Die Bustüre schließt abrupt hinter uns, der Fahrer tritt ordentlich ins Gaspedal und lässt uns allein im strömenden Regen zurück. Was für ein Tag zum Wandern… nach wenigen Minuten schon fühlen wir uns bis auf die Haut durchnässt, die ach so schönen Berggipfel verstecken sich in einer dichten Nebeldecke, unsere geliehenen Trekkingrucksäcke sind so schwer, dass wir sie nur mit Müh und Not auf unsere Schultern hieven können und vor uns liegen nun vier Tage Wandern in der Cordillera Blanca, die uns bei anhaltend miesem Wetter kaum viel Freude bereiten werden. Ein etwas verhaltenes Lächeln aufgesetzt, ein Liedchen auf den Lippen (zumindest im Geiste) und lockeren Schrittes marschieren wir los in Richtung Laguna 69. Der Weg schlängelt sich durch ein Quinawäldchen über Wiesen und ein Bächlein bis der steile Anstieg beginnt. Zunehmend mischen sich Schneeflocken unter die dicken Regentropfen und trotz adäquater Winterverpackung und nicht wegzuleugnender Anstrengung bringt uns der kalte Wind zum Frösteln und Schlottern. Längst schon ist das Lied auf den Lippen verstummt, das Lächeln (beinahe) versiegt und ein Funken Missmut will sich unserer bemächtigen, als vor uns die Laguna 69 die Bühne betritt und jedem Unmut ein jähes Ende bereitet. Das intensive türkis-blaue Gewässer spiegelt selbst im trüben Licht den Gletscher wieder und leuchtet so magisch, dass wir die längste Zeit in seinen Bann gezogen sind. Auf die kalte und nasse Rückwanderung folgt eine noch kältere und nässere Zeltnacht – auf diese allerdings ein strahlend blauer und sonniger Morgen. Der Vorhang aus Nebel und Wolken ist gefallen, gewaltig und Respekt einflößend ragen die weißen Häupter des Bergmassivs in die Höhe. Der zweiköpfige Riese Huascaran, seines Zeichens höchster Andengipfel Perus krönt mit seinen gewaltigen Dimensionen den Horizont. Der eigentliche Santa Cruz Trek beginnt für uns recht gemächlich. Durch kleine Bergdörfchen führt der Weg zunehmend in die Einsamkeit der Bergwelt Perus. Ein kleines Bächlein schlängelt sich durch eine zauberhafte Hochebene, auf der Pferde und Esel weiden und die Welt ihren Atem anzuhalten scheint. Im glasklaren Wasser werden die Strahlen der Nachmittagssonne tausendfach reflektiert und jeder Schritt bringt uns den Eisriesen etwas näher. Steiler und steiler werden wir nun in Richtung Passhöhe geleitet, vor uns ein imposanter Gletscher, der in uns ein bisschen Sehnsucht weckt, nicht nur an ihm vorbei zu spazieren, sondern ihn für uns zu erobern, seine Gewaltigkeit hautnah und unter unseren Füßen zu spüren und zu erleben. Auf 4.700 Metern ist der Scheitel erreicht. Vor uns erstreckt sich ein Panorama, das uns für Minuten in sprachloses Staunen versetzt…Gletscher reiht sich an Gletscher und in weiter Ferne funkelt das Türkis einer kleinen Lagune. Allen voran haben es uns der „Paramount Pictures“ Star Artesonraju und der angeblich schönste Gipfel der Welt Alpamayo angetan, die elegant in den wolkenlos blauen Himmel ragen. Könnte man, man wollte ewig verweilen. Von nun an geht’s stetig bergab, einen halben Tag, einen Tag, bis wir ein letztes Mal sehnsüchtig zurückblicken und die großen „Weißen“ weit hinter uns bleiben. Unsere Tage in Huaraz sind beinahe gezählt und wir genießen letzte Stunden auf der Terrasse unseres Hostels, vertieft in Radler Gespräche mit unserem Freund Arnaud, bevor wir für ein Weilchen unsere letzte Etappe antreten. Ein letztes Mal radeln wir am Nationalpark vorbei, Huascaran und seine Kollegen hüllen sich allerdings allesamt in eine dicke graue Wolkenschicht ein. Das was pura bajada (reine Abfahrt) und somit eine Art Genuss-Radeln sein sollte wird zu einem anstrengenden Kampf gegen den Wind, der uns bis zu Küste begleiten sollte. Nun tut aber auch die Schwerkraft ihre Arbeit und so schaffen wir es schon am ersten Nachmittag zum Einstieg des Etappen-Highlights - Cañón del Pato (Entenschlucht). Das zuvor weite und tiefgrüne, intensiv bewirtschaftete Santa-Tal verengt sich zunehmend zu einem tiefen felsigen Canyon, wo sich die gegenüberliegenden Gebirgsketten Cordillera Negra und Blanca bis auf 15 Meter an engster Stelle beinahe berühren und sich der Rio Santa in schwindelerregender Tiefe durch die Schlucht schlängelt. Das atemberaubende und einzigartige Erlebnis, insbesondere für Radfahrer sind allerdings 35 einspurige und nicht beleuchtete Tunnel, vom Ausmaß eines Torbogens bis hin zu sich um Kurven krümmende und stockdunkle Durchfahrten, durch man sich beinahe blind durcharbeiten muss, es sei denn ein Bus oder Auto befindet sich zur gleichen Zeit im Tunnel und spendet etwas Helligkeit. Im Licht des Tages ergießen sich Wasserfälle tosend und steil über natürliche Treppen ins Flusstal. Ein grandioses Gesamterlebnis! Auf Staub und Schotter windet sich die Straße weiter entlang des Flusses, das Tal öffnet sich und die umliegenden rot-gelb-schwarz eingefärbten Felsen erinnern an Bob Ross’ altmodische Aquarellgemälde. Gegen Mittag gewinnt der Wind gegen Waden- und Schwerkraft wieder die Übermacht, zusammen mit 35° C wüstenartiger Hitze und minutenlangen Staubwolken nach jedem passierenden Fahrzeug eine zermürbende Kombination. Im klein(st)en Dörfchen Mirador dessen Häuser zur Hälfte bereits dem heißen und gnadenlosen Wind zum Opfer gefallen sind, gönnen wir uns im einzigen kleinen Geschäft ein lauwarmes Bier und eine kurze Pause. Die gesprächige und liebenswürdige Besitzerin Nancy ist dankbar für ein wenig Abwechslung und Gesprächsstoff und erzählt uns ein wenig aus ihrem Leben. Ihr Heimatdörfchen Mirador zähle nur sechs (!) Einwohner, sie selbst habe in der nächsten Stadt als Lehrerin gearbeitet, was sie uns mit „Hello, my name is Nancy“ prompt beweist. Stolz zeigt sie uns ein Foto ihrer drei Söhne, die längst aus dem Haus sind und einen kleinen Koalabären von ihrer Cousine aus Australien. Stundenlange Erklärungsversuche, dass Australien und Österreich so ähnlich wie Tag und Nacht sind, sparen wir uns ausnahmsweise. Langsam lässt die Hitze des Tages nach, die Sonne nimmt ein sanftes Licht an und neigt sich verdächtig gegen Westen, Zeichen genug, um endlich einen Schlafplatz zu suchen. In Chile-analoger Weise versuchen wir nach einigen zugegebenermaßen doch etwas furchteinflößenden Warnungen gegen „Wild-Campen“ unser Glück neben einer Einmann-Polizeistation und werden dort prompt fündig. Kaum haben wir Hugo aufgebaut und die letzte Nudel hinuntergeschlungen gesellen sich drei weitere Ciclistas (Radfahrer), Jan und Eva aus der Slowakei und Andy aus Schottland neben uns. Herrlich lustige und unterhaltsame Abendgesellschaft! Nun trennen uns nur noch wenige Kilometer von der Küste Perus. Über eine Privatstraße kürzen wir einen Großteil des Weges ab, passieren dabei Reisfelder und eine zunehmende wüstenartige Landschaft bis wir seit Langem wieder einmal auf der Panamericana landen (und uns auch prompt daran erinnern, warum wir sie meiden), die uns bis Trujillo erhalten bleibt. Trujillo, eine stinkende und lärmende Großstadt mit den rücksichtlosesten Autofahrern Perus, aber durchaus charmantem kolonialem Zentrum und einer hohen Dichte an bunten VW-Käfern gönnt uns nur wenige Stunden Aufenthalt, denn schon am gleichen Tag unserer Ankunft verabschieden wir uns für einige (viele) Tage von unseren geliebten Eselchen - es beginnen unsere Schnuppertag in Ecuador. Schon etwas entnervt und uns nach unseren Rädern sehnend besteigen wir den dritten und letzten Bus, der uns in fünf weiteren nach überstandenen fünfzehn Stunden Busfahrt nach Cuenca bringen soll. Irgendwie ein komisches Gefühl, ohne jedweder Anstrengung und so plötzlich in das nächste Land unsere Reise katapultiert zu werden. Und ob man es glauben will oder nicht, fällt uns schon nach Kurzem der deutliche Unterschied zu Peru auf, nicht nur des Dollars wegen. Gespannt und voll Vorfreude warten wir im Hotel auf die Ankunft von Markus, mit dem wir einige Tage, gewissermaßen einen „Kurzurlaub“, verbringen werden. Endlich klopft es an der Tür, er ist da, juhuuu, der Spaß kann beginnen. Zur Feier des Tages gibt es ein Bierchen, das wir nur unter verstecktem Mantel kaufen konnten, denn in ganz Ecuador herrscht am Sonntag ab 16h ein strenges Alkoholverbot. Nachdem wir die gröbsten Begebenheiten des letzten Jahres ausgetauscht haben, beginnt für uns die Bescherung, Bergkäse aus Schlins, Mannerschnitten, neue Schuhe für Christopher, Geschenke für Mariposita und Tigre…DANKE!!! Wir erkunden die wunderschöne koloniale Altstadt Cuenca, mit unzähligen Kirchen und Museen (darunter ein Panama-Hut-Museum, in dem wir uns stilecht eindecken) und einem farbefrohen Markt, dem wir täglich einen Besuch abstatten. Der Brombeer-Batido (Brombeershake mit Milch) hat es uns allen dreien besonders angetan. Im nahen Cajas-Nationalpark legen wir einen Wandertag ein, schließlich müssen wir ja rasch eine Gelegenheit schaffen, um Bergkäse und Mannerschnitten passend einsetzen zu können, wo ginge das wohl besser als beim Wandern!? Fünf Stunden südlich von Cuenca liegt das sympathische kleine Dörfchen Vilcabamba, eingebettet in ein zauberhaftes Tal, indem Kaffee, Bananen und allerlei Zitrusfrüchte gedeihen, umgeben von einer sanften und dennoch markanten Hügellandschaft. Hier beginnt so richtiges Urlaubsgefühl, Hängematten-Schwingen, Plantschen im Pool und jeden Tag eine Wanderung in der herrlichen Umgebung Vilcabambas. Während Markus dem benachbarten Podocarpus Nationalpark einen Besuch abstattet genießen wir das Glück dieser Erde auf dem Rücken der Pferde. Wie herrlich, trabend und galoppierend diese pittoreske Landschaft zu erleben! Auf der Finca unseres Guias Holger werden wir mit Bananen und Kaffee aus Eigenanbau versorgt, während wir in der Hängematte schwingend die Wahnsinns-Aussicht genießen. Die letzten Höhenmeter zum Gipfel des Hausberges ersteigen wir zu Fuß und bestaunen das 360° Panorama auf das Dorf und die umliegenden Täler. Viel zu schnell ziehen die Tage mit Markus vorüber, jeder gefüllt mit wunderbaren Erlebnissen in der bezaubernden Natur im Süden Ecuadors. Viel zu schnell stehen wir einander gegenüber, uns wehmütig verabschiedend, jeder wieder seines Weges gehend, jeder zurück in seinen Alltag. Viel zu schnell sitzen wir wieder im ungemütlichen Bus, der uns nach fünfzehn Stunden quälender Fahrt zurück in Peru ablädt. Zurück in unseren Alltag, zurück auf die Straße nordwärts…
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November 2014
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