, so konnten wir nicht umhin, den Vater für die Reise selbst nach kurzer Überlegung finanziell auszustatten, was uns in der Tasche überhaupt nicht geschmerzt, aber unsere Seele beruhigt hat. Unsere Freizeit am Projekt beschränkt sich auf den kurzen hellen Rest vom Tag, da es am 18.00 dunkel ist und oft kein Strom mehr vorhanden ist, jenachdem ob die Wolken am Tag gnädig waren und der Sonne einige Stunden gewährt haben, um unsere Wäsche zu trocknen und die Batterien der Solaranlage aufzuladen. So gibt’s ganz in der Nähe eine schöne heisse Quelle am Flussufer, die wir gerne besuchen, oder entspannen in der Hängematte beim Proyecto und Lesen… Zum Abschluss beim Proyecto besuchen wir noch eine wichtige Veranstaltung, die „graduacion“, wo die Abschlussklasse ihre Zeugnisse erhält, ein grosser festlicher Akt wo alle Eltern da sind, mit sehr sehr vielen Ansprachen, Marimbamusik und einem besonderen Essen. Tja, und dann heisst es für uns auch schon, Adios Ak´Tenamit, mit einem lachenden und weinenden Auge verabschieden wir uns von diesem traumhaften Ort am Fluss, der uns eben gerade zur Heimat geworden ist…doch wir freuen uns auf unseren „Urlaub“, endlich Urlaub, und bei uns heissts: ab auf die „Cayos Cochinos“, traumhafte kleine karibische Inseln vor Honduras, zum Tauchen!!! Mehr dazu in bälde, muchos abrazos Christopher y Agnes
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November 2014
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