Das große Deutschland zieht an uns kleinen Radfahrern vorüber wie im Traum. In Hamburg sehen wir uns mehr als zuvor mit der Tatsache konfrontiert, dass sich unser Kreis langsam schließt. Am 19. September 2012 beginnt hier unser Abenteuer an Bord der HS Schubert. Alles liegt vor uns, so weit und tief, so unergründet wie der Atlantische Ozean, den wir überquerten. Am 20. August 2014, bei einem Wolkenbruch, der sich gewaschen hat, kehren wir zurück, dahin zurück wo alles begann. Wir radeln die Alster entlang, spazieren vorbei am imposanten Rathaus, lassen unsere Erinnerungen an den Landungsbrücken aufleben, beim Anblick der Stahlkräne des gegenüber gelegenen Frachthafens. Wir seufzen. Wir lachen. Was wir nicht alles erlebt haben in diesen zwei Jahren. Und nichts davon wussten wir noch zwei Jahre zuvor. Das freudigste Ereignis, in dessen Zeichen unsere Hamburg Rückkehr steht ist die Hochzeit von Robert und Sonja, unsere Freunde, die uns damals beherbergt und verwöhnt hatten. Ein Tag, ein Abend, eine Nacht, die nicht im Zeichen des Radfahrens stehen und Stunden, in denen unsere zunehmende Melancholie vom Freudenfeuer des Festes verzehrt wird.
Und nun beginnt sie tatsächlich, diese letzte Etappe, die wir kaum für möglich gehalten hatten, als wir noch so fern waren und so gefesselt von den Erlebnissen, den Augenblicken in der Ferne. Der Weg aus der Großstadt an der Elbe führt uns noch einmal vorbei am Hafen, zieht sich dann durch ewig scheinende Vorstadt, bis auch sie abgelöst wird von der verklärt romantischen Aura der Lüneburger Heide. Ein zauberhaftes Stückchen Erde, das wir hier vorfinden. Altrosa leuchtet das Meer aus Heidekraut im abendlichen Licht bis an die Grenzen des Horizontes und gefällig betten sich darin Wäldchen und kleine beschauliche Dörfchen mit strohgedeckten Häuschen ein. Wie passend in diesem Ensemble, ein Schäfer der seine Herde weißer Schäfchen nach Hause geleitet… Beinahe scheint es uns, als hätten wir die Schönheit Deutschlands unterschätzt. Besonders hinreißend sind die unzähligen Fachwerkstädtchen, die noch heute längst vergangene Zeiten ausstrahlen. Das Harzgebirge hingegen, höchstes Gebirge im Norden des Landes, besticht mit ausgedehnten Wäldern, tief eingeschnittenen Tälern und gewaltigen Stauseen. Auch hier scheint die Zeit still zu stehen. Ein Gefühl das sich zunehmend verstärkt, als wir durch Thüringen radeln das ehemals der DDR angehört hatte. Die Schere, die zwischen Stadt und Land herrscht, sticht uns hier besonders ins Auge. Die größeren Städte blühen und florieren, allen voran das geschichtliche Weimar, das wir ausgerechnet zu Goethes Geburtstag erreichen, ein Höhepunkt an Trubel, Ausgelassenheit und Leben. Im Kontrast dazu scheinen manche bäuerlichen Dörfer beinahe gänzlich entvölkert und verwaist, wer zurück bleibt sind Betagte und jene jungen Menschen, die auch hier auf ihre Chance hoffen. Ihr Zenit liegt vorerst hinter ihnen. Auch der Sommer lässt sich zunehmend seine Müdigkeit anmerken. Am Morgen ist unser Hugo triefend nass, unsere Finger klamm und die Muskeln steif von der Kälte der Nacht. Die dichten Nebelschwaden lichten sich nur zögerlich und geben erst am späten Vormittag den Sonnenstrahlen eine Chance, den Süden Deutschlands zu berühren, den wir mittlerweile erreicht haben. Bayern, das klingt schon fast nach daheim. Fast, denn einiges liegt noch vor uns. Das UNESCO Weltkulturerbe Bamberg, das in endlosen Regengüssen zu versinken droht, der Main-Donau-Kanal Radweg entlang dessen Ufern wir uns, ohne viele Hindernisse überwinden zu müssen, in den Süden bewegen. Ein letzter Besuch steht auf dem Programm, in der ehemals kaiserlichen Residenzstadt München, die nach Weißwurst und Brezel, Hopfen und Malz duftet. Vor Kurzem erblickte hier der kleine Johann das Licht der Welt, seines Zeichens Sohn von Gunnar und Vroni und ihn zu begrüßen wollen wir uns keinesfalls nehmen lassen. Ein erstes Wiedersehen, ein fröhliches Wiedersehen, mit Bier, mit Münchner Weißen, wie es sich eben gehört, für jemanden, der lang fern war von europäischen Traditionen. Wir verabschieden uns, schlagen einen bereits bekannten Weg ein, den Inntalradweg, der uns knapp zweieinhalb Jahre zuvor von Vorarlberg nach Oberösterreich als kleine Teststrecke gedient hatte. Es fühlt sich an wie Heimat, der Inn, das nahende Innviertel und nach zwei Tagen der Anblick des barocken Schärding, das von deutscher Seite aus majestätisch über den Flussufern thront. Ist es Einbildung, oder Wahrheit, Freude oder Angst, die unseren Herzschlag subtil beschleunigen, als wir langsam über die Innbrücke erstmals wieder mit dem Rad österreichischen Boden unter Füßen und Rädern haben. Und doch alle Aufregung vorerst vergebens, denn am Stadtplatz nimmt das rege Leben von uns keine Notiz. Wir sind nur zwei von vielen Radfahrern entlang des Inns, nur unsere abgetragene Kleidung, der Staub tausender Kilometer und unsere Erinnerungen könnten den genauen Beobachter aufmerksam werden lassen. Zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Kilometer liegen noch hügelig vor uns, der Kalender wird sich den Tag unserer Heimkehr als 6. September 2014 merken. Strahlender könnte uns die Heimat kaum empfangen, mit frühlingshaften Temperaturen, blauem Himmel und ersten Anzeichen des nahenden Herbstes, die die Landschaft in ein warmes Gelb tauchen. Schon nach Kurzem meine ich jede Kurve zu kennen, jeden Hügel vorhersagen zu können. Wo ein Teil meiner Wurzeln liegt, in einem Dörfchen namens Sigharting ist der letzte Tausender erfüllt, das letzte Blatt unserer Geschichte bis auf den letzten Satz vollgeschrieben. Ein Hügel noch hören wir uns freudig rufen, bevor wir in der Ferne eine Gestalt auf einem Fahrrad auf uns zukommen beobachten. Das freudige, aufgeregt wirkende Treten in die Pedale und das sich nun abzeichnende Gesicht verraten meinen Vater schon von Weitem. Mit dem Glanz beinah einsetzender Tränen schließt er uns in seine Arme und führt unsere zweiköpfige Expeditionsmannschaft in den Hafen der Heimat. Ein Vortrupp der Familie empfängt uns ebenfalls mit den Rädern, Sekt und Gelächter, Umarmungen und Küsse läuten den letzten Satz ein. Die Symphonie endet mit Freunden und Familie, nur wenige Meter entfernt von jenem Haus, in dem ich groß wurde, in dem ich geprägt wurde zu dem Menschen der aus mir wurde und in dem Christopher nun so selbstverständlich dazugehört, als wäre er immer Teil davon gewesen. Applaus, Umarmungen, lautes Lachen, viele Fragen und Geschichten, der Kaiserwalzer aus der Trompete meines Vaters und den Tasten Karls, eine Siegerehrung auf hohem Podest, die Hymne unserer Heimat, eine Torte – süß und bunt wie die Reise, Gespräche bis tief in die sternenklare Nacht, die uns ganz sanft und schmerzlos in einen neuen Abschnitt unseres Lebens hinein begleitet. Und zum Schluss ein paar knallharte Fakten: lunademiel Statistics Abfahrt in Ushuaia: 17.1. 2013 Ankunft in Enzenkirchen: 6.9. 2014 355 Tage auf dem Fahrradsattel 24003 Gesamtkilometer 246 892 Höhenmeter gesamt Fahrzeit gesamt 1739 Stunden, pro Tag 4,9h im Schnitt 67,6 Kilometer durchschn. Pro Tag 695,5 Höhenmeter durchschn. Pro Tag Südamerika: 255 Fahrtage, 15123 Kilometer, 191587 Höhenmeter durchschn.: 59,3 km pro Tag, 751Hm pro Tag, 1267 Höhenmeter auf 100 Kilometer Nordamerika: 65 Fahrtage, 6032 Kilometer, 40464 Höhenmeter Durchschnitt: 92,8 km pro Tag, 622,5 Hm pro Tag, 670 Hm auf 100 Km Europa: 35 Fahrtage, 2848 Kilometer, 14841 Höhenmeter Durchschnitt: 81,4km pro Tag, 424 Hm pro Tag, 521 Hm auf 100 Km
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November 2014
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