Ungeduldig jagt Christopher die geschäftige Calle Illampu auf und ab…auf der Suche nach einem raren Gegenstand in der Stadt, Schuhe in Größe 47. Seine eigenen haben es sich irgendwo auf den Schotterstraßen Boliviens nicht nehmen lassen die Reise abzubrechen und in Gummilatschen – so treu sie auch sein mögen - lässt sich unser Projekt Berg nicht gerade problemlos ausführen. Nach langem Hin und Her wird man in der Reiseagentur doch fündig und der Minivan, in dem wir zu viert zappelig warten bekommt das erlösende Freizeichen. Wir drängeln durch die engen Straßen La Paz bis wir endlich dem Ballungszentrum entfliehen können und über das karge Altiplano, vorbei an surreal anmutenden rosa-orangen Lagunen in Richtung unseres Berges, den 6.088 Meter eisig aufragenden Huayna Potosi, rasen. Den Nachmittag verbringen wir mit Pickel und Steigeisen auf der „Übungsbühne“, einem der Gletscherausläufer, klettern die Eiswand hinauf und hinunter, werden von der Vorfreude und der Aufregung auf den kommenden Tag geradezu beflügelt. Nach einer Nacht im Base Camp schultern wir kurz nach Mittag unsere schweren Rucksäcke – es geht los, frohen Mutes stapfen wir über eine schottrige Endmoräne unserem Wagnis entgegen. In einem provisorisch eingerichtetem Freiluftbüro entrichten wir 10 Bolivianos (1 €) Nationalparkgebühr, schnallen die Steigeisen an und marschieren über einen schmalen Pfad durch sulzigen Schnee in immer eisigere Höhen zum „High Camp“ auf 5.300 Metern. Die letzten 150 m, immer dünner werdende Luft und ein zunehmender Gradient, strapazieren zunehmend unsere Kräfte. Die Aussicht auf die umliegenden 6.000er, die tief unter uns liegenden Stauseen und den Gletscher ist dafür im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Berauscht durch den ersten Teilerfolg genießen wir das Panorama und die letzten wärmenden Strahlen der Sonne, bevor wir uns am frühen Abend in die Schlafsäcke kuscheln, um so viel Schlaf wie möglich vor dem Gipfelsturm zu ergattern. Es sollte nicht mehr werden als ein Wälzen und Drehen, ein Schlafen und Erwachen, ein Ringen nach Luft und sich selbst Beruhigen, bevor uns Bergführer Luis um 1.20h in die müden Gesichter leuchtet – es ist Zeit aufzustehen. Schlaftrunken und erregt zugleich packen wir die Ausrüstung, hüllen uns in mehrere Schichten Funktionskleidung und treten in die eisige Kälte der Nacht hinaus, die durch einen berauschend klaren Sternenhimmel geziert wird. Sternschnuppen flitzen über unsere Köpfe hinweg und der sichelförmig über uns hängende Mond erleuchtet geduldig den Weg. Flach kreuzen wir zunächst Richtung Gipfelmassiv, bevor es zunehmend steiler wird und wir nur parallel unsere Schritte setzen können. Wir kommen gut voran, arbeiten uns an einigen Seilschaften vorbei, setzen einen Fuß vor den nächsten, so schwer er auch fallen mag, so viel Anstrengung und Atemzüge er auch kosten mag. Nach drei Stunden verweilen wir ein letztes Mal in der klirrenden Kälte und sammeln unsere Kräfte für die verbleibenden 80 Meter, die uns vom Triumph trennen. Ein schmaler eisiger Grat führt steil an einer gefrorenen Schneewächte ans Ziel. Kaum, dass wir unsere Schritte sicher aufsetzen können, weder Steigeisen, noch Pickel wollen sich so richtig fest verhaken. Links fällt der Hang beinahe 90 Grad ab, rechts hinter der Eiswand können wir das Gleiche erahnen. Noch versuchen wir uns von dem sich offenbarenden Panorama zu distanzieren, zu groß die Gefahr der Ablenkung und eines Fehltrittes. Jeder Schritt eine Überwindung, jeder Schritt ein tiefer und doch unbefriedigender Atemzug, jeder Schritt näher unserem ersten gemeinsamen 6.000er…Wenige Augenblicke später ist es geschafft, auf 6.088 Metern über dem Meeresspiegel sacken wir auf dem Gipfel des Huayna Potosi in den kalten Schnee. Erschöpft, berauscht, überglücklich, wir sind die Helden des Augenblicks – ein Moment für die Ewigkeit. In Rot- und Orangetönen zeichnet sich der neue Morgen am Horizont ab und verabschiedet die eisige Nacht. In der Ferne funkeln die Milliarden Lichter der Stadt, der riesige Titikakasee liegt wie ein Winzling weit und tief unter uns…Magisch…Die aufgehende Sonne erleuchtet nun jeden Winkel des vorher im Dunkel verborgenen Berges und gibt ihn beim Abstieg für unsere Blicke frei. Im ewigen Weiß scheint alles unter uns einer anderen Welt anzugehören. Wie im Rausch steigen wir zum High Camp, zum Base Camp und blicken nur kurze Zeit später stolz und sehnsüchtig aus dem Fenster des Minivans zurück auf unseren Berg, unseren 6.000er, unseren Huayna Potosi. Inbrünstig umarmt uns die lärmende Großstadt wie eine überschwängliche Liebhaberin, Marktgeschrei, hupende Taxis, unzählige Touristen, die sich im historischen Zentrum La Paz mit bunten Souvenirs und Geschenken eindecken. In den engen steingepflasterten Gässchen rauchen überall kleine Öfen, in die tanzende und traditionell gekleidete Bolivianer Coca Blätter und aromatische Kräuter werfen, eine lange Stoffbahn wird mit Bananen, Kartoffeln und Fleisch belegt, Bier auf den Boden geschüttet… Die kleinen Läden am Mercado de Brujas (Hexenmarkt), deren Pforten getrocknete Lama Embryos und –Föten „zieren“ sind gut besucht von Jung und Alt, Arm und Reich, Modern und Traditionell – sie alle widmen den ersten August voll und ganz Pachamama (Mutter Erde), bringen Opfergaben dar und erbitten so gute Geschäfte, Gesundheit…. Es ist spannend sich in diesem Trubel aus Gesang, Tanz und Feiern ein wenig zu verlieren… Wir lösen uns aus den Klammern der Stadt, verlassen das familiäre Ambiente der Ciclistas und ziehen weiter, immer der Nase nach. Die eisigen Riesen der Cordillera Real verabschieden uns am Horizont bis das ewige weite Blau des höchsten schiffbaren Sees der Erde und zweitgrößten Sees Südamerikas auftaucht – des Lago Titikaka. Eine grandiose Panoramastraße leitet uns entlang des Ufers in das umtriebige Copacabana, das als wichtigster Wallfahrtsort Boliviens gilt. Eine prächtige Basilika im maurischen Stil beherbergt die „Virgen Morena“ (Dunkle Jungfrau) mit einer Krone aus purem Gold. Hunderte oder tausende bunt geschmückte Autos, vorrangig peruanischer Herkunft verstopfen die Straßen und die Seepromenade der Stadt – sie warten darauf ihre Autos segnen zu lassen. Hinzu kommen die Feierlichkeiten um den bolivianischen Staatsfeiertag, den sechsten August, alles in allem eine skurrile Melange aus Jahrmarktsstimmung und Pilgerflair –Rosenkränze, Heiligenbilder und Madonnenfiguren, Esel Fett und sonstige Allheilmittel, Schals, Tücher und Kleidung aller Art, Obst und Gemüse –alles wird auf dem Marktplatz emsig feilgeboten. Wir entfliehen dem Getümmel und Gewusel, suchen ein bisschen Spiritualität und Ruhe auf der Isla de Sol (Sonneninsel), die in der Incamythologie und schon in Vor-Inca-Zeiten eine wichtige Rolle spielte. Zwei Stunden schippern wir über den etwas unruhigen See und werden an der Nordflanke des Eilands ausgesetzt. Der magere und etwas hektisch anmutende Aymara (indigener Stamm im Altiplano Boliviens) Franko führt uns die steilen terrassenförmig angelegten Hügel entlang zum heiligsten Ort der Insel, dem Pumafelsen. Leidenschaftlich und flammend entführt er uns in die Sagenwelt, die um die Isla del Sol rankt, wo der Sonnengott seine Kinder, den ersten Inka und seine Frau, zur Erde gelassen haben soll… Über den Höhenrücken der Insel – mit Blick auf den überdimensionalen See und die umgebenden Schneespitzen - spazieren wir an das Südufer der Insel, wo wir zurück in den Trubel Copacabanas befördert werden. Nach mehr als zwei Monaten ist es nun soweit, Abschied nehmen, etwas Neues beginnen, die Grenze überschreiten, Peru wartet... Eine weitere spannende, unikale und bemerkenswerte Kultur am Lago Titikaka wollen wir für uns ergründen…Was mag sich der erste Uru gedacht haben, was mag man über ihn gedacht haben, wie mag sein Volk wohl reagiert haben auf seinen Vorschlag? Unmöglich, verrückt, unausführbar… Wie groß muss die Bedrohung durch überfallende Stämme gewesen sein, dass der Plan dennoch in die Realität umgesetzt wurde? Welche Alternativen hätte es gegeben? Das Festland für immer zu verlassen, den Titikakasee zum Lebensraum werden zu lassen, neue Inseln zu erschaffen – nicht aus Stein, nicht aus Fels – Nein, meterdicke Schichten aus Wurzelstock und Halmen des Totora-Schilfs, auf denen der Stamm der Urus Zuflucht suchte und fand. Langsam treiben wir auf die kleine artifizielle Welt, fünf Kilometer vor Puno, gespannt darauf, was uns erwartet. Über sechzig solcher Inseln existieren, obgleich nur noch wenige Urus diese harte Lebensart auf dem Wasser bevorzugen und viele zurück aufs Festland zurückgekehrt sind. Auf der ersten Insel, die wir ansteuern leben zwanzig Personen – sechs Familien – in einfachen Hütten aus Schilf. Die Zeiten haben sich dennoch auch für sie weiterentwickelt, ein solarbetriebener Fernseher sorgt für Unterhaltung, Motorboote lösen die prächtigen Schilfboote ab und der Tourismus wurde zum integralen Bestandteil des Lebensunterhaltes. Souvenirs werden angeboten, in Restaurants und kleinen Geschäften sorgt man für das leibliche Wohl der Gäste aus aller Herren Länder. Fernab jedoch vom Festland, wo nur wenige Besucher den Rhythmus der Bewohner stören, wird ein noch authentisches Leben bevorzugt… Trotz aller Kommerzialisierung eine spannende Reise in eine Welt, die wir eher im Reich der Comics und der Fantasie erwarten würden… Wie es dann weiter ging? Das erfahrt ihr beim nächsten Mal! Also dran bleiben und einschalten wenn es wieder heißt... ach, was reden wir, der nächste Beitrag kommt bestimmt, wir radeln schon mal voraus…
1 Comment
Christine
19/8/2013 02:03:04
Liebe Agnes, lieber Christopher,
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