Zuerst holt einmal tief Luft, trinkt einen kräftigen Schluck Wasser und sucht euch ein gemütliches Plätzchen, denn nun beginnt eine ungemütliche, wohl aber wunderschöne und lohnende Etappe! Den imposanten Fitz Roy verlassen wir auf einer Muggelpiste Richtung Lago del Desierto (Wüstensee in einer ganz und gar nicht wüstenähnlichen Landschaft). Hier endet die Strasse, aus – finito, und nur mittels Boot können wir weiter Richtung Norden gelangen. Eine kurze Fahrt über den See und schon können wir in Argentinien sozusagen auschecken, sind aber so weit weg davon in Chile einzureisen, wie man nur sein kann… Was tun? Biwakieren in der zollfreien Zone? Eben, so suchen wir uns also neben dem Zollhäuschen ein bezauberndes Plätzchen am See mit Blick auf den schon so oft genannten (und geliebten) Berg und bereiten uns mental auf die spektakulärste Grenzüberquerung seit Beginn unseres Projektes vor. So, seid ihr nun neugierig? Der Tag beginnt wieder einmal früh, vor uns liegt ein Berg, der uns von Chile trennt, den wir aber nur zu Fuß entlang eines schmalen Wanderpfades überqueren können. Mariposita und Tigre müssen wir also schieben, zunächst so steil bergauf, dass wir uns mit voller Kraft gegen die Räder stemmen müssen, um nicht wieder hangabwärts zu rollen. Dann wir der Steig schmaler, gräbt sich einen halben Meter tief in die Erde ein und mit Radtaschen seitlich ist an ein Weiterkommen nicht mehr zu denken, wir schnallen also ab, schieben zunächst zweihundert Meter und kehren dann um, um anschließend die Taschen den Hang hinaufzutragen. Sechs Kilometer kämpfen wir uns über Stock und Stein, durch Bäche ohne Brücken und sind am Ende nicht nur schweißgebadet, nein auch ein bisschen stolz und sehr glücklich, denn vor uns öffnet sich eine kleine Waldlichtung, die sich zur Hälfte chilenisch nennen darf. Nach 18 km abfahren und schieben bekommen wir den offiziellen Stempel – geschafft, in jeglicher Hinsicht. Ein tiefer Atemzug, ein Schluck Wasser, ein Stündchen oder zwei Pause und eine weitere Bootsfahrt über den Lago O’Higgins, den tiefsten See Südamerikas und wir sind da, wo für uns eine große neue Etappe beginnt. Villa O’Higgins, das südlichste Dorf/Nest der Carretera Austral. Die Carretera Austral - wir können uns ein Seufzen an dieser Stelle kaum verkneifen…Traumstraße oder Albtraumstraße, je nachdem, jedenfalls der Weg durch den unbeschreiblich pittoresken Süden Chiles. Elegant schlängelt sie sich durch satte Wälder, vorbei an Fuchsien-Büschen und idyllischen Lagunen, hinter denen anmutig und stolz die schnee- und gletscherbedeckten Berge aufragen. Eine geschmackvolle Kombination, die einen fast den haarsträubenden Fahrgrund vergessen lässt, der oftmals mehr uns fährt, als wir ihn. Loser Schotterbelag, tiefe waschbrettartige Furchungen und niederträchtig steile Hügel gehören eben auch zu den Delikatessen der Straße. Ausgleichend gehören wir für manche Autofahrer zu den Sensations - Schmankerln, werden fotografiert, gefilmt, hupend und winkend angefeuert – Balsam für das Ego :-) Anfangs sind die Ortschaften dünn gestreut, alle fünfzig bis hundert Kilometer ein kleines Nestchen mit Basisversorgung. Eines davon, das eine besondere Erwähnung verdient nennt sich Caleta Tortel. An einem Fjord gelegen und über eine 20 km lange nervenraubende Seitenstraße zu erreichen, ist es wohl eine der abgeschiedensten Örtchen an der Carretera. Die Räder mitsamt Gepäck müssen vor der „Stadt“ warten, hölzerne Stege ersetzen ein herkömmliches Straßengeflecht. Wir nehmen es gemütlich, es ist schließlich nicht alle Tage Sonntag, trinken Wein aus Teetassen - very british - und gönnen uns einen saftigen Burger, bevor wir die 20 km zurück zur Hauptstraße stolpern. Hatten wir in Feuerland bis zu 8 Liter Wasser am Rad, so benötigen wir hier keine größeren Vorräte als eine halbe Flasche, der nächste Wasserfall ist nie fernab, Flasche d‘runter, fertig. Grundbedürfnis Nr. 1 kann also problemlos befriedigt werden, Grundbedürfnis Nr. 2 stillen wir wie üblich meist mit Reis und Packerlsuppe. Grundbedürfnis Nr. 3 = Schlafen = sehr gut, danke der Nachfrage…nicht zuletzt wegen der beispiellos schönen Zeltplätze an smaragdgrünen Lagunen, Bächen und Waldlichtungen. Und Aufstehen vor 7h am Morgen hat sich wegen des zunehmenden herbstlichen Nebels hier als nicht zielführend erwiesen, was uns besonders entzückt stimmt :-) Langsam lassen wir das Campo de Hielo Norte (neben dem Campo de Hielo Sur eines der größten außerpolischen Eisfelder) hinter uns, das wärmere und feuchtere Klima beschert uns zum ersten mal wieder Obst, das wir direkt an der Straße kaufen können, beinahe ein kleine Sensation. Die nächste Attraktion erreichen wir per Boot - eine Galavorstellung der besonderen Art, Marmorhöhlen inmitten des türkisen Lago General Carrera (Lago= See), an deren Decke sich die Wogen des Sees märchenhaft spiegeln… So folgt ein Tag dem anderen, ein Meter dem nächsten und wie nichts (mit bagatellisierendem Unterton) erradeln wir die zweitausend Kilometer Marke…und was dann geschieht, tja, lasst es uns zuerst herausfinden. Abrazos Agnes y Christopher
1 Comment
Edith
11/3/2013 15:49:11
Gratulation! So eine Grenzüberschreitung kann noch ein echtes Abenteuer sein! Hab mich fast auf Goggle earth verirrt beim virtuellen "Nachfahren!" Alles Gute weiterhin!
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