Es war einmal im Wilden Westen…so beginnen wohl die spannendsten Abenteuer und so beginnt unsere neue Geschichte, unser Abenteuer die Vereinigten Staaten von Amerika West nach Ost zu durchqueren. Ein Beginn könnte schöner nicht sein als bei Freunden, Erik und Lindsey, die wir in Bolivien kennengelernt haben und die uns zum Einstand ein paar Tage bei sich beherbergen. Klassisch, ein viktorianisches Haus inmitten des hippen Mission District quasi im Herzen der Flower Power Stadt San Francisco. Mögen diese Zeiten zwar längst der Geschichte angehören, ein gewisses exzentrisches Flair dieser Jahre ist der Stadt erhalten geblieben und macht sie zu einem beispiellos charmanten und schmucken Startpunkt für unsere Reise. Auf zwei Rädern, wie sollte es anders sein suchen wir uns den markantesten Punkt der Metropole, ein Sight der Extraklasse, ja Weltklasse, ohne auch nur ein bisschen zu übertreiben – die Golden Gate Bridge. Schon von weitem sichtbar thront sie majestätisch über der Bucht und umspannt mühelos die Fluten. Ein Koloss und Stahl und Eisen und dennoch so elegant und ästhetisch in ihrer Konstruktion, dass sie trotz ihrer Funktionalität ein wahres Schmuckstück darstellt. Ihre Überquerung nehmen wir als unseren Startschuss für die Fahrt gen Osten. Den Wind im Haar, die Sonne im Gesicht brettern wir drüber, voll Tatendrang, Vorfreude und Zuversicht auf grenzenlose Wagnisse und Abenteuer. Am 8.Mai, San Franciscos „Bike to Work Day“ fällt der tatsächliche Startschuss. Unter hunderten anderen Bikern, die den Weg zur Arbeit auf ihren Eseln zurücklegen, manövrieren wir uns aus der Stadt hinaus, vorbei an Ständen, die den Anlass würdigend Getränke, Bike-Flaschen und kleine Snacks verschenken…passender könnte unser Aufbruch nicht datiert sein. Flache langweilige Stunden durch die sogenannte Bay Area, durch die scheinbar gefährlichste Stadt im Umkreis und vorbei an zahllosen Shopping Malls füllen den restlichen Tag, um uns aus der urbanen Zone hinauszuführen. Endlich nimmt das Häusermeer ab, die weiten Felder zu und auf den goldenen Höhenrücken drehen sich zyklisch und leicht krächzend hunderte Windräder, die dem teils heftigen Stürmen ihr gutes abgewinnen sollen. Inmitten dieser erstmals einsam scheinenden Gegend finden wir Zuflucht in der Garage der liebenswürdigen älteren Farmerin Mrs. Vieux, die uns mit gekochten Eiern, selbstgemachtem Marillenkompott und Zimtstangen verwöhnt und uns zuversichtlich stimmt, dass auch hier großartige und unvergessliche Begegnungen auf uns warten… Unser erstes „echtes“ Ziel liegt nur unweit von San Francisco, vielleicht eine Tagereise in einem der kolossalen Wohnmobile, die uns ab und an passieren, für uns aber doch eine Strecke, die drei bis vier „Werk“Tage in Anspruch nimmt und uns ob mangelnder Alternativen sogar dazu zwingt im Straßengraben neben dem Highway zu campieren. Yosemite Nationalpark. Immer ursprünglicher und rauer gestaltet sich das landschaftliche Bild, das sich auch in den zunehmenden zu radelnden Höhenmetern bemerkbar macht. Hügeliger, felsiger, waldiger…Anlass genug, um im letzten kleinen Städtchen vor dem Park sich Hamsterkäufen hinzugeben…Maccaroni and Cheese, Erdnussbutter, Bagels, alles was Spaß macht und Kalorien liefert…die wir zweifelsohne noch brauchen werden. Ein kleiner Jubelschrei entweicht uns, als wir die Parkgebühr entrichten, demnach offiziell angekommen sind und erfragen, dass sogar noch Zeltplätze im heiß begehrten Yosemitetal zur Verfügung stehen. Der touristische Andrang und das entsprechende Verkehrsaufkommen steht einem viel befahrenen Highway beinahe in Nichts nahe. Alle hundert Meter drängeln sich die Ausflügler auf die Aussichtspunkte und lichten im 360° Radius alles Ablichtenswerte ab. Davon gibt es zweifellos viel…ein paradiesischer Ort mit markanten Bergen und Felsformationen (El Capitan, Half Dome etc.), lieblichen Gebirgsbächlein, sattgrünen Wiesen, Wasserfällen, spiegelnd glatten Teichen und Seen und halbzahmen Rehen. Ist es nicht ein unbeschreibliches Privileg durch eine derart grandiose Natur in gemächlichem Tempo zu radeln, dort zu halten, wo man eben halten möchte, den kleinen Dingen Aufmerksamkeit schenken zu können, den aromatisch harzigen Geruch der Pinien zu riechen, den Hauch des Windes im Nacken zu spüren… Wenn uns die Menschen fragen, was uns dazu verleitet, uns auf derart viel Anstrengung und Entbehrung einzulassen, liegt die Antwort doch eigentlich auf der Hand, es sind nicht die Entbehrungen, die in uns ihre Spuren hinterlassen, es ist die Bereicherung um Achtsamkeit in ihren mannigfaltigsten Facetten… Nach einem langen und harten Arbeitstag, so schön er auch sein mag, rufen dennoch alsbald die Grundbedürfnisse nach Befriedigung…Essen, Schlaf und wenns ganz einfach geht eine Dusche. Auf der Suche nach alldem treffen wir auf den schrulligen Sid und sein treue Gattin Kareen, sowie die ebenso kauzig wie lustig und liebenswerten Wohnmobil Nachbarn Bruce und Sally. Ein geniales und endlos witziges Freundesgespann, die in ihrer Pension als freiwillige Park Ranger arbeiten, uns eine halb verbotene heiße Dusche im Angestellten-Fitnessstudio verschaffen und uns den Abend mit köstlichen Anekdoten ihrer Aufgaben und Bier verkürzen. Bei Einbruch der Nacht müssen wir uns den letzten Pflichten stellen, Hugo bettreif machen und alles Wohlschmeckende, von Essen bis Seifen und Zahnpaste in der Bären Box zu verstauen. Nächtliche Einbrüche in Autos, Zelten, wo auch immer was zu finden ist, sind nämlich unter den heimischen Schwarzbären scheints sehr beliebt. Was tun aber in der Folgenacht? Die weit über 2000 Meter bis zur Passhöhe bewältigen wir unmöglich an einem Tag und so schleichen wir uns am späten Abend in den Wald…den tiefen, nicht befahrbaren, eben tiefen Wald, wo ringsum um unsere malerische Lichtung schlichtweg nur Bäume und Berge stehen. Essen ins Zelt? NEIN! Essen auf dem Rad? NEIN, Chiles Füchse haben uns ja bereits ausgiebig dahingehend belehrt. Essen auf…, ja wohin denn nun? Auf den Baum! Flaschenzugsystem und in drei Metern Höhe baumelt unser Proviant bis zum nächsten Morgen und siehe da, bleibt unberührt. Ohne Frühstück los zu radeln hätte einfach keine Qualität. Vor allem können wir der Energie keinesfalls ermangeln, der Weg zum Tioga Pass ist lang, hart und hoch, aber erneut von einer beispiellosen Schönheit und derart beeindruckenden Panoramen, dass wir durch die regelmäßigen „Genuss“ Pausen nur langsam vorankommen. Dem romantischsten Picknickplatz an einem einsamen Gebirgssee können wir genauso wenig widerstehen wie den unzähligen Foto Stopps auf dem immer kälteren Weg nach oben. Endlich die noch tiefverschneite Passhöhe errungen beenden wir den Tag mit einer 20 Kilometer Abfahrt, die einen imposanten und einschneidenden Wechsel der Landschaft ankündigt…die Wüste ruft! Mittags steht die Sonne hoch über uns und anstatt des erwarteten und nicht minder erhofften Rückenwindes bläst uns die Brise schon ganz ordentlich um die Ohren. Einzig der Höhe scheinen wir es zu verdanken, dass uns die Temperaturen als milde und angenehm zum Radeln erscheinen. Wir durchqueren ein geologisch spannendes Tal, die Caldera nach einem gewaltigen Vulkanausbruch, von dem das schwarze Tuffgestein zeugt, das sich von der östlichen und noch verschneiten Sierra Nevada Kette deutlich abhebt. Das Tal endet in einer langen Abfahrt im heißen Owens Valley, das trotz recht beachtlicher Temperaturen durch teils intensive Bewässerung viele kleine Oasen aufweist. Auf uns wartet die größte Oase im kleinen und gut ausgestatteten Städtchen Bishop, genau gesagt in der Shoshone Road Nummer 1607. Wir klingeln und ein eigentlich noch Fremder öffnet die Tür und heißt uns herzlich willkommen. Brad Larson sieht uns zwei Tage zuvor in Yosemite radeln, erkundigt sich wohins geht und gibt uns seine Nummer…in Bishop würden Betten, Essen und Dusche auf uns warten. Das muss man uns nicht zweimal sagen…Und da stehen wir nun, selig vor Glück, als er uns ins riesige Gästezimmer seines Lodge-artigen Hauses führt und nebenbei erwähnt, dass das Hähnchen fürs Abendessen schon am Grill sei. Ein ungezwungener netter Abend mit einem großzügigen Menschen und neuen Freund. Beinahe ist es der Geruch nach frischem Kaffee, Rührei und Toast, der uns aus den Betten zwingt. Brad stärkt uns für die Weiterfahrt und verabschiedet uns mit zahlreichen Tipps und Infos für die kommenden Tage. Flach, windig, malerisch fahren wir zwischen der Sierra Nevada und den Inyo Hills Richtung Lone Pine. „Das also ist Lone Pine“, ein Filmzitat über ein filmgeschichtlich äußerst bedeutsames Dörfchen am Fuße der Alabama Hills, denen es seinen Ruhm verdankt. Unzählige Western und Hollywood Klassiker wurden in den Hügeln und der Steppe östlich des Ortes gedreht und haben Lone Pine eindeutig den Stempel eines lieblichen Filmstädtchens aufgedrückt (Saloon, Filmmuseum etc.), wenn auch mittlerweile etwas verblasst. Der wilde Westen wird hier zur surrealen Realität und seine Aura spüren wir an unserem Zeltplatz direkt am Fuße des Alabama Hills ganz besonders deutlich. Fehlt allein der Mann mit der Harmonika, der uns bei aufgehendem Vollmond das Schlafständchen spielt. … Im Alabama Cafe lassen wir den Morgen deftig beginnen, Rühreier mit Käse und Schinken, Hush Browns (Kartoffelrösti amerikanisch) und Toast. Immerhin steuern wir einer besonders herausfordernden Destination entgegen – Death Valley. Hinter uns lassen wir das östliche Gebirgspanorama mit dem höchsten Berg der südlichen Vereinigten Staaten, Mt. Whitney (4.421 Meter) und streben ein Tal an, das teilweise unter dem Meeresniveau liegt und als heißester Ort der USA, wenn nicht sogar weltweit gilt, mit Rekordtemperaturen bis 57 ° C. Unzählige Warnungen begleiten uns auf dem Weg, Überhitzung, Lebensgefahr, jedenfalls genug Wasser mitnehmen, nie untertags fahren…aber auch ungebrochene Hochachtung und Bewunderung für unsere Unternehmung. Die Fahrt beginnt angenehm, mäßig ansteigend durch Halbwüste vorbei an Joshua Tree „Wäldern“ und frühlinghaft bunten Blumeninseln, als uns ein ohrenbetäubendes Donnern durch Mark und Bein erschüttert und ein Kampfjet nur knapp über unsere Köpfe hinwegfegt. Eine kleine Erinnerung an die nahen Air Force Basen in der Wüste Nevadas… Kurz nach dem offiziellen Parkbeginn zieht sich die Straße in unzähligen Serpentinen durch bunte Canyons und Täler in die höllischen Temperaturen des Tales. Ein kleiner Vorgeschmack, denn noch befinden wir uns auf ca. 500 Metern Meereshöhe. Kurz nach der Senke des ersten Tales versuchen wir unsere verdiente Nachtruhe einzuleiten, beinahe vergebens, denn die anhaltend heißen Temperaturen lassen an Schlaf unmöglich denken. Lange starren wir in den nächtlichen Sternenhimmel, dem klarsten seit unseren Atacama-Tagen und werden spät aber doch von unserer Erschöpfung übermannt…Ein Glück, denn Tagwache wird auf 5h morgens angesetzt. Ein knapp 800 Meter hoher, steiler Pass liegt vor uns über den wir in den heißesten Abschnitt des Death Valley gelangen. Eine Klapperschlange wartet geduldig im Schatten der Straße auf die aufgehende Sonne, die wir mit ungewohntem Respekt, beinahe Furcht erwarten. Früh genug ist die Passhöhe geschafft und wir blicken ehrfurchtsvoll auf die fernen tief unter uns gelegenen Sanddünen des „Todestales“, dem es seinen Namen einigen Pionieren zu verdanken hat, die es auf der Suche nach Gold zu durchqueren hatten. Kurve um Kurve steigen die Grade an und immer heißerer Wind bläst uns entgegen auf der Fahrt nach Stovepipe Wells (Ofenrohr W.). 10.30h - zu früh, um Halt zu machen, zu spät um die 40 km zur nächsten Versorgung anzutreten, beschließen wir es doch zu wagen, füllen alle Flaschen und Wassersäcke und begeben uns in die gleißende Hitze des nahenden Mittag. Vorbei an Sanddünen, dem Maisfeld des Teufels, salzig steinigen Ebenen und zerklüfteten Hügeln immer tiefer auf -150 Fuß (ca. -50 Meter) Meereshöhe wo die Temperaturen auf 45°C ansteigen und die letzten Kilometer ins Touristenbüro und somit zur nächsten Raststelle ein Kraftakt gegen Erschöpfung, Hitze und Durst werden. Das verbliebene Wasser in den Flaschen nähert sich dem Siedepunkt und ist kaum mehr genießbar und dennoch das Kostbarste des Augenblickes. Das bedrohliche Glimmern über dem Asphalt lässt die sich langsam nähernde Oase Furnace Creek (Brennofen Cr.)wie eine Fata Morgana erscheinen. Erst als wir endlich in den Schatten des Tourismusbüros flüchten, das kalte Wasser in unsere Kehlen hinunterrinnt und wir uns den Staub von Gesicht und Händen waschen, wissen wir, dass wir es vorerst geschafft haben. Death Valley, Timbisha für die indigenen Shoshonen, ist beinahe bezwungen und wir haben es überlebt. Für einen Nachmittag sind wir Helden. Im Fünf-Minuten-Intervall hält jemand neben uns und unseren Bikes, bewundernd hin und her blickend und kaum glaubend, dass wir uns den unerträglichen Temperaturen per Rad gestellt haben. Ein letzter Pass stellt sich zwischen uns und die befreienden kühleren Höhen, und auch der annähernd patagonische Gegenwind hält uns nicht davon ab, dem Tal zu entfliehen und den nächsten Bundesstaat zu erkunden. Nevada. Wüste. Wind. Las Vegas. Im Beinahe-Nichts der Wüste taucht sie plötzlich auf, die gewaltige Metropole, das berühmte fabulous Las Vegas, ein Meer an Glamour, Hotels und Casinos, eine Projektionsfläche wildester Träume von Ruhm und Reichtum. Eine Seifenblase. Illusion, Fantasie und Traum. Und im aberwitzigen Kontrast dazu zwei kleine unscheinbare und schmutzige Radfahrer, die sich im Chaos des Verkehrs durch das Luftschloss kämpfen. Staunend, lachend, glücklich. Eine Etappe ist bewältigt und ein Pausentag im Haus von Greg und Dawn der Mühen Lohn. Und wie es weiter geht? Das müssen wir selbst erst erfahren…
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November 2014
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