Hektisches Winken, Hupen und Geschrei in einem der unzähligen Winkel Cuscos, Minivan rein, Minivan raus, bis wir endlich ordnungsgemäß eingereiht im richtigen Bus sitzen. Wo‘s hingeht? In einem Bus noch dazu? …die größte Touristenattraktion des gesamten Kontinentes wartet darauf von uns erkundet zu werden - Machu Picchu. Zu faul zum Wandern, zu arm um den unverhältnismäßig überpreisten Zug durch das Valle Sagrado (Heiliges Tal der Incas) nehmen zu können, beschließen wir die Anreise per Minivan über uns ergehen zu lassen. Über eine atemberaubende Bergstraße, die sich in unzähligen Serpentinen auf 4.400 Meter hinaufschlängelt rasen wir stundenlang Richtung Ruinen. Die käsig bleichen Gesichter und ein qualvolles Raunen unter unseren Touristenkollegen sind nur ein Hinweis auf das Fahrverhalten unseres Chauffeurs…Nach acht Stunden ist Teil eins der Mühen geschafft. Wir spazieren weitere zwei Stunden entlang der Bahngleise nach Aguas Calientes, etwas unbehaglich, haben wir doch unüberlegterweise unseren Pass widerstandslos einem mäßig sympathischen sich als Guide ausgebenden Peruaner abgegeben…Ende gut – alles gut, am Hauptplatz trifft man den Doch nicht Trickbetrüger wieder, wir werden ins schmuddelige Hotel begleitet und beim fast schon entwürdigenden Abendessen, das man bedenkenlos als Touristenfalle bezeichnen darf, werden uns unsere IDs anstandslos mitsamt Eintrittsticket ausgehändigt. Nach zwei Stunden ist der unangenehme Spuk vorbei und die kurze Nacht darf beginnen. Um fünf Uhr morgens schultern wir unsere Rucksäcke und stapfen los durch die dunkle Stadt. Bald erspähen wir vor uns ein Heer aus Touristen, bewaffnet mit Stirnlampen, Stöcken und allem was einem Sieg über die hunderten steilen und glitschigen Stufen dienlich sein könnte. Ein letztes Stoßen, Gedränge und Gewürge durch die Eintrittspforte, noch ein paar Treppen zu überwinden bevor uns die Magie Machu Picchus augenblicklich in seinen Bann zieht. Wie beschreibt man den ersten Anblick einer derartig gewaltigen Szenerie, die man doch von hunderten Fotos kennt, der aber keine Abbildung nur annähernd gerecht werden kann…grandios, majestätisch, monumental?! Einfach gewaltig…Langsam dringt der Morgen in jeden Winkel der hoch über dem Flusstal (2360 Meter) thronenden Gemäuer, die zarten Nebelschleier lichten sich und geben die Bühne für das goldige Licht der ersten Sonnenstrahlen frei. Auf den grünen Terrassen, die einen kunstvollen Kontrast zu den grauen Steinwänden bilden, grasen friedlich ein paar Lamas. Wir beginnen unsere Erkundungstour, staunen über die präzise bearbeiteten Steine der Gebäude, astronomischen Plattformen und Wasserrinnen und können uns beim Anblick der atemberaubenden am Felsen hängenden Inca-Brücke weiche Knie und ein bewunderndes Seufzen kaum verkneifen. Die Incas konstruierten die Stadt im 15. Jahrhundert, die in ihrer Hochblüte an die tausend Menschen beherbergte. Über den einstigen Zweck der Stadt gibt es bislang nur Vermutungen, die auf archäologischen Funden basieren – so könnte Machu Picchu eine königlich-religiöse Zufluchtsstätte der Incas gewesen sein. Für uns ein unvergesslicher Tag auf den Spuren einer einst glanzvollen Hochkultur. Einen letzten Tag in Cusco geben wir uns dem Müßiggang hin, genießen die koloniale Altstadt mit seinen charmanten Cafés und einem bunten Markt, sinnieren in Radlerkreisen über diese und jene Route nach Nord und Süd und treffen unsere Freunde Peycho und Arnaud, mit denen wir in Erinnerungen an die bereits errungenen Kilometer und Abenteuer schwelgen. Es will gut ausgeruht sein, eine kräftezehrende Achterbahnfahrt durch die Berge Perus steht uns bevor… Reich an Eindrücken, voller Erwartungen und doch innerlich leicht angespannt angesichts der drohenden Qualen kämpfen wir uns durch die letzten Ausläufer der Großstadt. Noch radelt sichs leicht und unbeschwert entlang des Flusstals, vorbei an Rinderweiden und unzähligen Käsereien, über kleinere und größere Höhenrücken. Der erste Pass von vielen meint es mit 3.700 Metern noch gut mit uns. Die 2.000 Meter Abfahrt lässt uns allerdings bereits befürchten, dass wir den nächsten etwas höheren Pass im Schweiße unseres Angesichts erkämpfen werden müssen. Mit jedem mal sind es mehr und mehr Meter, die uns die Berge abverlangen, ein ständiges Auf und Ab zwischen den eisigen und oft wolkenverhangenen Höhen der Viertausender Pässe und den schwülen dampfenden Tiefen der Täler mit üppigster Vegetation und quälenden Mosquitos, deren Male uns jetzt noch verzieren. Die Mühen und Schindereien sind vielgestaltig – unzählig viele Baustellen, deren Passage oft nur nach längeren Verhandlungen mit den Straßenarbeitern möglich ist, kiloweise Dreck, der hartnäckig am Rad klebt und das Treten zum Gewaltakt werden lässt. In den kleinen Dörfern und Örtlein entlang der Straße pfeift und hallt es aus allen Ecken und Enden „Gringos, Gringos“, die Schulkinder eilen aufgeregt zusammen, verfolgen uns teilweise laufend oder auf ihren Drahteseln über hunderte Meter und werden nicht müde uns über alles Mögliche, vornehmlich jedoch über die finanziellen Aspekte unserer Reise auszuquetschen. Ganz besonders scheinen wir es aber gewiss den Haus-, Hof- und Straßenkötern des Landes angetan zu haben. Hinter jedem Vorsprung scheinen sie zu lauern, überraschen und jagen uns mit ohrenbetäubendem Gekläffe und fletschenden Zähnen, sind jedoch am Ende glücklicherweise doch zu feige ihre Drohungen wahr zu machen und hetzen in alle Richtungen auseinander, wenn der Steinhagel aus Christophers Händen auf sie niederprasselt. Ob Perus Hunde unter der Protektion des hiesigen Wetters stehen, das uns für den Gegenangriff bitter bezahlen lässt, oder nicht, das sei dahingestellt. Eine tiefschwarze Schlechtwetterfront zieht drohend am Horizont auf, lässt uns unter Blitzen und Donnern erschaudern und foltert uns mit Hagelkörnern die schmerzhaft auf uns herabstürzen. Kurz nach der Passhöhe auf 4.100 Metern suchen wir Zuflucht in unserem Re-Hugio, soll das Wetter machen was es will, wir sind dann mal weg. Am nächsten Morgen gibt es eine weihnachtliche Überraschung, ein tiefverschneites, weites und einsames Plateau hält uns einen Tag und eine weitere Nacht in seinen frostigen Klauen gefangen, bevor wir nach Ende der Schneefälle endlich in wärmere Gefilde abradeln können. Nach zehn Tagen scheint das härteste Stück Arbeit hinter uns zu liegen und die Lorbeeren vor uns, so hoffen wir jedenfalls. In dem kolonialen Ayacucho erholen wir uns von den Strapazen und planen die nächste Etappe – ohne große Überraschung, weiter durch die Berge Perus…Die Landschaft wandelt sich zunächst dramatisch, anstatt grüner Weiden und Eukalyptushaine zieren meterhohe Kakteen die trockenen kargen Berge und die schmale Straße windet sich über unzählige Kilometer dramatisch am Fels entlang durch ein teilweise Canyon-artiges Flusstal. Die Bewohner der nun rarer werdenden Dörfer sind freundlich und interessiert und schaffen es mühelos auf das für uns doch etwas beleidigende „Gringo“ zu verzichten. Im Großen und Kleinen wiederholen sich die beschriebenen Szenarien allerdings immer wieder, einmal mehr einmal weniger aufgebrachte und nervende Hunde, einmal mehr einmal weniger Regen und Wolken, einmal mehr einmal weniger „Gringo“-Rufe… was allerdings schlagartig mehr und keinesfalls weniger wird sind Felsklötze, Baumstämme und allerlei spannende andere Hindernisse, die unser Fortkommen massiv zu beeinträchtigen beginnen. Noch sind wir uninformiert und naiv, können keine rechte Erklärung dafür finden, bis uns ein ebenfalls an der Weiterfahrt verhinderter Lastwagenfahrer aufklärt – Straßensperren für drei Tage, Durchkommen unmöglich. Aaaah, jetzt ist auch uns klar, brennende Reifen, Stacheldraht und Nägel auf der ohnehin miesen Straße sind also durchaus nicht normal, auch in Peru nicht. Immer wieder müssen wir mit der streikenden und teilweise doch recht agitierten Menge über unseren Durchlass diskutieren. Ein fettleibiger Peruaner grinst uns mit goldumrahmten Zähnen an, hebt seine Hände und stellt sich uns mit bestimmter Selbstverständlichkeit in den Weg – auch für uns Durchfahrt verboten. Die uns umgebende Meute brüllt „Gringos, Gringos“. Ein etwas vernünftig und auch sympathischer erscheinender jüngerer Herr nimmt dann doch Anteil an unserem „Schicksal“ und veranlasst die Blockierenden sich zu teilen und uns durchzulassen. Schon vormittags liegen die ersten Betrunkenen im Graben neben der Straße und schlafen heroisch ihren Rausch aus. Immer wieder müssen wir uns durchkämpfen, Scherben und anderen Bedrohungen für die Reifen ausweichen, bis wir endlich völlig entnervt und müde in Huanuco eintrudeln. Zwei Tage Pause, bis die Blockaden vorbei sind, das ist gewiss. Deutlich entspannter treten wir den letzten Abschnitt durch die Berge vor Huaraz an. Auch die gewohnten Kläffer bringen uns nicht mehr so leicht aus der Fassung und gut ausgeruht treten wir (wie scheinbar ohnehin ständig) gegen die Schwerkraft in unsere Pedale – die kritisch vollbeladenen Räder (1 Liter Trinkjoghurt, 1 kg Papaya und sonstiger Luxus) wiegeln allerdings ordentlich gegen uns auf und verlangen von uns Schwerstarbeit, um sie die Pässe hochzustemmen. Landschaftlich und auch wetterlich zeigt sich dafür Peru vorerst von seiner Sonnenseite. Das initial breite und grüne Flusstal, gesäumt von kleinen Adobe-Häuschen verengt sich zu einer schmalen Schlucht, durch die der zuvor noch gemächlich und friedlich fließende Bach unter ohrenbetäubendem Lärm durchtost. Immer steiler führt die Straße ins frostige Gebirge, der verkehrsreiche Asphalt endet und holprig geht’s durch die grandiose Bergwelt des Parque Nacional Huascaran (Nationalpark H.). Die schieferartig abblätternden Felsen leuchten in tiefem Schwarz, in der Ferne thronen die ehrwürdigen Sechstausender der Anden und mit jeder Kehre die wir bewältigen öffnet sich für uns ein weiterer atemberaubender Blick. Die weit unter uns liegende Ebene schillert in sattem moosgrün und ein feuerroter Bach schlängelt sich surreal durch das Tal. Wir nähern uns einem der vielen Gletscher bis zu seiner mächtigen Abbruchkante, unter der sich eine türkise Lagune pittoresk an die Endmoräne anschmiegt. Der einzige Verkehr sind drei Esel und zwei Schafe (mit ihren menschlichen Gefährten), die uns nicht weiter stören und in der einsamen Landschaft eine besondere Aura besitzen. Die unbeschreibliche und beispiellose Präsenz dieser Stein- und Felsriesen mit ihren Eiskappen und Lagunen lassen uns beinahe vergessen, dass wir über drei 4.800 Meter hohe Pässe radeln und die Luft so dünn ist, dass für Worte kaum ein Quäntchen übrig bleibt. Aber welche Worte könnten einer derartigen Würde schon gerecht werden?! Der Anblick der gigantischen Puya Raimondii, deren Blüten meterhoch in den Himmel ragen, ein unvergesslicher Zeltplatz am Fuße einer kleinen Lagune mit dramatischem Panorama und ein sensationeller Sonnenuntergang bilden einen würdigen Abschluss einer langen, anstrengenden und unvergesslichen Etappe 1 (denn noch sind wir nicht am Ende) durch die Berge Perus und seine unzählig vielen spannenden Gesichter. Abschließend sei demütig erwähnt, 100.000 Höhenmeter und 10.000 Kilometer, abgesehen von unerschöpflich vielen Abenteuern, Erlebnissen und Begegnungen sind die bisherigen unauslöschlichen Errungenschaften seit unserer Abreise am 15. September 2012. Wie vielseitig und unvergesslich 365 Tage doch sein können, wenn man jeden einzelnen von ihnen intensiv lebt…
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November 2014
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