Das täglich Neue, oft Ungewisse, Unvorhersehbare, die Spontanität, Wandel und Veränderung sind jene Essenzen, die unserer Reise ihre Würze geben, sie sind das wonach wir suchten. Die beinahe größte Veränderung scheinen wir mit unserer Rückkehr nach Europa zu erleben. Vom Überinteresse der Amerikaner, die uns als Exoten betrachten, ändert sich die Stimmung zu fühlbarem Desinteresse an uns. Das mag wohl einerseits an der distanzierteren Mentalität unserer nordischen Freunde liegen, andererseits auch am deutlich zunehmenden Radtourismus in den hohen Breiten Europas. Zunächst beginnt unser Einstand allerdings herzlich und warm im Kreise der norwegisch-finnischen Familie Brandt. Ole, ein stämmiger Norweger, seine zarte frau Elina und die quirligen Töchter Siiri und Saga verwöhnen uns drei Tage lang in Stockholm mit ausladenden Frühstücksbuffets, herzhaften Dinners und viel Aufmerksamkeit und Gastfreundschaft. Ole führt uns auf den Rädern durch die Burg- und Schlosslandschaft in und um Stockholm, um unser Sightseeing Repertoire, das bis dahin nur aus dem Besuch des Schlachtschiffes Vasa besteht, ein wenig zu erweitern. Eine spannende Geschichte im Übrigen, die sich hinter diesem nun Museumsschiff verbirgt...Wir schreiben den 10. August 1628. Im Hafen von Stockholm herrscht dichtes Gedränge und Aufregung, die königliche Galeone Vasa steht kurz vor ihrer Jungfernfahrt. Ein prächtiges Schiff, reich verziert, das dem Kriegsgegner Polen mächtig Ehrfurcht beibringen soll. Die Anker werden gelichtet, die Segel gesetzt, Salut geschossen. Die Menge ist begeistert. Nach nur 1.300 Metern, etwa 20 Minuten Fahrt, bringt ein stärkerer Windstoß die Vasa zum kentern, der Großteil der Besatzung kommt dabei ums Leben. 321 Jahre liegt das Schiff am Grund des Stockholmer Hafens und wird erst 1959 geborgen, im Anschluss liebevoll restauriert und über die Jahre in ein Museum der Extraklasse umgewandelt.
Nach drei Tagen ruhen und rasten, nach Schiffen und Schlössern und viiiiiiel Essen, brechen wir unsere Zelte ab und starten ins Landesinnere Schwedens. Die Route sollte uns grob vorbei an den großen Seen Richtung Westküste und dann südwärts nach Dänemark führen. Beginnen wir doch mit unserer ersten Nacht im Zelt. Es überrascht wohl keinen, dass die Tage in Schwedens Sommer lang, die Nächte kurz sind. Praktisch umgesetzt, bedeutet es für uns ausgiebiges radln, man will ja nicht zu viel im Zelt herumlungern, spätes zu Bett gehen und leider aufgrund der schon früh einsetzenden Hitze in Hugos Bauch, frühes wachwerden und aufstehen. Das spüre ich in Kombination mit dem Souvenir gespiekten schweren Rad deutlich in Gliedern und Schenkeln. Die Leichtigkeit des Schmetterlingchens (Mariposita) ist kaum mehr zu spüren. Umso mehr beginnen wir in Schwedens Natur und Landschaft wieder die Leichtigkeit unseres Daseins zu empfinden. Vorbei an weiten Weizenfeldern, die herrlich golden im Mittagsschein der Sonne leuchten, durch altehrwürdige Lindenalleen und Wälder, Heidelbeeren in Hülle und Fülle, Momente der Harmonie und Freude, die uns den Sinn unseres Reisens erneut verdeutlichen. Wir versuchen dem Verkehr der Hauptstraßen weitestgehend zu entgehen und wählen die klein und kleinst Wege, die uns der Natur am nächsten sein lassen. Die mittlerweile obligatorische zehn Uhr Kaffeepause leiten wir mit einem Sprung in den klaren See ein, ungestört, unbeobachtet, nur wir und das kalte Nass auf der nackten Haut. Und wenn es am Wegesrand dunkelblau leuchtet, dann setzt unvermittelt der archaische Sammeltrieb ein und wir lassen uns ein paar Minuten forttreiben, das waldig-beerige Aroma süßer Beeren auf der Zunge schmelzend. Immer wieder forschen wir in Erinnerungen nach den Geschichten Astrid Lindgrens, die uns diese Welt schon als Kinder vorgestellt hat und die wir endlich so hautnah erleben dürfen. Zunehmend entgleiten unsere Gedanken auch die immer präsenter werdende Rückkehr in unser „Altes" Leben, sofern es denn so eines noch gibt. Die Straße unter unseren vier Reifen ist mehr und mehr der Weg nach Hause und so sehr wir uns bemühen diese Präsenz zu ignorieren, sie drängt sich zunehmend in unser Bewusstsein und die Brücke zwischen den Anfängen unseres Abenteuers und dem sich ankündigendem Ende ist beinahe fertig konstruiert. Aber vorerst sind wir noch das was wir seit beinahe zwei Jahren sind. Reisende, Radelnde, Träumende und vor allem frei. Vorbei an den großen Seen durch Mittelschweden erreichen wir nach einer guten Woche die Westküste Schwedens. Der köstliche Duft nach Ozean steigt uns unverkennbar in die Nase und der raue Wind bläst uns wieder einmal kräftig ins Gesicht. Aber irgendwie sollten wir den ja mittlerweile gewohnt sein und zumindest suggeriert es uns subtil einen Hauch von Schroffheit und Abenteuer. Das Kräftespiel mit den Urgewalten. Hugo thront hoch auf den Granitklippen, die Sonne hat den Zenit bereits lange überschritten und leitet mit ihrer warmen Röte einen lauen Abend ein. Andächtig kauern wir auf den nackten Felsen, mit den Gedanken irgendwo zwischen den Welten, den Zeiten und Kulturen. Bis Göteborg begleitet uns das maritime Flair beschaulicher Fischerdörfchen. Gelegentlich endet die Straße an einem Fjord, wir warten ein paar Minuten und eine kleine Fähre schippert uns ans andere Ufer. So oft es irgendwie möglich ist, pausieren wir an den felsigen Klippen und steinigen Stränden, stellen das Zelt so nah ans Meer, dass unsere Blicke von den Wellen in die Ferne getragen werden. Ein schönes Dasein. In Göteborg treffen wir nach langer Zeit wieder einmal Gleichgesinnte. Joakim und seine thailändische Frau Wej bieten uns Herberge in der bildhübschen Universitätsstadt und teilen mit uns die Erfahrung einer langen Zeit in den Sätteln ihrer Räder (Göteborg – Thailand). Wie das inspiriert. Neue Geschichten über ähnliche und andere Abenteuer in fremden Ländern, die wir spätestens nach unserer Begegnung mit den beiden zu Zielen zukünftiger Reisen auserkoren haben. Die verbleibenden Tage in Schweden folgen wir meist einem definierten Radweg, der uns mal durch das Land, mal an die Küste führt. Deutlich flacher und eintöniger zeigt sich nun der Süden des Landes, dichter besiedelt und landwirtschaftlich genutzt, dann und wann aber mit hübschen Mühlen aus alten Zeiten geschmückt. Längst haben wir uns auch wieder an die Stürme gegen uns gewöhnt und das Wetter lässt uns zunehmend spüren, dass die sonnige Jahreszeit sich langsam verabschiedet und so manche Wetterkapriolen nun zum Tagesgeschehen ihren Beitrag leisten möchten. Warum auch immer, wir denken oder vielmehr hoffen, dass sich dieser unstete Zustand zwischen Sonne und Regen durchaus umkehren könnte, sobald wir das Land wechseln und den Dänen einen Besuch abstatten. Die Fähre zwischen dem schwedischen Helsingborg und dem dänischen Helsingör dauert zwanzig Minuten. Gerade genug Zeit, um ein Schrimps Brötchen und ein kleines Bier zu bestellen und hinunter zu würgen, bevor man schon wieder mitsamt den schwedischen Alkoholtouristen von Bord geschoben wird und ohne jedwede Kontrollen seinen Weg am Ostufer der Meerenge fortführt. Dass man dabei bis Kopenhagen unentwegt auch das schwedische Ufer erspäht erklärt dann selbstverständlich auch, warum sich das Wetter durch eine kleine Grenzüberquerung gar nicht so dramatisch ändert. Fährhafen bis Kopenhagen, das sind so grob gerechnet 45 Kilometer, die wir Zeit haben uns an das neue Land zu gewöhnen. 45 Kilometer gesäumt von strohgedeckten, weiß gekalkten Fachwerkhäuschen, die ihre Präsenz erst zugunsten der Hauptstadt aufgeben. Was uns am meisten und als erstes auffällt ist der unbeschreibliche, gewaltige, dichte und quirlige Verkehr. Schrecklich mag man nun vermuten. Aber man halte inne, denn keine andere Stadt hat es wohl so genial eingerichtet den Radfahrern ihren Platz einzuräumen, sodass die Gefahr von einem Zweiradler überrollt zu werden mit X zum Quadrat höher ist als überhaupt ein Auto zu erspähen. Eine Sensation. Alt und Jung, sportlich und unsportlich, chic oder shabby, alle cruisen sie auf ihren Drahteseln durch Kopenhagen, verleihen durch das vielschichtige Design ihrer Räder nicht nur sich selbst, sondern auch der Stadt einen unverkennbarem Charme. Wir sind in einer urbanen Welt, die uns so richtig zusagt. Zwei Tage schlendern wir durch die Straßen und Gässchen, von Ecken zu Enden, per Boot und zu Fuß. Nur nicht per Rad. Denn sogar in der Metropole der Ciclistas gönnen wir uns und unseren Bottoms (Hintern, wers nicht versteht) einmal ein Päuschen. Und das ist gut so. Die Tage und Stunden durch das dänische Hoheitsgebiet sind geprägt von Mühsal und Widerstand gegen alles wovon wir so oft berichteten. Und trotz alledem sind wir täglich ein wenig dankbarer, dass wir noch immer Freude an unserem Unterwegs Sein empfinden, denn das Ende unseres lunademiel rückt unentwegt, unbeirrbar, unbestreitbar und täglich näher. Als sich die eiserne Schiffsklappe schließt und die Fähre nach Fehmarn in ihrem Schlund gefangen nimmt, als sich dieselbe eiserne Klappe nach einer Stunde abermals öffnet, die Lichter des Tages hereindringen und uns derselbe Schlund auch wieder ausspeit sind wir erstmals seit zwei Jahren mit unseren Rädern in einem Land, dessen Sprache auch die unsere ist. Das mag auf Anhieb eigenartig klingen und durchaus nicht sofort nachvollziehbar, aber es ändert auf subtile aber doch sehr eindeutige Weise unsere Wahrnehmung des Landes, der Menschen und dem nun vor uns liegenden Abschnitt. Ein Teil von uns fühlt, dass das Ende genau in diesem Augenblick seinen Anfang nimmt.
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November 2014
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