Das große Deutschland zieht an uns kleinen Radfahrern vorüber wie im Traum. In Hamburg sehen wir uns mehr als zuvor mit der Tatsache konfrontiert, dass sich unser Kreis langsam schließt. Am 19. September 2012 beginnt hier unser Abenteuer an Bord der HS Schubert. Alles liegt vor uns, so weit und tief, so unergründet wie der Atlantische Ozean, den wir überquerten. Am 20. August 2014, bei einem Wolkenbruch, der sich gewaschen hat, kehren wir zurück, dahin zurück wo alles begann. Wir radeln die Alster entlang, spazieren vorbei am imposanten Rathaus, lassen unsere Erinnerungen an den Landungsbrücken aufleben, beim Anblick der Stahlkräne des gegenüber gelegenen Frachthafens. Wir seufzen. Wir lachen. Was wir nicht alles erlebt haben in diesen zwei Jahren. Und nichts davon wussten wir noch zwei Jahre zuvor. Das freudigste Ereignis, in dessen Zeichen unsere Hamburg Rückkehr steht ist die Hochzeit von Robert und Sonja, unsere Freunde, die uns damals beherbergt und verwöhnt hatten. Ein Tag, ein Abend, eine Nacht, die nicht im Zeichen des Radfahrens stehen und Stunden, in denen unsere zunehmende Melancholie vom Freudenfeuer des Festes verzehrt wird.
Und nun beginnt sie tatsächlich, diese letzte Etappe, die wir kaum für möglich gehalten hatten, als wir noch so fern waren und so gefesselt von den Erlebnissen, den Augenblicken in der Ferne. Der Weg aus der Großstadt an der Elbe führt uns noch einmal vorbei am Hafen, zieht sich dann durch ewig scheinende Vorstadt, bis auch sie abgelöst wird von der verklärt romantischen Aura der Lüneburger Heide. Ein zauberhaftes Stückchen Erde, das wir hier vorfinden. Altrosa leuchtet das Meer aus Heidekraut im abendlichen Licht bis an die Grenzen des Horizontes und gefällig betten sich darin Wäldchen und kleine beschauliche Dörfchen mit strohgedeckten Häuschen ein. Wie passend in diesem Ensemble, ein Schäfer der seine Herde weißer Schäfchen nach Hause geleitet… Beinahe scheint es uns, als hätten wir die Schönheit Deutschlands unterschätzt. Besonders hinreißend sind die unzähligen Fachwerkstädtchen, die noch heute längst vergangene Zeiten ausstrahlen. Das Harzgebirge hingegen, höchstes Gebirge im Norden des Landes, besticht mit ausgedehnten Wäldern, tief eingeschnittenen Tälern und gewaltigen Stauseen. Auch hier scheint die Zeit still zu stehen. Ein Gefühl das sich zunehmend verstärkt, als wir durch Thüringen radeln das ehemals der DDR angehört hatte. Die Schere, die zwischen Stadt und Land herrscht, sticht uns hier besonders ins Auge. Die größeren Städte blühen und florieren, allen voran das geschichtliche Weimar, das wir ausgerechnet zu Goethes Geburtstag erreichen, ein Höhepunkt an Trubel, Ausgelassenheit und Leben. Im Kontrast dazu scheinen manche bäuerlichen Dörfer beinahe gänzlich entvölkert und verwaist, wer zurück bleibt sind Betagte und jene jungen Menschen, die auch hier auf ihre Chance hoffen. Ihr Zenit liegt vorerst hinter ihnen. Auch der Sommer lässt sich zunehmend seine Müdigkeit anmerken. Am Morgen ist unser Hugo triefend nass, unsere Finger klamm und die Muskeln steif von der Kälte der Nacht. Die dichten Nebelschwaden lichten sich nur zögerlich und geben erst am späten Vormittag den Sonnenstrahlen eine Chance, den Süden Deutschlands zu berühren, den wir mittlerweile erreicht haben. Bayern, das klingt schon fast nach daheim. Fast, denn einiges liegt noch vor uns. Das UNESCO Weltkulturerbe Bamberg, das in endlosen Regengüssen zu versinken droht, der Main-Donau-Kanal Radweg entlang dessen Ufern wir uns, ohne viele Hindernisse überwinden zu müssen, in den Süden bewegen. Ein letzter Besuch steht auf dem Programm, in der ehemals kaiserlichen Residenzstadt München, die nach Weißwurst und Brezel, Hopfen und Malz duftet. Vor Kurzem erblickte hier der kleine Johann das Licht der Welt, seines Zeichens Sohn von Gunnar und Vroni und ihn zu begrüßen wollen wir uns keinesfalls nehmen lassen. Ein erstes Wiedersehen, ein fröhliches Wiedersehen, mit Bier, mit Münchner Weißen, wie es sich eben gehört, für jemanden, der lang fern war von europäischen Traditionen. Wir verabschieden uns, schlagen einen bereits bekannten Weg ein, den Inntalradweg, der uns knapp zweieinhalb Jahre zuvor von Vorarlberg nach Oberösterreich als kleine Teststrecke gedient hatte. Es fühlt sich an wie Heimat, der Inn, das nahende Innviertel und nach zwei Tagen der Anblick des barocken Schärding, das von deutscher Seite aus majestätisch über den Flussufern thront. Ist es Einbildung, oder Wahrheit, Freude oder Angst, die unseren Herzschlag subtil beschleunigen, als wir langsam über die Innbrücke erstmals wieder mit dem Rad österreichischen Boden unter Füßen und Rädern haben. Und doch alle Aufregung vorerst vergebens, denn am Stadtplatz nimmt das rege Leben von uns keine Notiz. Wir sind nur zwei von vielen Radfahrern entlang des Inns, nur unsere abgetragene Kleidung, der Staub tausender Kilometer und unsere Erinnerungen könnten den genauen Beobachter aufmerksam werden lassen. Zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Kilometer liegen noch hügelig vor uns, der Kalender wird sich den Tag unserer Heimkehr als 6. September 2014 merken. Strahlender könnte uns die Heimat kaum empfangen, mit frühlingshaften Temperaturen, blauem Himmel und ersten Anzeichen des nahenden Herbstes, die die Landschaft in ein warmes Gelb tauchen. Schon nach Kurzem meine ich jede Kurve zu kennen, jeden Hügel vorhersagen zu können. Wo ein Teil meiner Wurzeln liegt, in einem Dörfchen namens Sigharting ist der letzte Tausender erfüllt, das letzte Blatt unserer Geschichte bis auf den letzten Satz vollgeschrieben. Ein Hügel noch hören wir uns freudig rufen, bevor wir in der Ferne eine Gestalt auf einem Fahrrad auf uns zukommen beobachten. Das freudige, aufgeregt wirkende Treten in die Pedale und das sich nun abzeichnende Gesicht verraten meinen Vater schon von Weitem. Mit dem Glanz beinah einsetzender Tränen schließt er uns in seine Arme und führt unsere zweiköpfige Expeditionsmannschaft in den Hafen der Heimat. Ein Vortrupp der Familie empfängt uns ebenfalls mit den Rädern, Sekt und Gelächter, Umarmungen und Küsse läuten den letzten Satz ein. Die Symphonie endet mit Freunden und Familie, nur wenige Meter entfernt von jenem Haus, in dem ich groß wurde, in dem ich geprägt wurde zu dem Menschen der aus mir wurde und in dem Christopher nun so selbstverständlich dazugehört, als wäre er immer Teil davon gewesen. Applaus, Umarmungen, lautes Lachen, viele Fragen und Geschichten, der Kaiserwalzer aus der Trompete meines Vaters und den Tasten Karls, eine Siegerehrung auf hohem Podest, die Hymne unserer Heimat, eine Torte – süß und bunt wie die Reise, Gespräche bis tief in die sternenklare Nacht, die uns ganz sanft und schmerzlos in einen neuen Abschnitt unseres Lebens hinein begleitet. Und zum Schluss ein paar knallharte Fakten: lunademiel Statistics Abfahrt in Ushuaia: 17.1. 2013 Ankunft in Enzenkirchen: 6.9. 2014 355 Tage auf dem Fahrradsattel 24003 Gesamtkilometer 246 892 Höhenmeter gesamt Fahrzeit gesamt 1739 Stunden, pro Tag 4,9h im Schnitt 67,6 Kilometer durchschn. Pro Tag 695,5 Höhenmeter durchschn. Pro Tag Südamerika: 255 Fahrtage, 15123 Kilometer, 191587 Höhenmeter durchschn.: 59,3 km pro Tag, 751Hm pro Tag, 1267 Höhenmeter auf 100 Kilometer Nordamerika: 65 Fahrtage, 6032 Kilometer, 40464 Höhenmeter Durchschnitt: 92,8 km pro Tag, 622,5 Hm pro Tag, 670 Hm auf 100 Km Europa: 35 Fahrtage, 2848 Kilometer, 14841 Höhenmeter Durchschnitt: 81,4km pro Tag, 424 Hm pro Tag, 521 Hm auf 100 Km
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Das täglich Neue, oft Ungewisse, Unvorhersehbare, die Spontanität, Wandel und Veränderung sind jene Essenzen, die unserer Reise ihre Würze geben, sie sind das wonach wir suchten. Die beinahe größte Veränderung scheinen wir mit unserer Rückkehr nach Europa zu erleben. Vom Überinteresse der Amerikaner, die uns als Exoten betrachten, ändert sich die Stimmung zu fühlbarem Desinteresse an uns. Das mag wohl einerseits an der distanzierteren Mentalität unserer nordischen Freunde liegen, andererseits auch am deutlich zunehmenden Radtourismus in den hohen Breiten Europas. Zunächst beginnt unser Einstand allerdings herzlich und warm im Kreise der norwegisch-finnischen Familie Brandt. Ole, ein stämmiger Norweger, seine zarte frau Elina und die quirligen Töchter Siiri und Saga verwöhnen uns drei Tage lang in Stockholm mit ausladenden Frühstücksbuffets, herzhaften Dinners und viel Aufmerksamkeit und Gastfreundschaft. Ole führt uns auf den Rädern durch die Burg- und Schlosslandschaft in und um Stockholm, um unser Sightseeing Repertoire, das bis dahin nur aus dem Besuch des Schlachtschiffes Vasa besteht, ein wenig zu erweitern. Eine spannende Geschichte im Übrigen, die sich hinter diesem nun Museumsschiff verbirgt...Wir schreiben den 10. August 1628. Im Hafen von Stockholm herrscht dichtes Gedränge und Aufregung, die königliche Galeone Vasa steht kurz vor ihrer Jungfernfahrt. Ein prächtiges Schiff, reich verziert, das dem Kriegsgegner Polen mächtig Ehrfurcht beibringen soll. Die Anker werden gelichtet, die Segel gesetzt, Salut geschossen. Die Menge ist begeistert. Nach nur 1.300 Metern, etwa 20 Minuten Fahrt, bringt ein stärkerer Windstoß die Vasa zum kentern, der Großteil der Besatzung kommt dabei ums Leben. 321 Jahre liegt das Schiff am Grund des Stockholmer Hafens und wird erst 1959 geborgen, im Anschluss liebevoll restauriert und über die Jahre in ein Museum der Extraklasse umgewandelt.
Nach drei Tagen ruhen und rasten, nach Schiffen und Schlössern und viiiiiiel Essen, brechen wir unsere Zelte ab und starten ins Landesinnere Schwedens. Die Route sollte uns grob vorbei an den großen Seen Richtung Westküste und dann südwärts nach Dänemark führen. Beginnen wir doch mit unserer ersten Nacht im Zelt. Es überrascht wohl keinen, dass die Tage in Schwedens Sommer lang, die Nächte kurz sind. Praktisch umgesetzt, bedeutet es für uns ausgiebiges radln, man will ja nicht zu viel im Zelt herumlungern, spätes zu Bett gehen und leider aufgrund der schon früh einsetzenden Hitze in Hugos Bauch, frühes wachwerden und aufstehen. Das spüre ich in Kombination mit dem Souvenir gespiekten schweren Rad deutlich in Gliedern und Schenkeln. Die Leichtigkeit des Schmetterlingchens (Mariposita) ist kaum mehr zu spüren. Umso mehr beginnen wir in Schwedens Natur und Landschaft wieder die Leichtigkeit unseres Daseins zu empfinden. Vorbei an weiten Weizenfeldern, die herrlich golden im Mittagsschein der Sonne leuchten, durch altehrwürdige Lindenalleen und Wälder, Heidelbeeren in Hülle und Fülle, Momente der Harmonie und Freude, die uns den Sinn unseres Reisens erneut verdeutlichen. Wir versuchen dem Verkehr der Hauptstraßen weitestgehend zu entgehen und wählen die klein und kleinst Wege, die uns der Natur am nächsten sein lassen. Die mittlerweile obligatorische zehn Uhr Kaffeepause leiten wir mit einem Sprung in den klaren See ein, ungestört, unbeobachtet, nur wir und das kalte Nass auf der nackten Haut. Und wenn es am Wegesrand dunkelblau leuchtet, dann setzt unvermittelt der archaische Sammeltrieb ein und wir lassen uns ein paar Minuten forttreiben, das waldig-beerige Aroma süßer Beeren auf der Zunge schmelzend. Immer wieder forschen wir in Erinnerungen nach den Geschichten Astrid Lindgrens, die uns diese Welt schon als Kinder vorgestellt hat und die wir endlich so hautnah erleben dürfen. Zunehmend entgleiten unsere Gedanken auch die immer präsenter werdende Rückkehr in unser „Altes" Leben, sofern es denn so eines noch gibt. Die Straße unter unseren vier Reifen ist mehr und mehr der Weg nach Hause und so sehr wir uns bemühen diese Präsenz zu ignorieren, sie drängt sich zunehmend in unser Bewusstsein und die Brücke zwischen den Anfängen unseres Abenteuers und dem sich ankündigendem Ende ist beinahe fertig konstruiert. Aber vorerst sind wir noch das was wir seit beinahe zwei Jahren sind. Reisende, Radelnde, Träumende und vor allem frei. Vorbei an den großen Seen durch Mittelschweden erreichen wir nach einer guten Woche die Westküste Schwedens. Der köstliche Duft nach Ozean steigt uns unverkennbar in die Nase und der raue Wind bläst uns wieder einmal kräftig ins Gesicht. Aber irgendwie sollten wir den ja mittlerweile gewohnt sein und zumindest suggeriert es uns subtil einen Hauch von Schroffheit und Abenteuer. Das Kräftespiel mit den Urgewalten. Hugo thront hoch auf den Granitklippen, die Sonne hat den Zenit bereits lange überschritten und leitet mit ihrer warmen Röte einen lauen Abend ein. Andächtig kauern wir auf den nackten Felsen, mit den Gedanken irgendwo zwischen den Welten, den Zeiten und Kulturen. Bis Göteborg begleitet uns das maritime Flair beschaulicher Fischerdörfchen. Gelegentlich endet die Straße an einem Fjord, wir warten ein paar Minuten und eine kleine Fähre schippert uns ans andere Ufer. So oft es irgendwie möglich ist, pausieren wir an den felsigen Klippen und steinigen Stränden, stellen das Zelt so nah ans Meer, dass unsere Blicke von den Wellen in die Ferne getragen werden. Ein schönes Dasein. In Göteborg treffen wir nach langer Zeit wieder einmal Gleichgesinnte. Joakim und seine thailändische Frau Wej bieten uns Herberge in der bildhübschen Universitätsstadt und teilen mit uns die Erfahrung einer langen Zeit in den Sätteln ihrer Räder (Göteborg – Thailand). Wie das inspiriert. Neue Geschichten über ähnliche und andere Abenteuer in fremden Ländern, die wir spätestens nach unserer Begegnung mit den beiden zu Zielen zukünftiger Reisen auserkoren haben. Die verbleibenden Tage in Schweden folgen wir meist einem definierten Radweg, der uns mal durch das Land, mal an die Küste führt. Deutlich flacher und eintöniger zeigt sich nun der Süden des Landes, dichter besiedelt und landwirtschaftlich genutzt, dann und wann aber mit hübschen Mühlen aus alten Zeiten geschmückt. Längst haben wir uns auch wieder an die Stürme gegen uns gewöhnt und das Wetter lässt uns zunehmend spüren, dass die sonnige Jahreszeit sich langsam verabschiedet und so manche Wetterkapriolen nun zum Tagesgeschehen ihren Beitrag leisten möchten. Warum auch immer, wir denken oder vielmehr hoffen, dass sich dieser unstete Zustand zwischen Sonne und Regen durchaus umkehren könnte, sobald wir das Land wechseln und den Dänen einen Besuch abstatten. Die Fähre zwischen dem schwedischen Helsingborg und dem dänischen Helsingör dauert zwanzig Minuten. Gerade genug Zeit, um ein Schrimps Brötchen und ein kleines Bier zu bestellen und hinunter zu würgen, bevor man schon wieder mitsamt den schwedischen Alkoholtouristen von Bord geschoben wird und ohne jedwede Kontrollen seinen Weg am Ostufer der Meerenge fortführt. Dass man dabei bis Kopenhagen unentwegt auch das schwedische Ufer erspäht erklärt dann selbstverständlich auch, warum sich das Wetter durch eine kleine Grenzüberquerung gar nicht so dramatisch ändert. Fährhafen bis Kopenhagen, das sind so grob gerechnet 45 Kilometer, die wir Zeit haben uns an das neue Land zu gewöhnen. 45 Kilometer gesäumt von strohgedeckten, weiß gekalkten Fachwerkhäuschen, die ihre Präsenz erst zugunsten der Hauptstadt aufgeben. Was uns am meisten und als erstes auffällt ist der unbeschreibliche, gewaltige, dichte und quirlige Verkehr. Schrecklich mag man nun vermuten. Aber man halte inne, denn keine andere Stadt hat es wohl so genial eingerichtet den Radfahrern ihren Platz einzuräumen, sodass die Gefahr von einem Zweiradler überrollt zu werden mit X zum Quadrat höher ist als überhaupt ein Auto zu erspähen. Eine Sensation. Alt und Jung, sportlich und unsportlich, chic oder shabby, alle cruisen sie auf ihren Drahteseln durch Kopenhagen, verleihen durch das vielschichtige Design ihrer Räder nicht nur sich selbst, sondern auch der Stadt einen unverkennbarem Charme. Wir sind in einer urbanen Welt, die uns so richtig zusagt. Zwei Tage schlendern wir durch die Straßen und Gässchen, von Ecken zu Enden, per Boot und zu Fuß. Nur nicht per Rad. Denn sogar in der Metropole der Ciclistas gönnen wir uns und unseren Bottoms (Hintern, wers nicht versteht) einmal ein Päuschen. Und das ist gut so. Die Tage und Stunden durch das dänische Hoheitsgebiet sind geprägt von Mühsal und Widerstand gegen alles wovon wir so oft berichteten. Und trotz alledem sind wir täglich ein wenig dankbarer, dass wir noch immer Freude an unserem Unterwegs Sein empfinden, denn das Ende unseres lunademiel rückt unentwegt, unbeirrbar, unbestreitbar und täglich näher. Als sich die eiserne Schiffsklappe schließt und die Fähre nach Fehmarn in ihrem Schlund gefangen nimmt, als sich dieselbe eiserne Klappe nach einer Stunde abermals öffnet, die Lichter des Tages hereindringen und uns derselbe Schlund auch wieder ausspeit sind wir erstmals seit zwei Jahren mit unseren Rädern in einem Land, dessen Sprache auch die unsere ist. Das mag auf Anhieb eigenartig klingen und durchaus nicht sofort nachvollziehbar, aber es ändert auf subtile aber doch sehr eindeutige Weise unsere Wahrnehmung des Landes, der Menschen und dem nun vor uns liegenden Abschnitt. Ein Teil von uns fühlt, dass das Ende genau in diesem Augenblick seinen Anfang nimmt. Ganz plötzlich, beinahe ein wenig unvorbereitet verwandeln sich die gruenen Wälder in ein endloses, nahtloses Gefuege an Mauerwerk, Stahl und Beton. Die Suburbs New Yorks sind wahrscheinlich allein ein Abenteuer fuer sich, dass wir wohlgemerkt kurz halten wollen, nicht zuletzt weil man uns schon Tage zuvor davor gewarnt hatte. Das groesste Abenteuer besteht erstmals darin, die voellig verwahrlosten Greenways zu finden, die uns sicher ueber die Autobahnbruecken bringen sollen. Waehrend wir gegen Buesche und Muell nebst grollendem Schwerstverkehr kaempfen, zeichnet sich am Horizont der wahre Dschungel der Grossstadt ab. Kurz verweilen wir im Liberty State Park, nahe dem Hafen von New York mit einem Picknick im symbolischen Schatten der Libertas, der römischen Göttin der Freiheit. Es koennte kein treffenderes Monument fuer unser Ziel geben, die Allegorie der Freiheit, die fuer jeden Auswanderer nach 1886 die Ankunft in der neuen Welt markierte und unser Ende am amerikanischen Kontinent besiegelt. Die Zeit drängt, die Fähre, die uns ans suedliche Ufer Manhattans bringen soll wartet nicht auf zwei Radfahrer, dennoch, ein Moment des Innehaltens und der Reflektion, ein Augenblick Ergriffenheit sei uns gegönnt. Emotionen und Gedanken schwanken zwischen Stolz und Freude, Wehmut und einem Hauch beginnenden Abschiedsschmerz. Gehupe, rasant wechselnde Ampeln, geschäftiges Treiben auf und neben der Strasse entreisst uns der romatischen Verklärung und fuehrt uns in die Umtriebigkeit des Big Apple ein. Auf dem Greenway (Radweg) entlang des Hudson Rivers Richtung Upper Manhattan soll eine zufällige Begegnung unseren gesamten New York Aufenthalt in ein aussergewoehnliches und unvergessliches Erlebnis verwandeln. Thurstan Bannister, seines Zeichens Brite und Finanz-Irgendwas scheint sichtlich beeinrduckt von unserem bepackten Erscheinen zu sein und lädt uns zu einer Radfahrer Soiree in seinem Apartment. Wenn wir etwas gelernt haben in den vergangen Monaten der Reise, dann Spontanität und Zuversicht, dass es nur etwas zu gewinnen, kaum etwas zu verlieren gibt. So fuehrt eins zum anderen, wir werden zum Mittelpunkt der Party und Champagnerkorken knallen zur Feier unserer Ankunft. Isn't that something... Chandler, unser Gastgeber (warmshowers ueber Ecken und Enden und Freunde) waehrend der ersten Tage ermoeglicht uns einen besonderen Blickwinkel auf die Stadt, indem er uns an zwei seiner gefuehrten Stadttouren teilnehmen lässt, die sich allesamt um die Kulinarik New Yorks drehen. Eine Brooklyn Tour mit BBQ, Bagels und Pizza, gefolgt von einem suessen Nachschlag am Folgetag, an dem wir Greenwich Village anhand von Cupcakes und Cookies erkunden und geniessen. Gestaerkt besteigen wir nun wahrlich zum letzten mal unsere treuen Rösser und verlagern unsere Bleibe in die Nähe des Central Parks, Adresse Thurstan, "Englishman in New York" in vielen Facetten und vor allem inzwischen ein unvergesslicher und guter Freund, der unsere Entdeckungsreise New York mit allerlei Sightsseing Extravaganzen spikt...Stadtueberblick aus dem geschatzt 50. Stockwerk seines Hedge Funding Bueros am Puls des Financial Districts, Amateur Night im Apollo Theater - Harlems Mutter aller Talenteshows, Spaziergang entlang der Highline - ehemals "Life Line", entlang derer Fleisch und Milchprodukte im Metapacking District transportiert wurden, heute umfunktioniert zu einem aussergewöhnlichen "Hoch"-Park mit spannender Vogelperspetive auf das Treiben der Strasse. Keine brittische Empfehlung, aber nicht weniger extravagant fuer unseresgleichen ist eine Nacht im Stadion der New York Yankees, die gegen die Texas Rangers ihre Baseball-Ehre verteidigen. Umgeben von tausenden eingefleischten Fans stehen wir in den Zuschauerreihen und lauschen andächtig der Nationalhymne, bevor die Schlacht am Spielfeld beginnt, die weit weniger "blutig" und barbarisch ist als angenommen. Fuer einen Nichtkenner ein nahezu langweiliger Sport, wäre nicht ein enthusiastischer Yankee Anhänger unser Banknachbar, der uns geduldig in die Grundregeln des Spiels einweiht und besondere strategische Spielzuege und andere spannende Verlaeufe fuer uns kommentiert. Allein das Ambiente im Stadion, das Anfeuern der Menge, die akzentuierte musikalische Untermalung, das Meisterwerk an Merchandising sorgt fuer einen unterhaltsamen und originellen Abend. Anfängliche Bedenken zu viel Zeit in der pulsierenden Metropole zu haben sind am Tage unserer Abreise gänzlich zerstreut, als wir mit Thurstan eine letzte Runde ueber den Campus der Columbia Univeristy drehen, um auch diesen Punkt seiner endlosen "Empfehlungsliste" abhaken zu koennen. Romeo und Julia im Ruecksitz vortragend (Agnes die Julia, Thurstan der Romeo), werden wir zum Flughafen kutschiert und persönlich verabschiedet in der Gewissheit einen guten Freund in New York zu wissen, dem wir unseren wunderbaren Abschluss einer unvergesslichen USA Tour verdanken. Erneut ein Anflug von Wehmut, eine symbolische Traene, die ueber unsere Wangen huscht, aber im Meer des Lachens untergeht. Danke an alle fuer alles! Danke fuer all die Freundlichkeit, die Grossherzigkeit, die spontanen Unterkuenfte, Esseneseinladungen, die inspirierenden Gespräche und Freundschaften, danke euch alle, die ihr ein Leben lang einen besonderen Platz in unseren Herzen einnehmen werdet.
Liebes Tagebuch!
Wir stehen 30 Meilen vor New York City, halten einen letzten Rasttag nach zehn unermüdlichen Tagen durch die hügeligen Wälder und Wiesen Pennsylvanias. Das Ende einer Etappe ist nah - das Ende unserer Odyssee, ein Epos unserer Biographie hat somit den Zenit der verfügbaren Zeit längst überschritten. Oft blicken wir sehnsüchtig in die Zukunft, visualisieren unsere Heimkehr und die Freuden des Wiedersehens. Öfter noch driften wir in die Vergangenheit der letzten zwei Jahre ab und schwelgen in unauslöschlichen Erinnerungen… Es ist der 23. Juni, unser zweiter Hochzeitstag, ein untrügliches Zeichen wie sehr die Zeit vorangeschritten ist. Bisher eine Ehe auf zweimal zwei Rädern, ein besonderer Einstieg in eine gemeinsame Zukunft mit Proben und Prüfungen, die einem herkömmlichen Alltag kaum oder vielleicht auch nur ganz anders entspringen würden. Wir begehen den Tag mit einem feudalen Frühstück und der Überquerung des Mississippi River an beinahe jener Stelle, wo Mark Twain zu seinen Geschichten und Abenteuern von Tom Sawyer und Huck Finn inspiriert wurde. Die anschließenden Meilen werden allerdings weniger inspirierend als erhofft. Mais und Sojabohnen, Sojabohnen und Mais, mal rechterhand, mal linkerhand….den lieben langen Tag nichts als Sojabohnen und Mais. Die Monotonie wird ab und an durch eine schmucke rote Scheune oder ein kleines Städtchen unterbrochen. Vor allem aber sind es die Menschen, die hier unsere Tage zum Erblühen bringen. Egal wie schwer uns ein Tag fällt, wie wenig Abwechslung es geben mag oder wie sehr uns das mehrheitlich schlechte und feuchte Wetter plagt, am Ende des Tages gibt es immer einen Menschen, der uns zu Hilfe eilt, uns einen Schlafplatz anbietet, mit Essen versorgt oder eine heiße Dusche organisiert. Am Morgen keinerlei Idee davon zu haben, wo man am Ende des Tages landen, wem man begegnen und wie man die Nacht verbringen wird, ist eines der größten Abenteuer im langen, weiten und endlos scheinenden Midwest. Mal schnarchen wir friedlich zwischen liebevoll restaurierten Oldtimer Autos, eine andermal frühstücken wir wie alte Freunde am Sonntags-Morgentisch Pancakes und Sirup, wieder ein andermal schickt uns ein Mountainbiker durch seine Drive-thru Pizzeria, um uns mit einem außergewöhnlich schmackhaften Abendessen zu verwöhnen …eine Liste die sich endlos fortsetzen ließe. Langsam aber sicher lassen wir die flachen Staaten hinter uns, erste Milchfarmen und Getreidefelder lassen unsere Herzen höher schlagen und dankbar bezwingen wir wieder den einen oder anderen Hügel, ein Perspektivenwechsel, nach welchem wir uns nahezu gesehnt hatten. Zulasten der Kilometer steigen die Höhenmeter, was aber dennoch nichts an der Tatsache ändert, die uns subtil und langsam ins Bewusstsein dringt. Wir waren zu schnell, haben zu viel Zeit und zu wenig ausstehende und zu bezwingende Distanz zu unserem Ziel New York, Big Apple, Stadt, die nicht schläft. Was tun? Ruhen? Umwege suchen? Canada? Niagara Falls? Die Möglichkeiten erscheinen endlos und doch begrenzt, woraus resultierend wir uns erst mal etwas nordwärts Richtung Eriesee orientieren, um eine weitere Entscheidung an den Ufern des gro0en Sees zu treffen. Was uns nicht bewusst ist, es dauert bis man überhaupt ein Ufer erreicht, denn über weite Strecken ist die südliche Küste ein riesen unzugängliches Schwemm- und Sumpfland oder aber industriell verbaut. Spätestens als wir ein Atomkraftwerk passieren fühlen wir einen Anflug von Enttäuschung über die doch etwas andere Seenerfahrung, als erhofft. Aber wer wird denn gleich den Kopf hängen lassen. Industrie hat auch seine Vorteile, wenn daraus zum Beispiel einer der größten Amusement Parks der Welt hervorgeht – Cedar Point. Zumindest das lassen wir uns nicht entgehen und verbringen einen Tag Kopf-über hängend, an kleine Wägelchen gekrallt oder schreiend in einem der unzähligen Rollercoaster auf der Halbinsel des Eriesees. Das bringt uns in die richtige Laune zum Feiern, der 4. Juli = Independence Day steht bevor und schon am Morgen warten einige Leute gespannt auf die anstehenden Paraden. Die Geschäfte quellen nahezu über mit rot-blau-weißen Fahnen, Keksen, Kuchen, Servietten, Papptellern, Chips…unglaublich was man so alles in rot-blau-weiß einfärben kann. Wir dürfen uns an diesem Abend Gäste von Dr. Dave und seiner charmanten Frau Donna nennen, die uns ein herrliches Dinner zaubern und fast auf das Feuerwerk im Herzen der Collegestadt Wooster vergessen lassen. Geographisch befinden wir uns im Osten Ohios und nun beginnt es sowohl landschaftlich als auch kulturell wieder interessant zu werden. Ein wenig eigenartig, dass man sich als Radfahrer in den Bergen wohler fühlt, als in der Ebene… es sei dahingestellt welche genauen Beweggründe es dafür gibt. Mittlerweile scheint es zu einer routinierten Antwort geworden zu sein, dass wohl ein Mindestmaß an Leid für ein außergewöhnliches Erlebnis nahezu unerlässlich zu sein scheint. Seis drum, Pennsylvania ist der Bundesstaat der Apalachen und entsprechend mehr an Anstrengung erfordert die Überwindung der weiteren Meilen. Thematisch reiht sich das Gebiet sehr passend an unser Funpark Erlebnis an - auf und ab und auf und ab und das nicht allzu knapp und vor allem sehr steil. Steigungen bis zu 13% sind keine Seltenheit und in Kombination mit einer durchschnittlich 100 Kilometer Distanz spüren wir den Unterschied recht deutlich. Nichts geht da über ein wenig Ablenkung und die bietet uns eine für uns völlig fremde und spannende Kultur. Die Amischen sind eine Glaubensgemeinschaft, die sich dem technischen Fortschritt in vielerlei Hinsicht vollkommen verschlossen hat, was zu einem ambivalent kontrastreichen Bild führt. Straßenschilder weisen auf das vermehrte Aufkommen von Pferdekutschen hin, die man bei genauerem Hinsehen in den doch modernen Garagen oder auf den Straßen erspähen kann. Männer tragen einen charakteristischen Bart mit freigelassener Oberlippe, dazu einen Strohhut und einen Haarschnitt, den man wohl einfach als Topffrisur bezeichnen könnte. Die großen Farmen werden oft mit einfachsten Mitteln bewirtschaftet, Pferdegespanne und Handarbeit stehen an der Tagesordnung und die schmackhaften Produkte werden auf den Bauernmärkten oder an der Straße feilgeboten. Da müssen auch wir uns eindecken und werden von einem geschäftstüchtigen Amischjungen freundlich bedient. Obwohl die Lebensweise dieser Menschen so fremd auf uns wirkt - ein wenig fühlen wir uns wie in einem Filmset- weckt sie dennoch auch eine gewisse Sehnsucht nach einem einfachen und unkomplizierten Leben. Als wir allerdings auf einer dieser Farmen um ein Fleckchen zum campen bitten, merken wir wie fern wir dieser Kultur sind und die Welten die uns trennen. Wer für wen exotischer war bleibt dahingestellt, auch ob wir mit schwerst bepackten Rädern als typische Vertreter unserer Kultur gelten... Zeltplatz gabs jedenfalls keinen. Der Osten ist hügelig, grün und baumreich. Wann immer wir eine der endlosen Anhöhen erklommen haben bietet sich ein weites Panorama über die Wälder, die bis an den Horizont reichen. Nach Langem bietet sich wieder einmal die Gelegenheit in einem der National Forests auf einer weiten Lichtung inmitten des Waldes zu campen. Ein idyllischeres Fleckchen könnte man sich kaum wünschen. Während wir am kleinen Lagerfeuer sitzen und meditativ in die züngelnden Flammen starren betreten zwei Hirschkühe die Wiese, beobachten unser Lager und verabschieden sich alsbald auf die Nachbarlichtung, wo sie ungestörter ihr Nachtmahl zu sich nehmen können. Während die Sonne hinter den Baumwipfeln verschwindet und der Mond in seiner vollen Pracht seinen Auftritt vorbereitet, bieten Millionen an Glühwürmchen ein besonderes Schauspiel. Bei anbrechender Dämmerung beginnen sie mit synchronem Aufblinken einen Lichterteppich zu bilden, der beinahe bis an den Horizont reicht. Ein wahrhaft märchenhafter Tanz, der uns magisch in seinen Bann zieht und verzaubert. Was Pennsylvania allerdings und leider keineswegs vom Midwest unterscheidet, ist die wiederholt recht angespannte Wettersituation. Jeden zweiten Tag versuchen wir einem der zahlreichen Gewitter zu entfliehen, werden vor Tornados gewarnt oder schlicht und einfach bis auf die Unterwäsche von heftigen Schauern durchnässt. Es sollte an unserem letzten Tag sein, den wir auf unserer West-Ost Tour campend verbringen, an dem uns ein besonderes Abenteuer wach hält…Die Szene spielt unter einer Highway Brücke, die Protagonisten sind klar, die Kulisse bildet ein unscheinbarer kleiner und nicht sehr wasserreicher Bach, der gemächlich unter der breiten Brücke seines „Weges“ fließt und damit wahrlich keine große Aufmerksamkeit erregt. Klingt eigentlich recht beschaulich und in Anbetracht der Tatsache, dass unzählige Trucks und Autos über unsere Köpfe hinwegrollen, ein friedliches Plätzchen. Wir baden im Bach, genießen ein verführerisches Campingdinner alla Instantnudel in feiner Zucchini-soße und betten alsbald unsere müden Körper und Köpfe auf den weichen Matratzen, die schon so vieles mit uns durchgemacht haben. Es beginnt zu blitzen, zu donnern und heftigst zu regnen und noch freuen wir uns über das doppelte Dach (Hugo und Brücke), das uns diese Nacht bestimmt trocken halten wird. Man nennt den nächsten Umstand, der uns aus dem Zelt blicken lässt, wohl Bauchgefühl. Das schmächtige Rinnsal muss binnen kürzester Zeit zu einem reißenden Fluss angeschwollen sein und droht all unser Hab und Gut in seinen Fluten fortzuschwemmen. Wir schnappen Hugo, der bereits zur Hälfte im Wasser steht und schleppen ihn auf einen dicht bewachsenen Hügel, schaffen die Räder aus der Schusslinie und fischen in den Wassermassen was es da zu fischen gibt…Kocher, Pfannen, Straßenkarten, Schuhe… Eine Pyjamaparty der besonderen Art, deren einzige zu beklagende Opfer ein Pfannenwender, ein Kaffeebecher und ein Radhandschuh sind. Es möge ihnen gut gehen wo sie gestrandet sind… Es verbleiben drei Tagesreisen bis New York, die wir dank „warmshowers“ (Organisation für Beherbergung zwischen gastfreundlichen Radreisenden) auch ohne Hugo überbrücken können. Ein Tag näher am Ziel, ein Tag weniger des Weges. Sin City verschwindet zögerlich am Horizont. Einen langen Tag sinnieren wir über die befremdliche Aura dieser Stadt bis uns eine neue Attraktion für sich gewinnt, wenn auch nur oberflächlich. Hoover Dam. Nachdem wir uns gegen einen Spaziergang auf der Staumauer des Colorado Rivers entscheiden, einfach mangels Lust auf 20 Kilometer Umweg, ist unsere noch größere Attraktion der dritte Bundesstaat auf unserer Tour. Arizona. Spannend, wie schnell sich damit auch die Landschaft ändert. Canyon-artig zerklüftete Berge, die sich bis zum Horizont erstrecken, lassen uns geradezu in den Grand Canyon State eintauchen und lösen die Wüste Nevadas ab. Ein gewaltiger Sternenhimmel baut sich über uns auf, wir beginnen Gefallen an Freiluftnächten zu finden und verzichten auf Hugos schützende vier Wände.
Ein viel zu viel befahrener Highway 93 führt uns zurück in die Vergangenheit der 40er und 50er Jahre, jene Jahre in denen die Route 66 ihren Zenit als wichtigste Ost-West-Verbindung von Chicago, Illinois nach Santa Monica, Kalifornien durchlebte. Längst ist sie nicht mehr durchgehend befahrbar, die Mother Road, und doch ein Magnet für Nostalgiker auf der ganzen Welt. Auch wir holen uns unsere Kicks auf der historischsten aller Straßen Amerikas, die sich durch die Weiten des Landes windet, sich im Horizont verliert und mit sich unsere Gedanken und Fantasien trägt. Wie keine andere allegorisiert sie die Freiheit, versinnbildlicht sie Aufbruchsstimmung, Hoffnung und Abenteuer gleichermaßen. Wo würden da jene Gesellen besser ins Bild passen als hier, die dem amerikanischen Mythos von Freiheit und Abenteuer zumindest ein Stück weit auf ihren Kultzweirädern folgen. Und wir reden hier nicht über Tigre und Mariposita… Dennoch, kaum ein Diner, das wir nicht ablichten, kaum eine Retro Tankstelle, an der wir uns nicht im Schatten einer Betty Boop Figur ein Tässchen Kaffee gönnen und in den Glanz der Vergangenheit eintauchen. Heute ist die Kultstraße nur noch in Bruchstücken befahrbar und der Asphalt ein Opfer der Zeit, was bleibt ist dieser Hauch an Nostalgie, der uns Meter für Meter begleitet und der Route 66 ihre Einzigartigkeit verleiht. Wir orientieren uns ein Stück weit nordwärts auf der Suche nach Größerem. Etwas, das die Jahrtausende überstanden hat, sogar von den Jahrtausenden kreiert wurde. Ein Meisterwerk der Natur, der Grand Canyon. Der erste Eindruck lässt sich kaum in Worte fassen. Keine Fotos, kein Film, keine Erzählungen können uns auf den überwältigenden Moment vorbereiten, als wir erstmals am Abgrund dieser gewaltigen und majestätischen Canyon Landschaft stehen, die sich bis zum Horizont erstreckt und sich zunehmend in abendliches Rot hüllt. Eine wahre Sternstunde unserer Reise...Den gesamten nächsten Tag radeln wir entlang des südlichen „Abgrundes“, dem South Rim und blicken immer wieder hinab in die Tiefen der Erdgeschichte. Gutta cavat lapidem, steter Tropfen höhlt den Stein, und doch ist es kaum vorstellbar, dass der in der Tiefe türkis leuchtende schmale Colorado River eine Kreation von solchem Ausmaß im Laufe der Zeit schaffen konnte. Unser allzu knappes Zeitkontingent erlaubt es nicht, uns per pedes hinab zu wagen, aber wir kommen wieder, keine Frage. Wir verbringen die Nacht unter freiem Sternenhimmel, lassen uns von den ersten Sonnenstrahlen, die in der Nase kitzeln, und dem fernen Geheule der Kojoten wecken. In gewisser Weise empfinden wir das zeltlose Campen als eine weitere Steigerung unserer Freiheit. Wo es uns gefällt betten wir unser Haupt, den Gewalten ausgesetzt, eins mit der Natur…idyllisch, sofern man nicht inmitten der Nacht von plötzlich einsetzenden Schauern geweckt wird… An den Nationalpark schließt sich das ausgedehnte Navajo-Reservat an. An den zahllosen Aussichtspunkten bieten sie handgefertigten Schmuck und kleine Souvenirs an. Wir unterhalten uns das eine oder andere Mal und lauschen aufmerksam den Mythen und Geschichten des Stammes. An vielen Ecken existieren nach wie vor Trading Posts, ehemalige Tauschzentren, die mittlerweile eher dem einseitigen Handel mit Mitbringsel und Kunsthandwerk dienen. Zudem wird im gesamten Reservat kein Schlückchen Alkohol verkauft und dennoch finden wir gerade hier die meisten Bierdosen und –Flaschen, die achtlos in den Straßengraben geworfen wurden. Es muss ein verwirrendes Dasein zwischen den Kulturen sein. Einerseits an die Traditionen und den Glauben der Stammesväter gebunden zu sein und dennoch in einer Welt großgeworden zu sein, die mit all dem keinerlei Verbindung mehr aufweist. Seine Wurzeln zu kennen, Traditionen aufrecht zu erhalten, Ahnenforschung zu betreiben sind bedeutende Werte im gesamten Land, das erfahren wir nicht nur hier und nicht nur einmal. Ein atemberaubender Landstrich, den die Navajo zu ihrem Land zählen dürfen zeichnet sich bereits in meilenweiter Entfernung ab. Teils grazile, teils massige Türmchen und Türme die aneinandergereiht in unterschiedlicher Größe und Höhe in die Lüfte ragen, eine Szenerie geradezu geschaffen für die Romantik der unsterblichen John Wayne Westernklassiker – Monument Valley. Meisterwerke aus Sandstein, über Jahrmillionen erodiert, thronen als atemberaubende Monumente inmitten der rötlich kargen Wüste und bilden ein anmutiges und überwältigendes Ensemble, das die Grenze zwischen Arizona und Utah bildet. Den Mormonenstaat streifen wir nur an seinem Südöstlichen Ende und steuern geradewegs auf die Berglandschaft Colorados zu, die Rocky Mountains. Im Süden deutlich niedriger als ihre Nachbarn im Norden bilden sie am Horizont dennoch ein imposantes Panorama aus Fels und Schnee und kosten uns immerhin über tausend Meter Steigung, um den ersten von zwei Pässen, Wolf Creek Pass (3.310 m) zu überwinden. Die Passhöhe wird von einem interessanten Schild geziert – Continental Divide – eine geographische/hydrologische Scheide, von der aus alle Flüsse ostwärts in den Atlantik und westwärts in den Pazifik münden. Unser höchster nordamerikanischer Pass und die symbolische Mitte seien hiermit überschritten. Nicht unweit dieses Passes, in der sich anschließenden weiten und landwirtschaftlich intensiv genutzten Tal ebene wartet eine besondere Begegnung auf uns. Ernest, 88 Jahre und ehemaliger Berufspilot wackelt auf seinen Gehbock gestützt an uns vorüber und lädt uns nach kurzem Gespräch ein, mit ihm auf seiner „Ranch“ zu nächtigen und zu dinieren. Kein Schlafplatz ward bis dahin gefunden, also stimmen wir freudig zu. Es stellt sich allerdings heraus, dass diese Bleibe etwa 30 Meilen entfernt und auf einem Hügel liegt und weder über Strom noch fließend Wasser verfügt. Da sich der alte Mann jedoch schon über alle Maßen über seinen Besuch freut, können wir uns eine Absage nicht mehr erlauben, laden die Räder in seinen uralten Truck und begleiten ihn in seine „Junggesellen-Villa“. Rustikal und wohl lange nicht von einer ordnungsliebenden Gattin (sie verweilt in Florida) gesehen. Der pensionierte COPA/AlItalia(…) Pilot gibt sich alle Mühe es uns gemütlich zu machen. Wir speisen Pizza und Schokolade, dürfen in seinem Bettchen schlafen, während er zwei Meter neben uns sein Klappbett aufstellt und darauf besteht darin zu nächtigen. Am nächsten Morgen, etwas schlaftrunken, bringt Ernest uns und unsere Räder nach deftigem Frühstück zurück an den Ort des ersten Treffens am Vortag, denn wer uns kennt, weiß, dass wir nur im Falle einer ernsthaften Erkrankung „schummeln“ und den Weg abkürzen. Vor uns und beinahe genauso rasch hinter uns liegt der zweite und auch schon wieder letzte Pass der Rocky Mountains – La Veta Pass. Nach ihm folgt die große Ebene, the Great Plains von Ost-Colorado und West-Kansas. Fein denken wir uns, da werden wir geradezu fliegen, kein Hügel, der uns mehr aufhalten kann. Da hat man, wie schon des Öfteren, eine Rechnung ohne Wirt gemacht. Ein heftiger Wind bläst uns entgegen, bauscht sich regelmäßig zu einem Sturm und Gewitter auf und beginnt uns das Leben wirklich schwer zu machen. Die Straßen verlaufen pfeilgerade und enden flimmernd am Horizont, das einzige untrügliche Zeichen unseres Vorwärtskommens sind die geduldigen Meilenmarkierungen und die rhythmisch auftauchenden Skyscraper der Great Plains, die Getreidespeicher, die im Zeitlupen-Tempo an Größe zunehmen, langsam an uns vorbeiziehen und hinter uns verschwinden. Täglich gegen Mittag wächst die Morgenbrise zu einem heftigen Widerstand gegen uns heran, die Tage im Sattel werden lang (6-8 Stunden täglich) und fordern unsere Geduld auf Äußerste. Dennoch überwinden wir täglich zwischen 110 und 140 Kilometer, in der Hoffnung, nach beinahe drei Wochen unermüdlichem Radeln bald eine Pause einlegen zu können. Noch ist es nicht so weit. Im kleinen Dörfchen Ellsworth beherbergen uns die „süßen“ Besitzer des Eislädchens „Sugar Shack“ in ihrem Garten und versüßen uns den Abend mit Eis, netter Gesellschaft und Riesenseifenblasen. Am Folgetag werden wir zu Freunden weitervermittelt, Suzie und Audie, die uns herzlich empfangen, in ihrem Schloss logieren lassen und uns mit Whirlpool, Massage-Bett und unübertrefflich leckerem Essen verwöhnen. Wer wollte da nicht endlich einen Tag Rast einlegen… Durch Farmland, mal Getreide, mal Viehwirtschaft, ostwärts mal mehr oder weniger hügelig, mehr oder weiniger kurvenreich manövrieren wir uns an die Grenze zu Missouri und beschließen die Räder doch für ein paar Tage ruhen zu lassen, ein Auto zu mieten und einen Besuch bei Christophers Gasteltern (aus Highschoolzeiten anno 96) in Forest City, Iowa, einzulegen. Ein Ausflug in ein Jahr High School Vergangenheit und bei Jim und Roz, die uns mit allen Mitteln der Kunst verwöhnen und unsere geschunden Körper mit viel Liebe wieder aufpäppeln ☺ Es war einmal im Wilden Westen…so beginnen wohl die spannendsten Abenteuer und so beginnt unsere neue Geschichte, unser Abenteuer die Vereinigten Staaten von Amerika West nach Ost zu durchqueren. Ein Beginn könnte schöner nicht sein als bei Freunden, Erik und Lindsey, die wir in Bolivien kennengelernt haben und die uns zum Einstand ein paar Tage bei sich beherbergen. Klassisch, ein viktorianisches Haus inmitten des hippen Mission District quasi im Herzen der Flower Power Stadt San Francisco. Mögen diese Zeiten zwar längst der Geschichte angehören, ein gewisses exzentrisches Flair dieser Jahre ist der Stadt erhalten geblieben und macht sie zu einem beispiellos charmanten und schmucken Startpunkt für unsere Reise. Auf zwei Rädern, wie sollte es anders sein suchen wir uns den markantesten Punkt der Metropole, ein Sight der Extraklasse, ja Weltklasse, ohne auch nur ein bisschen zu übertreiben – die Golden Gate Bridge. Schon von weitem sichtbar thront sie majestätisch über der Bucht und umspannt mühelos die Fluten. Ein Koloss und Stahl und Eisen und dennoch so elegant und ästhetisch in ihrer Konstruktion, dass sie trotz ihrer Funktionalität ein wahres Schmuckstück darstellt. Ihre Überquerung nehmen wir als unseren Startschuss für die Fahrt gen Osten. Den Wind im Haar, die Sonne im Gesicht brettern wir drüber, voll Tatendrang, Vorfreude und Zuversicht auf grenzenlose Wagnisse und Abenteuer. Am 8.Mai, San Franciscos „Bike to Work Day“ fällt der tatsächliche Startschuss. Unter hunderten anderen Bikern, die den Weg zur Arbeit auf ihren Eseln zurücklegen, manövrieren wir uns aus der Stadt hinaus, vorbei an Ständen, die den Anlass würdigend Getränke, Bike-Flaschen und kleine Snacks verschenken…passender könnte unser Aufbruch nicht datiert sein. Flache langweilige Stunden durch die sogenannte Bay Area, durch die scheinbar gefährlichste Stadt im Umkreis und vorbei an zahllosen Shopping Malls füllen den restlichen Tag, um uns aus der urbanen Zone hinauszuführen. Endlich nimmt das Häusermeer ab, die weiten Felder zu und auf den goldenen Höhenrücken drehen sich zyklisch und leicht krächzend hunderte Windräder, die dem teils heftigen Stürmen ihr gutes abgewinnen sollen. Inmitten dieser erstmals einsam scheinenden Gegend finden wir Zuflucht in der Garage der liebenswürdigen älteren Farmerin Mrs. Vieux, die uns mit gekochten Eiern, selbstgemachtem Marillenkompott und Zimtstangen verwöhnt und uns zuversichtlich stimmt, dass auch hier großartige und unvergessliche Begegnungen auf uns warten… Unser erstes „echtes“ Ziel liegt nur unweit von San Francisco, vielleicht eine Tagereise in einem der kolossalen Wohnmobile, die uns ab und an passieren, für uns aber doch eine Strecke, die drei bis vier „Werk“Tage in Anspruch nimmt und uns ob mangelnder Alternativen sogar dazu zwingt im Straßengraben neben dem Highway zu campieren. Yosemite Nationalpark. Immer ursprünglicher und rauer gestaltet sich das landschaftliche Bild, das sich auch in den zunehmenden zu radelnden Höhenmetern bemerkbar macht. Hügeliger, felsiger, waldiger…Anlass genug, um im letzten kleinen Städtchen vor dem Park sich Hamsterkäufen hinzugeben…Maccaroni and Cheese, Erdnussbutter, Bagels, alles was Spaß macht und Kalorien liefert…die wir zweifelsohne noch brauchen werden. Ein kleiner Jubelschrei entweicht uns, als wir die Parkgebühr entrichten, demnach offiziell angekommen sind und erfragen, dass sogar noch Zeltplätze im heiß begehrten Yosemitetal zur Verfügung stehen. Der touristische Andrang und das entsprechende Verkehrsaufkommen steht einem viel befahrenen Highway beinahe in Nichts nahe. Alle hundert Meter drängeln sich die Ausflügler auf die Aussichtspunkte und lichten im 360° Radius alles Ablichtenswerte ab. Davon gibt es zweifellos viel…ein paradiesischer Ort mit markanten Bergen und Felsformationen (El Capitan, Half Dome etc.), lieblichen Gebirgsbächlein, sattgrünen Wiesen, Wasserfällen, spiegelnd glatten Teichen und Seen und halbzahmen Rehen. Ist es nicht ein unbeschreibliches Privileg durch eine derart grandiose Natur in gemächlichem Tempo zu radeln, dort zu halten, wo man eben halten möchte, den kleinen Dingen Aufmerksamkeit schenken zu können, den aromatisch harzigen Geruch der Pinien zu riechen, den Hauch des Windes im Nacken zu spüren… Wenn uns die Menschen fragen, was uns dazu verleitet, uns auf derart viel Anstrengung und Entbehrung einzulassen, liegt die Antwort doch eigentlich auf der Hand, es sind nicht die Entbehrungen, die in uns ihre Spuren hinterlassen, es ist die Bereicherung um Achtsamkeit in ihren mannigfaltigsten Facetten… Nach einem langen und harten Arbeitstag, so schön er auch sein mag, rufen dennoch alsbald die Grundbedürfnisse nach Befriedigung…Essen, Schlaf und wenns ganz einfach geht eine Dusche. Auf der Suche nach alldem treffen wir auf den schrulligen Sid und sein treue Gattin Kareen, sowie die ebenso kauzig wie lustig und liebenswerten Wohnmobil Nachbarn Bruce und Sally. Ein geniales und endlos witziges Freundesgespann, die in ihrer Pension als freiwillige Park Ranger arbeiten, uns eine halb verbotene heiße Dusche im Angestellten-Fitnessstudio verschaffen und uns den Abend mit köstlichen Anekdoten ihrer Aufgaben und Bier verkürzen. Bei Einbruch der Nacht müssen wir uns den letzten Pflichten stellen, Hugo bettreif machen und alles Wohlschmeckende, von Essen bis Seifen und Zahnpaste in der Bären Box zu verstauen. Nächtliche Einbrüche in Autos, Zelten, wo auch immer was zu finden ist, sind nämlich unter den heimischen Schwarzbären scheints sehr beliebt. Was tun aber in der Folgenacht? Die weit über 2000 Meter bis zur Passhöhe bewältigen wir unmöglich an einem Tag und so schleichen wir uns am späten Abend in den Wald…den tiefen, nicht befahrbaren, eben tiefen Wald, wo ringsum um unsere malerische Lichtung schlichtweg nur Bäume und Berge stehen. Essen ins Zelt? NEIN! Essen auf dem Rad? NEIN, Chiles Füchse haben uns ja bereits ausgiebig dahingehend belehrt. Essen auf…, ja wohin denn nun? Auf den Baum! Flaschenzugsystem und in drei Metern Höhe baumelt unser Proviant bis zum nächsten Morgen und siehe da, bleibt unberührt. Ohne Frühstück los zu radeln hätte einfach keine Qualität. Vor allem können wir der Energie keinesfalls ermangeln, der Weg zum Tioga Pass ist lang, hart und hoch, aber erneut von einer beispiellosen Schönheit und derart beeindruckenden Panoramen, dass wir durch die regelmäßigen „Genuss“ Pausen nur langsam vorankommen. Dem romantischsten Picknickplatz an einem einsamen Gebirgssee können wir genauso wenig widerstehen wie den unzähligen Foto Stopps auf dem immer kälteren Weg nach oben. Endlich die noch tiefverschneite Passhöhe errungen beenden wir den Tag mit einer 20 Kilometer Abfahrt, die einen imposanten und einschneidenden Wechsel der Landschaft ankündigt…die Wüste ruft! Mittags steht die Sonne hoch über uns und anstatt des erwarteten und nicht minder erhofften Rückenwindes bläst uns die Brise schon ganz ordentlich um die Ohren. Einzig der Höhe scheinen wir es zu verdanken, dass uns die Temperaturen als milde und angenehm zum Radeln erscheinen. Wir durchqueren ein geologisch spannendes Tal, die Caldera nach einem gewaltigen Vulkanausbruch, von dem das schwarze Tuffgestein zeugt, das sich von der östlichen und noch verschneiten Sierra Nevada Kette deutlich abhebt. Das Tal endet in einer langen Abfahrt im heißen Owens Valley, das trotz recht beachtlicher Temperaturen durch teils intensive Bewässerung viele kleine Oasen aufweist. Auf uns wartet die größte Oase im kleinen und gut ausgestatteten Städtchen Bishop, genau gesagt in der Shoshone Road Nummer 1607. Wir klingeln und ein eigentlich noch Fremder öffnet die Tür und heißt uns herzlich willkommen. Brad Larson sieht uns zwei Tage zuvor in Yosemite radeln, erkundigt sich wohins geht und gibt uns seine Nummer…in Bishop würden Betten, Essen und Dusche auf uns warten. Das muss man uns nicht zweimal sagen…Und da stehen wir nun, selig vor Glück, als er uns ins riesige Gästezimmer seines Lodge-artigen Hauses führt und nebenbei erwähnt, dass das Hähnchen fürs Abendessen schon am Grill sei. Ein ungezwungener netter Abend mit einem großzügigen Menschen und neuen Freund. Beinahe ist es der Geruch nach frischem Kaffee, Rührei und Toast, der uns aus den Betten zwingt. Brad stärkt uns für die Weiterfahrt und verabschiedet uns mit zahlreichen Tipps und Infos für die kommenden Tage. Flach, windig, malerisch fahren wir zwischen der Sierra Nevada und den Inyo Hills Richtung Lone Pine. „Das also ist Lone Pine“, ein Filmzitat über ein filmgeschichtlich äußerst bedeutsames Dörfchen am Fuße der Alabama Hills, denen es seinen Ruhm verdankt. Unzählige Western und Hollywood Klassiker wurden in den Hügeln und der Steppe östlich des Ortes gedreht und haben Lone Pine eindeutig den Stempel eines lieblichen Filmstädtchens aufgedrückt (Saloon, Filmmuseum etc.), wenn auch mittlerweile etwas verblasst. Der wilde Westen wird hier zur surrealen Realität und seine Aura spüren wir an unserem Zeltplatz direkt am Fuße des Alabama Hills ganz besonders deutlich. Fehlt allein der Mann mit der Harmonika, der uns bei aufgehendem Vollmond das Schlafständchen spielt. … Im Alabama Cafe lassen wir den Morgen deftig beginnen, Rühreier mit Käse und Schinken, Hush Browns (Kartoffelrösti amerikanisch) und Toast. Immerhin steuern wir einer besonders herausfordernden Destination entgegen – Death Valley. Hinter uns lassen wir das östliche Gebirgspanorama mit dem höchsten Berg der südlichen Vereinigten Staaten, Mt. Whitney (4.421 Meter) und streben ein Tal an, das teilweise unter dem Meeresniveau liegt und als heißester Ort der USA, wenn nicht sogar weltweit gilt, mit Rekordtemperaturen bis 57 ° C. Unzählige Warnungen begleiten uns auf dem Weg, Überhitzung, Lebensgefahr, jedenfalls genug Wasser mitnehmen, nie untertags fahren…aber auch ungebrochene Hochachtung und Bewunderung für unsere Unternehmung. Die Fahrt beginnt angenehm, mäßig ansteigend durch Halbwüste vorbei an Joshua Tree „Wäldern“ und frühlinghaft bunten Blumeninseln, als uns ein ohrenbetäubendes Donnern durch Mark und Bein erschüttert und ein Kampfjet nur knapp über unsere Köpfe hinwegfegt. Eine kleine Erinnerung an die nahen Air Force Basen in der Wüste Nevadas… Kurz nach dem offiziellen Parkbeginn zieht sich die Straße in unzähligen Serpentinen durch bunte Canyons und Täler in die höllischen Temperaturen des Tales. Ein kleiner Vorgeschmack, denn noch befinden wir uns auf ca. 500 Metern Meereshöhe. Kurz nach der Senke des ersten Tales versuchen wir unsere verdiente Nachtruhe einzuleiten, beinahe vergebens, denn die anhaltend heißen Temperaturen lassen an Schlaf unmöglich denken. Lange starren wir in den nächtlichen Sternenhimmel, dem klarsten seit unseren Atacama-Tagen und werden spät aber doch von unserer Erschöpfung übermannt…Ein Glück, denn Tagwache wird auf 5h morgens angesetzt. Ein knapp 800 Meter hoher, steiler Pass liegt vor uns über den wir in den heißesten Abschnitt des Death Valley gelangen. Eine Klapperschlange wartet geduldig im Schatten der Straße auf die aufgehende Sonne, die wir mit ungewohntem Respekt, beinahe Furcht erwarten. Früh genug ist die Passhöhe geschafft und wir blicken ehrfurchtsvoll auf die fernen tief unter uns gelegenen Sanddünen des „Todestales“, dem es seinen Namen einigen Pionieren zu verdanken hat, die es auf der Suche nach Gold zu durchqueren hatten. Kurve um Kurve steigen die Grade an und immer heißerer Wind bläst uns entgegen auf der Fahrt nach Stovepipe Wells (Ofenrohr W.). 10.30h - zu früh, um Halt zu machen, zu spät um die 40 km zur nächsten Versorgung anzutreten, beschließen wir es doch zu wagen, füllen alle Flaschen und Wassersäcke und begeben uns in die gleißende Hitze des nahenden Mittag. Vorbei an Sanddünen, dem Maisfeld des Teufels, salzig steinigen Ebenen und zerklüfteten Hügeln immer tiefer auf -150 Fuß (ca. -50 Meter) Meereshöhe wo die Temperaturen auf 45°C ansteigen und die letzten Kilometer ins Touristenbüro und somit zur nächsten Raststelle ein Kraftakt gegen Erschöpfung, Hitze und Durst werden. Das verbliebene Wasser in den Flaschen nähert sich dem Siedepunkt und ist kaum mehr genießbar und dennoch das Kostbarste des Augenblickes. Das bedrohliche Glimmern über dem Asphalt lässt die sich langsam nähernde Oase Furnace Creek (Brennofen Cr.)wie eine Fata Morgana erscheinen. Erst als wir endlich in den Schatten des Tourismusbüros flüchten, das kalte Wasser in unsere Kehlen hinunterrinnt und wir uns den Staub von Gesicht und Händen waschen, wissen wir, dass wir es vorerst geschafft haben. Death Valley, Timbisha für die indigenen Shoshonen, ist beinahe bezwungen und wir haben es überlebt. Für einen Nachmittag sind wir Helden. Im Fünf-Minuten-Intervall hält jemand neben uns und unseren Bikes, bewundernd hin und her blickend und kaum glaubend, dass wir uns den unerträglichen Temperaturen per Rad gestellt haben. Ein letzter Pass stellt sich zwischen uns und die befreienden kühleren Höhen, und auch der annähernd patagonische Gegenwind hält uns nicht davon ab, dem Tal zu entfliehen und den nächsten Bundesstaat zu erkunden. Nevada. Wüste. Wind. Las Vegas. Im Beinahe-Nichts der Wüste taucht sie plötzlich auf, die gewaltige Metropole, das berühmte fabulous Las Vegas, ein Meer an Glamour, Hotels und Casinos, eine Projektionsfläche wildester Träume von Ruhm und Reichtum. Eine Seifenblase. Illusion, Fantasie und Traum. Und im aberwitzigen Kontrast dazu zwei kleine unscheinbare und schmutzige Radfahrer, die sich im Chaos des Verkehrs durch das Luftschloss kämpfen. Staunend, lachend, glücklich. Eine Etappe ist bewältigt und ein Pausentag im Haus von Greg und Dawn der Mühen Lohn. Und wie es weiter geht? Das müssen wir selbst erst erfahren… ...oder: Am Ende wird alles gut! MIT......ein paar Highlights unserer Reise Lasst uns noch einmal ein paar Tage zurückspulen…wie war das also nochmal genau??? Und warum waren wir schon wieder zu einem Überraschungsbesuch daheim?
Also: wir sind in einem staubigen Nest im Norden Kolumbiens, wo wir uns glücklich abends schlafen legen (wir sind ja sehr sehr bald am Ziel!) und einer von uns morgens mit Bauchweh aufwacht! Eine gewisse düstere Vorahnung macht sich breit – das ist der „Blinddarm“ fürchten wir- die beiden Ärzte in der Krankenstation (ohne OP) tippen auf eine Blasenentzündung!!! Wir sind verunsichert, außerdem gibt’s hier weit und breit keinen OP für den Fall! Unter Antibiotikakur wird es erstmal etwas besser, obwohl wir die Diagnose sehr in Frage stellen. Sobald mit den Schmerzen möglich, evakuieren wir uns also per Boot und Auto nach Mompos, wo wir scheinbar ein gutes Krankenhaus vorfinden sollten- FEHLANZEIGE! Ich gönne mir in einer ziemlichen Bruchbude einen Ultraschall, für ca 25 Euro, doch der arme Arzt ist völlig überfordert, mit dem was er sieht! Er beschreibt eine große Zyste, hat jedoch keinen Tau woher die sein soll-naja ich kenn mich jetzt auch nicht mehr aus, und wir entschließen uns, diesem ziellosen Herumdoktern ein Ende zu machen und heimzufliegen! Schmerzmittel rein, und ab geht’s über teils sehr, sehr holprige 200km nach Cartagena, glücklicherweise sind die Beschwerden tatsächlich schon etwas besser…Wir dürfen nahe Cartagena bei der liebevollen Familie von Simon und Sandra (Verwandte von Freunden aus Medellin) übernachten und unser Zeugs deponieren, und am nächsten Tag haben wir in aller Frühe unseren Heimflug nach Innsbruck! Es ist Frühling zuhause, die wunderbare Jahreszeit, die an allen Wiesen und Wäldern Leben bringt, fast sind wir versucht schon alles zu vergessen… Der Oberarzt macht keine Faxen: der Bauch muss auf, denn auch das CT ist nicht ganz schlüssig! Am nächsten Tag schon nach der Landung darf der gequälte Appendix („Blinddarm“ ) endlich raus, mit ihm ein riesiger Entzündungsherd! Tja, ich bin mehr als froh, dass ich dieses Abenteuer in meiner Heimat abschließen kann, die Betreuung ist ein Traum für mich, insbesondere durch den direkten Vergleich mit dem Kolumbianischen „System“. Richtig selig bin ich, als ich sogar wieder langsam zu essen beginnen darf- auch bei mir kommt trotz dem Herumliegen richtig Frühlingsstimmung auf… Die Tage vergehen, die Schmerzen und die Nahrungsmittelaufnahme- sowie –verwertung bessern sich täglich, sodass ich nach zehn langen Tagen endlich nach Hause darf! Es folgen noch Kuraufenthalte in Schlins bei Mama und Papa, in Enzenkirchen bei Schwiegermama und –Papa, sodass ich schnelle Fortschritte mache- Gut, denn schon geht’s weiter: Wir fliegen wieder nach Cartagena, fahren die letzten 25 (flachen, leichten) Kilometer natürlich mit dem Radl - die vielleicht hässlichste und Verkehrsreichste Strecke in Südamerika, und dennoch überglücklich, endlich an unserem Ziel anzukommen…Vor lauter Freude drücken wir vor der Stadt dem Nächstbesten Verkäufer unsere Spiegelreflexamera in die Hand, auf dass er uns vor der Stadtmauer fotografiere (sollte man vielleicht nicht nachmachen). Dann gibt’s erstmal einen feinen Erdbeersekt auf der Mauer mit Blick aufs Meer-Die Karibik! HURRA!!! Wir genießen ein paar Tage hier in dieser unvergleichlich malerischen Stadt, mit Bummeln, einer romantischen Kutschenfahrt und gutem Essen, dann geht’s aber schon ans nicht sehr geliebte Packen der Räder für die Weiterreise nach San Francisco. Ein halber Tag geht allein fürs Suchen geeigneter Kartons drauf, aber das ersparen wir euch! Also liebe Freunde, die Taschen sind gepackt für neue Abenteuer, die Räder auch, die stolzen, die ganz Südamerika der Länge nach unter den Reifen hatten… wir sitzen hier - wartend auf das Flughafentaxi - vor allem aber vollbepackt mit einem unvergleichlichen Schatz an Erinnerungen, an Abenteuern, an Begegnungen, an schönen Landschaften, aber auch an furchtbaren Steigungen, miesem Wetter und sonstigen Problemchen… und wir sind unglaublich dankbar, für das alles (Ja für alles!). Von wirklich schlechten Erfahrungen sind wir verschont geblieben, und viele der schwierigen Situationen oder unbequemen Dinge bleiben uns in der Erinnerung als positive Erlebnisse erhalten. In diesem Sinne: see you in San Francisco! (don´t forget to put a flower in your hair!) Eure Christopher und Agnes (die jetzt beide keinen „Blinddarm“ mehr haben J ) We proudly present: Zahlen, High- und Low-lights unserer Südamerika Fahrrad-Süd-Nord-Durchfahrung 15 123 Kilometer in Südamerika 191 587 Höhenmeter (Südamerika) 255 Tage im Sattel-das sind täglich 59 Km, aber immerhin 750 Höhenmeter im Durchschnitt 65 Breitengrade überfahren Ca 15 Platten (alle beim Tigre), 0 (KEIN EINZIGER) PLATTEN bei Mariposita!!! 1 komplett demolierter Freilauf (Tigre) 1 Blinddarmdurchbruch überlebt 1 Autobombe im Süden Kolumbiens, Situation unter Kontrolle des Militär, quasi Volksfeststimmung und große Gelassenheit der Reisenden bei dem aufgetretenen Verkehrsstau…mehr als alles sind wir aber der Mittelpunkt allen Interesses... 1 "heisser" Tag mit einer Serie von Protest- Straßensperren (incl. aufgebrachte, teils besoffne Mobs, brennende Reifen, Scherben, Stacheldraht,…) (vor Huanuco, Peru) Rekorde: Höchster Pass: ca 4950 m beim Sol de Manana Geysirfeld in Bolivien Gefahrene Höhenmeter an einem Tag: 1903 hm (die berüchtigte carretera de la muerte-"Death Road" in Bolivien rauf) Kilometer an einem Tag: 132 km wahrscheinlich in Mittelchile Geringste Ausbeute an Kilometern pro Zeit: ca 40 Kilometer für über 8 Stunden Radfahren (Gegen den Wind beim Fitz Roy in Patagonien!) Größte Hitze: 58°C in der Sonne bei Bellavista, Nordperu (45° im Schatten) Tiefste Temperaturen: -16°C im Vorzelt bei der Laguna Blanca in Bolivien Die Sonntage in Kolumbien scheinen zwei Dingen gewidmet zu sein, die sich mehr oder weniger überraschenderweise herrlich kombinieren lassen – dem Bier trinken und dem Nationalsport Tejo. Entlang der mäßig befahrenen Hauptstraße Richtung Nordwesten, inmitten der Zona Cafetera, zischt und knallt es an vielen Ecken und Enden, wenn der Tejo, eine eiserne diskusförmige Scheibe die schwarzpulvergefüllten Papiertaschen trifft, die einem Eisenring in einem Tonbett aufliegen. Wer den Ring trifft und gleichzeitig eine Explosion dabei bewirkt ist der königliche Sieger der Tejo-Runde. Klingt nach Spaß? Ist es auch…
Während sich die einen vergnügen sind wir am Strampeln, Treten und Schwitzen, denn wider aller Hoffnungen und gemäß aller Befürchtungen ist auch Kolumbien ein Land, das nicht an Bergen und Hügeln spart, das aber auch nicht an Freundlichkeit und Großzügigkeit spart, die uns am Ende des Tages die Strapazen hundert Mal vergelten und vergessen lassen. Über einen eindrucksvollen Höhenrücken durch Kaffee-, Lulo- und Bananenplantagen gelangen wir in das Städtchen Riosucio, für dessen geistliches und moralisches Wohl Padre Joaquin zuständig ist. Der lebenslustige Stadtpfarrer nimmt uns großzügig in sein kirchliches Reich auf, versorgt uns mit Zimmer, Bett und Dusche und kümmert sich neben seinen Schäfchen auch um unser seelisches Wohl, indem er beim Abendessen sein komödiantisches Talent unter Beweis stellt. Beinahe sind wir versucht zu bleiben, aber wie so oft siegt die Vernunft und wir treten den steilen Feldweg in das koloniale Jardin an. Guter Dinge und vor Kraft strotzend bewältigend wir den ersten Teil de Etappe bis uns am Sattel ein Gewitter einholt, das uns im Schlamm versinken lässt und den Nachmittag und Abend zu einem mühsamen Gewaltakt verwandelt. Aber hat nicht alles irgendwie seinen Sinn, sein Gutes? Und wie so oft wird es auch uns erst nach dem Leiden bewusst, wozu es gedient hat. Abgerackert, müde, durchgefroren radeln wir auf dem bunten Hauptplatz Jardins ein und beschließen uns erst mal mit einem Tässchen Tinto zu wärmen. Weiß man nicht weiter, kann eine kurze Denkpause bei Kaffee nicht allzu verkehrt sein. Wir treffen die Übereinkunft uns erneut in kirchliche Obhut zu begeben, sofern der Wille „väterlicherseits“ vorhanden sei. Der Elan lässt allerdings bereits deutlich zu wünschen übrig und die äußere Erscheinung - schmutzig, nass und heruntergekommen - lässt wohl erahnen, dass wir hilfsbedürftig sein könnten… Diesmal ist es allerdings der „weltliche“ Vater Jardins, der uns gewissermaßen wortwörtlich am Straßenrand aufgabelt und unserem Tag eine unverhofft geniale Wendung verleiht - Bürgermeister/ Alcalde Alvaro. Sein Bruder sei ebenfalls „einer von uns“, habe fünfundzwanzigtausend Kilometer mit dem Rad bewältigt und aus dessen Erzählungen wisse er, was es heißt auf die Großzügigkeit der Mitmenschen angewiesen zu sein. Er bringt uns zum nächsten Café an der Plaza, wo sein Vater Eduardo Tinto trinkend noch nichts von seinem „Glück“ ahnt uns aber wie alte Bekannte völlig selbstverständlich und herzlich bei sich zu Hause aufnimmt. Das Glück ist uns an jenem Abend hold. Gleich zwei aus der eigenen Asche auferstandenen Phönixen, frisch geduscht schreiten wir wieder an die Plaza um Eduardo, Alvaro und Parteifreunde zu einem Schwätzchen zu treffen. Und da ist er der Glücksmoment, dessen Glücksfee Velia Vidal ist, eine Journalistin mit einer TV- Sendung, in der sie die 125 Gemeinden der Provinz Antioquia und deren Bürgermeister den Kolumbianern vorstellt. Eine Persönlichkeit im Lande. Sie ist dermaßen angetan von unserer Geschichte, unserer Reise und unseren Abenteuern und zugleich mit einem großen Herz gesegnet, sodass sie uns ohne zu zaudern zu sich nach Medellín einlädt. Ihr Mann wird telefonisch kurz eingeweiht, die Adresse und Telefonnummer notiert und die Sache ist beschlossen… Am nächsten Morgen weht uns schon der Geruch gebratener Eier mit Arepa in die Nase und wir finden Eduardo fröhlich am Herd stehen, unser Frühstück bereiten. Der Tag hält einiges für uns bereit. Wir besuchen unter Führung von Eduardo, der unsere ärztliche Profession offensichtlich sehr schätzt, das örtliche Spital, das Altersheim und werden zum Almuerzo (Mittagessen) bei seinem Sohn, dem Herrn Bürgermeister Alvaro auf Sancocho (kolumbianischer Eintopf)eingeladen. Die Nachmittagsschicht der Stadtführung übernimmt prompt Velia. In den „Dulces de Jardin“ tauchen wir in die verführerische Welt des familiär geführten Süßwarenproduzenten ein und Camilo, der Sattelmacher verleitet mich mit seinem kunstvollen Handwerk beinahe dazu einen Sattel für ein nicht vorhandenes Pferd zu kaufen. Früh genug ruft mich Christopher zur Vernunft und vereitelt meine Geschäfte. Dieses wunderbare Städtchen Jardin, mit seinen bezaubernden bunten Häusern, vor denen die Pferde wie Autos geparkt werden, und seinen entspannten liebenswürdigen und außergewöhnlich großzügigen Menschen wäre ein Ort zum Verweilen, aber wie so oft bleibt auch die Spannung auf das was folgt. Schweren Herzen verabschieden wir uns von den so schnell lieb Gewonnenen und lassen das koloniale Schmuckstück hinter uns. Entlang der tiefgrünen Kaffee-bewachsenen Hänge passieren wir ausgemergelt Arbeiter, die in den steilen Plantagen ihre tägliche harte Arbeit verrichten, um der Welt das wohlschmeckende schwarze Gold zu schenken. Je tiefer uns die Straße führt, desto mehr steigen die Temperaturen an, die Farben der Landschaft wechseln in ein warmes Ocker mit spärlicher Vegetation und zunehmender Rinderzucht. Das Land der kolumbianischen Cowboys. Behütet und beritten treiben sie ihre Herden die Straße und den Rio Cauca entlang zwischen Weiden und Fincas, hin und zurück. Wir passen dabei gar nicht so schlecht ins Bild…behütet und beritten zumindest. Santa Fe de Antioquia…das klingt doch schon nach Cowboys…soll das Ziel des Weges sein. Klein, kolonial, bezaubernd, wie so oft und dennoch anders und die Mühen wert auch über seine steinig gepflasterten Straßen zu schreiten, das Leben auf dem bevölkerten Dorfplatz zu beobachten und sich darin einen Tag oder zwei zu verlieren. So lange alles vor dem Wochenende erledigt ist. Denn dann wird das Dorf touristisch überschwemmt und vor lauter Bäumen/Menschen sieht man kaum mehr den Wald/die Stadt. Wir flüchten zeitgerecht in die Hauptstadt Antioquias - Medellin. Der Stadt eilt zugegebenermaßen ein gewisser Ruf voraus über den wir uns auf der steilen Passstraße genügend Gedanken machen können und der sich in der folgenden Woche nicht im Geringsten bestätigen wird. Im Grunde ähnelt es einem Schauermärchen, das Wirtshaus im Spessart und dergleichen fällt mir dabei spontan ein. Es ist aber die traurige und brutale Geschichte eines Mannes, der Medellin in eine der gefährlichsten Städte der Welt verwandelte. Pablo Emilio Escobar Gaviria, auch „El Patrón“ oder „Don Pablo“ genannt. Der Drogenhändler industrialisierte den Schmuggel und wurde so nicht nur zu einem der reichsten Menschen der Welt, sondern auch zum mächtigsten und brutalsten Drogenhändler der Geschichte, womit er nachhaltig und weltweit dem Ansehen des Landes Kolumbien als „Narco-Republik“ schadete. Er führte einen regelrechten Krieg gegen den Staat mit Bombenterror, Ermordungen von Richtern und Staatsanwälten und Kopfgeldern bis zu 1000 Dollar auf jeden in Medellin getöteten Polizisten. Escobar wurde letztendlich 1993 von einer amerikanisch-kolumbianischen Elite-Einheit erschossen. Zwanzig Jahre also hatte die Stadt Zeit sich auf ein geordnetes Leben einzuspielen und das mit Erfolg. In einem ruhigen Wohnviertel mit freundlichen Backsteinhäusern suchen wir zunächst unsere Gastgeber und da unsere liebe Velia noch am Arbeiten und Interviewen ist freunden wir uns zunächst mit ihrem liebenswürdigen Mann Rogelio und den zwei Katzen Sacha und Mandarina an, die ja von ihrem Glück zwar schon gehört hatten, für die wir aber bis zu unserem Auftauchen ja doch nur Gesichter lose Namen waren. Kurze Zeit später kehrt auch Velia heim, wir plaudern, sehen uns Fotos an, lernen uns eigentlich erst kennen und brechen dann spät zu einer beschwingten Nacht in einer Salsa Bar auf, in der wir über ein paar Mojitos und verhaltenen Tanzschritten unsere Müdigkeit nach einem harten Radtag völlig vergessen. Nach einem gemeinsamen Sonntagsfrühstück beginnen wir die Stadt zu erkunden…jeden Tag ein bisschen mehr ein bisschen tiefer in die Kultur und das Leben der Großstadt. Kultur, endlich nach langer Zeit ein bisschen Kultur…im Museo de Antioquia mit zeitgenössischer Kunst vor allem des großen Künstlersohnes der Stadt – Botero. Und shoppen, nach eineinhalb Jahren einige der alten und abgenutzten „Fetzten“ gegen etwas Neues austauschen. Auch das muss und vor allem darf sein. Abends lassen wir die Geschehnisses und Eindrücke des Tages gemeinsam mit Velia und Rogelio bei Salat und einem Gläschen Wein Revue passieren und so verbringen wir eine geschlagene Woche in der Stadt, bevor wir uns schweren Herzens wieder aufraffen und uns auf den Weg zurück ins Tal des Rio Magdalena machen. Medellin liegt in einem Talkessel und so erklärt es sich von selbst, dass ein Entfliehen nur über einen weiteren Pass möglich ist. Einer von vielen, vielen, vielen in der folgenden Woche. Nachdem der Weg gegen Osten führt und somit alles andere als unserem Ziel entgegen, beschließen wir zumindest den kürzesten Weg gen Osten zu nehmen, um zumindest nicht erst Recht am Ende in Bogota zu landen, das wir großzügig meiden wollten und weiterhin wollen. Das geht, sagt zumindest unsere Karte, mit dem kleinen Pferdefuß, dass dabei wieder ein beträchtliches Stück steiniger, schlechter, manchmal zu Fluchen harter und steiler Feldweg vor uns liegt. Auch wenn wir uns zuvor an die zehn Mal schon geschworen hatten, ab nun immer dem Asphalt Vorzug zu geben, so ist dann doch die Praxis meist deutlich anders und der kürzere Weg, der zumindest den Vorteil des geringeren Verkehrsaufkommens auf seiner Seite hat, gewinnt das Rennen. Gemischten Gefühls verlassen wir also die Hauptstraße, werden noch wenige Kilometer mit gutem Belag verwöhnt und poltern alsbald über Waschbrett und Steine unserem Abend und Ende des Tages entgegen. Die eine oder andere Finca am Wegesrand lädt uns zum Fragen nach einem Zeltplatz ein bis wir am Ende bei Doña Elvia um 3 mal 3 Meter ebene Erde zum Schlafen bitten und bleiben dürfen. Aber nicht auf 3 mal 3 Meter ebener Erde, denn die freundliche ältere Dame, die seit Kurzem ihr Leben als Witwe alleine bestreiten muss, ist über unseren Besuch ganz glücklich und lädt uns zu einer Nacht in Bett und dazugehöriger Vollpension ein. Fernsehabend an ihrer Seite mit kolumbianischer volkstümlichen Musik ganz selbstverständlich inklusive. Mit Absicht drängt sich einem nun ein wenig das Bild von Urlaub am Bauernhof auf…Natur pur, Pferd, Hühner und Gänse, rustikale Bleibe und Essen im Kreise der Familie. Die Idylle komplettiert die Tatsache, dass hinter der Haustüre der Dschungel zu beginnen scheint, denn blau-gelbe Guacamayos (Aras) schwirren über unsere Köpfe hinweg, Tucansillos tummeln sich in den Ästen und die Geräusche der eintretenden Nacht hüllen uns ein und entführen uns in die Träume des Waldes. Die Glühwürmchen, die sich zu uns ins Zimmer verirrt haben, tragen zur Stimmung ihres bei! Die Erholung benötigen wir dringend, auch das doppelte Frühstück am Morgen – unser traditioneller Haferschleim mit Banane und Doña Elvias hausgemachte Arepa mit Fleisch und, wie schön, Haferschleim. Gestärkt wagen wir uns also weiter vor auf dem Weg, der auf der Karte nicht mehr als eine graue unscheinbare gestrichelte Linie darstellt. Schlechtes Zeichen können wir hier versichern. Noch schlechter ist die Tatsache, dass der Weg nicht nur in miesem Zustand ist, sondern, zum Glück der Radfahrer in naher Zukunft, allerdings gegenwärtig zu unserem Nachteil, ausgebaut wird. Das bedeutet im Klartext viel Verkehr, Baustellenverkehr wohlgemerkt, viel Staub und viele erzwungene Stopps aufgrund der Arbeiten. Hinzu kommt die saftige Steigung, die wie immer unabwendbare Dauerbelästigung durch die zahllosen Hunde und der einsetzende Regen, der den Weg in ein Schlammbad verwandelt. Da kann es dann auch passieren, dass der/die eine oder andere von uns beiden einen entnervten Schrei oder ein schluchzendes Klagen von sich lässt, jede(r) nach seiner/ihrer Façon. Am Ende helfen aber weder Schreie noch Klagen, einzig ein beharrliches Treten in die Pedale, bis wieder das sanfte gleitende Fahrgefühl glatten, geschmeidigen Asphaltes einsetzt. Aber auch der übernimmt keine Garantie für Komfort. Nach einem weiteren anspruchsvollen Tag mit beinahe-Brechen des Höhenmeter-Rekordes (geleistete 1.900 hm vs. Rekordhaltende 1.903 hm) würden wir uns aber genau den zumindest im Ansatz wünschen. Nichts da, nur die harten kommen durch. Also landen wir im Zelt, eh eigentlich normal, aber sehr sehr ungemütlich, wenn ein Jahrhundertgewitter über uns nieder geht, die Blitze uns in die Luft zu sprengen drohen und das mit ohrenbetäubenden Donner untermalen, die die Erde unter uns erbeben lassen. Das Schlammbad um uns herum und der See, der sich im Zeltinneren bildet (zum Glück schlafen wir auf Luftmatratzen) erscheint uns in jener Nacht noch das geringste Problem. Für uns gibt es zum diesem Zeitpunkt zwei Möglichkeiten – A: der Blitz erschlägt uns, B: wir ertrinken jämmerlich in den Wassermassen. Und doch tritt keines von beiden ein, wir erwachen morgens, zwar mit dicken und dunklen Augenringen, aber lebend. Zudem blinzeln uns ein paar schüchterne morgendliche Sonnenstrahlen versöhnlich entgegen und entschuldigen sich für den klimatischen Wutausbruch der vergangenen Nacht. Es sei verziehen. Ausnahmsweise. Ist ja auch nichts passiert. Aber… Endlich erreichen wir nach einer harten Woche und einem Radversagen des armen Tigre (Freilauf kaputt) das pittoreske Villa de Leyva, seines Zeichens koloniales Schmuckstück im Norden Bogotas und unser lang ersehntes und endlich erreichtes Zwischenziel. Zeit sich wieder einmal etwas zu gönnen, sich richtig zu verwöhnen und siehe da, eine französische Bäckerei mit auf der Zunge zergehenden Leckerbissen, lässt unser Herz höher springen und den Gaumen jubeln. Außerdem wird auf einer kleinen Plaza samstags der Wochenmarkt abgehalten auf dem so ziemlich jede Frucht und jedes Gemüse feilgeboten wird, das man sich vorstellen kann. Eine Explosion an Farben, Gerüchen und Geschmäckern und unmöglich sich nicht am Ende der Runde mit zehn verschiedenen Säcken voll mit diversen Einkäufen wiederzufinden. Nebst dem Feilschen und Fragen, Kosten und Schmecken ist auch das eine oder andere Gespräch mit den Marktleuten ganz nett und interessant und lässt den Vormittag fliegend vorüberziehen. Mehr und mehr erkennen wir auch, was uns von den übrigen Touristen unterscheidet. Haben wir endlich ein Ziel erreicht, steht uns so gar nicht mehr der Sinn nach vielfältigen Ausflügen, Bikes Ausborgen, Dinosaurierknochen oder Ähnlichem. Am glücklichsten sind wir beim Faulenzen, Stadt Erbummeln und uns kulinarischen Genüssen Widmend. Denn der Weg hält für uns die größten Erlebnisse und Abenteuer bereit, sodass das Ziel nur mehr den abschließenden körperlichen Lohn bietet. Klingt komisch, is aber sooooo. Der Weg führt nun endlich wieder einmal für ein paar Tage nordwärts. Fast schon erweckt es den Eindruck dass wir dieser Himmelsrichtung ausweichen, um das Ziel noch etwas fernzuhalten. Aber nur allzu selten ist der gerade Weg der beste. War die Landschaft zwischen Medellin und Villa de Leyva grün und fruchtbar, mit dichter Vegetation und viel Niederschlag, so setzt sie sich nun trocken und karg fort. Der Zuckerrohranbau dominiert über weite Landstriche das Bild, Maulesel schleppen die geschnittene Caña zu hohen Schornsteinen, die weithin sichtbar Panela-fabriken (Rohzucker) kennzeichnen. Im Flusstal auf und ab bewegen wir uns Richtung San Gil, das hochgepriesene Outdoor-Mekka Kolumbiens. Biken, Trekken, Rafting, Canyoning, Paragleiten, was das Abenteurer-Herz begehrt wird hier offeriert. Wir begehren vorerst gar nichts, außer dem Üblichen…Ruhen und Essen und dem Anlass und Datum entsprechend Christophers 36sten Geburtstag ausgiebig zu feiern. Sogar mir selbstgebackener Torte, naja, Kuchen - aus der Mikrowelle, aber ist es nicht der Wille der schlussendlich zählt? Die Outdoor-Atmosphäre, die zugegeben wie ein Damoklesschwert über uns schwingt, zieht uns letztendlich in ihren Bann und wir entschließen uns zu einem Perspektivenwechsel. ES soll den Horizont gewaltig erweitern und das tut es auch… Wir stehen am Abgrund, kein senkrechter, aber früher oder später geht’s nach wenigen Schritten an die tausendvierhundert Meter in Tiefe des Cañon de Chicamocha. Hinter uns steht jemand, nicht zum Schubsen, nein unser Paragleitpartner, der uns in wenigen Augenblicken, sobald die Thermik stimmt mithilfe des gewaltigen Schirmes über uns in die Lüfte bringt. Plötzlich kommt die Anweisung loszulaufen und nach wenigen Schritten erfasst uns der austeigende Wind und lässt und lautlos und sanft und den gewaltigen Canyon schweben. Unter uns werden die Häuser klein, die Menschen kleiner und alle Gedanken oder Sorgen verschwinden im Glücksgefühl des Fliegens. So leicht, so schwerelos gleiten wir mit den Vögeln in den Lüften, mal hinauf, mal leicht hinunter, bestaunen das rege Treiben auf der geschlängelten Straße unter uns und entschwinden für eine halbe Stunde der Realität des Erdbodens. Das Hochgefühl bleibt, denn als wir zurückkehren nach San Gil ist unser lieber Freund Arnaud eingetrudelt, um die letzten gemeinsamen Tage auf südamerikanischem Boden zu verbringen und unsere Freundschaft noch einmal zu besiegeln (wenngleich das längst geschehen ist). Mit ihm lassen wir uns sogar zu einem weiteren Ausflug hinreißen, Barichara, ein weiteres koloniales Wunder und Schauplatz kolumbianischer Seifenopern. Eben fast zu schön, um wahr zu sein. Mit der Gewissheit, uns erst in Europa wiederzusehen, wird er Abschied lang und schwer und der Wunsch noch einmal gemeinsam zu radeln groß. Aber unsere Wege trennen sich und führen bestimmt alsbald zu Hause wieder zusammen. Adios Arnaud, merci pour tout!!! Gracias!!! Danke… War nett J Wir holen also zum scheinbar letzten Kapitel aus. Die Küste liegt vor uns und bei zügigem Fahren, sollten wir in eineinhalb Wochen bereits karibische Luft einatmen, Kokosnüsse wie Wasser trinken und uns im türkisen Meer und am weißen Korallenstrand rekeln. Ja, ja... Zunächst wechseln wir wieder die Perspektive und bezwingen den bereits „erflogenen“ Cañon de Chicamocha auf dem festen Erdgrund. Rauf, runter, rauf, was bei einem Radiojournalisten derart Anklang findet, dass er neben der Straße ein Interview mit Christopher führt und ihn vielleicht zum Star des Radio Santander macht. Angebote werden gerne entgegengenommen. Wie ein alter Hase beantwortet er bereits spielend alle Fragen, wo wir herkommen, wo wir hinwollen, wie viele Kilometer etc. etc. etc. haben ja auch oft genug geübt (so circa zehn Mal am Tag!) Nach einem langen Tag, in strömendem Regen, auf Herbergssuche werden wir wieder einmal von der grenzenlosen Gastfreundschaft Kolumbiens überwältigt. Brenda, eine lebensfrohe lustige Frau mit strahlenden Augen nimmt sich unser an und beherbergt uns in ihrem kleinen Haus für eine Nacht, bewirtet uns mit Abendessen und Frühstück und gibt uns das Gefühl eine lange nicht gesehene Tante zu besuchen. Uns wird aber auch bewusst, dass nicht nur wir begeistert sind über solche Begegnungen. Durch unsere Erzählungen und Geschichten, von Europa und zu Hause, von unseren Abenteuern und Erlebnissen, lassen wir die Menschen an unserer Welt teilhaben und sie darin ein kleinwenig mitreisen. Das macht auch sie glücklich. Auch Brenda wünscht sich einen Tag länger mit uns, aber der Ruf der Karibik ist längst allzu laut und deutlich. Bis auf einen kleinen Umweg, der sich aber schwieriger und länger gestalten sollte, als erwartet… Die Straße wird nach Langem erstmals vollends eben und teils pfeilgerade. Reizlos und heiß. Brütend heiß. Wir trinken an die fünf Liter pro Tag und dank einer hunderte Kilometer langen Autobahn Baustelle werden wir von den freigiebigen Arbeitern regelmäßig mit kaltem Wasser und Rehydrierungs-Drinks versorgt. Juvenal wiederum versorgt die Arbeiter mit Mittagessen und Säften und erbarmt sich unser beim Vorbeifahren, hält prompt an und reicht uns zwei warme vollständige Mahlzeiten und kalte Säfte. Dafür schenken wir ihm eine halbe Stunde im Schatten, um über Gott und die Welt, vor allem aber über Kolumbien, die Reise und Europa zu plaudern, sehr gerne sogar. Am Abend fängt er uns an der Straße in der nächsten Stadt ab und bringt uns in ein Hotel, dass er uns bereits organisiert und bezahlt hat….So manches Mal kommt uns ein schlichtes Danke kaum mehr angemessen vor für die Großzügigkeit, die uns so oft entgegengebracht wird. Als weiteres Highlight des Tages wurde noch die 15.000 km Marke überradelt, Hurra!!! Erwähnten Abstecher planen wir während der Etappe spontan und soll uns über weite Umwege nach Mompos führen, eine koloniale Insel am Rio Magdalena, die während der Kolonisation ein blühendes Handelszentrum am Fluss darstellte. Zum ersten Mal macht uns die Gesundheit einen echten Strich durch die Rechnung und des Morgens im Hof des Pfarrhauses zu Tamalameque wird Christopher von derartigen Bauchschmerzen geplagt, dass ein Spitalsbesuch, so man das spärlich eingerichtete Gesundheitszentrum so nennen mag, nicht mehr zu umgehen ist. Eine Appendizitis? Der ist noch drin, ja, und einiges deutet darauf hin, dass das Würmchen raus muss. Wir malen uns schon die OP aus, die Länge des Krankenhausaufenthaltes, die notwendige Ruhephase danach, doch das Labor spricht eindeutig dagegen. Konservative Therapie und Ruhe werden verordnet, hierunter leichte Besserung der mysteriösen Beschwerden, und so gelangen wir verzögert und per Boot in das mystisch-romantische und geschichtliche Nest Santa Cruz de Mompox, dass trotz einiger kleinerer architektonischer Wehwehchen und abgefallenem Putz die gute alte Zeit widerspiegelt. So steht die letzte Etappe doch noch vor uns, aber ganz deutlich vernehmen wir ihn, den Ruf der Karibik. 17/2/2014 Von Nordecuadors Achterbahn ins Kolumbianische Kaffeehochland...Es lebe der Tinto!Read NowAllem Anfang wohnt ein Zauber inne…der Zauber neuer Welten, was hinter dem Horizont
liegt, dem was wir auf dem Weg finden und erkunden, der Zauber des Reisens. Nach langer Pause im Sattel empfinden wir den Aufbruch beinahe euphorisch intensiv und den Abschied aus Tumbaco zwar durchaus ambivalent, Abschied von Santiago und seiner familiären, legendären Casa de Ciclistas, aber auch befreiend. Ein tiefer Atemzug, ein kraftvoller Tritt in die Pedale, die Straße hat uns wieder. Rasch merken wir allerdings, dass nach einem kleinen und anabolen Urlaub Kondition und Höhenakklimatisation deutlich zu leiden hatten. Ein 4.080 er Pass ist plötzlich doch als deutliches Hindernis zu spüren, die Atemzüge schnell, das Herz schneller, der Verkehr am schnellsten. Eine stressige Steigerung. Das ist Straße eben auch, das ist Anfang eben auch, ein Zauber, der sich schnell gegen einen wendet. Wenn wir aber etwas gelernt haben, so ist es die Gewissheit und Sicherheit, dass wir jedes Ziel, wenn auch noch so langsam, erreichen können. Einmal oben mit Blick frei auf den 5.758 m hohen Vulkan Antisana befreit uns von allen Leiden und Mühen, das Blatt wendet sich erneut, Stolz, Freude und Begeisterung haben uns wieder. Nach rauschender Abfahrt und einem ausgedehnten Mittagsbad in den heißen Quellen von Papallacta, umgeben von pittoresker Berglandschaft, ist der Friedenspakt besiegelt. Wie könnte er es auch nicht sein in dieser Landschaft, die mit jeder Faser, jedem Grashalm das pure Leben verkörpert. Grün und grüner, wärmer und feuchter und einfach zauberhaft umspielt uns der Charme des Oriente mit seinen vielen Facetten. Der größte Wasserfall Ecuadors – San Rafael - stürzt über zwei Stufen in die Tiefen des Rio Cocoa - ein Anblick, der uns auch nach vielen vielen Kaskaden immer noch imponiert und uns in eine kurze Meditation abgleiten lässt. Auf der kurzen Wanderung durch dichten Dschungel lenken verspielte Äffchen unsere Aufmerksamkeit auf sich, während der Vulkan „El Reventador“ - ein nicht zu unterschätzender Feuerberg - in bedrohlicher Manier raucht und pfaucht... Nur wenige Kilometer abseits der Straße spielt es sich also so richtig ab, das beflügelt auch unsere Fantasie auf dem Asphalt, sofern die unnachgiebige Hitze zwischen frühem Vormittag und spätem Nachmittag nicht unsere Sinne umnebelt. Wie sollte sie es auch nicht, wir nähern uns mit jedem Treter, jedem zurückgelegten Meter über Berge und Hügel, Linkskurve und Rechtskurve dem bekanntesten aller Breitengrade, 0°, dem Äquator. Noch jetzt umgibt uns eine eigenartige Sentimentalität wenn wir in Gedanken zurückreisen zu jenem Moment, jenem zauberhaften Anfang am „Ende der Welt“, Breitengrad 54°48´ Süd, als alles vor uns lag, alle Erlebnisse, Abenteuer und Wunder der Reise nichts weiter waren als bestenfalls Wünsche und Hoffnungen, auf ein unbeschriebenes Blatt projiziert. Und da stehen wir nun, vor einem kleinen Monument, eine Weltkugel aufgesetzt, eine symbolische Linie, Nord, Süd, Ost, West. Demut, Dankbarkeit und ein Freudenfeuer toben in uns und lassen uns zufrieden im Augenblick schwelgen, in dem Anfang und Ende verschmelzen und wir zurückkehren in die nördliche Hemisphäre, die letzten Endes doch auch ein kleines Stück Heimat beherbergt. Gleichzeitig nähern wir uns auch der Grenze Ecuadors und besiegeln die letzte Nacht im Garten des wohlwollenden Victor, der uns mit seinen Geschwistern einen herzlichen Abschied aus diesem wunderbaren Land gewährt. Ein Ausreisestempel - Adios, ein Einreisestempel - Bienvenidos, drei Kilometer und die Puente Internacional (internationale Brücke), vergleichsweise wenige Hindernisse trennen uns von unserer letzten Destination auf dem Kontinent. Kolumbien. Alleine das Aussprechen des Namens, der Gedanke an dieses Land löst einen Sturm an Gedanken aus…oder nicht? In uns hat sich seit Monaten eine aufgeregte Spannung eine kaum zu überbietende Neugier aufgebaut. Das Spannungsfeld zwischen medial transportierten Bildern und den ausschließlich euphorisch positiven Berichten anderer Reisender und Radler macht die „Landung“ beispiellos interessant… Landschaftlich ändert sich anfangs nicht allzu viel, kein Kaffee, keine Pferde, Viehweiden und Wald, wie drei Kilometer zuvor. Was soll es also sein, was dieses Kolumbien speziell, anders macht? Das Bewusstsein darüber stellt sich schleichend ein, beginnt mit scheuen Gesprächen mit den Leuten und endet am ersten Abend bereits im kleinen Vorgarten einer einfach lebenden Familie, die uns auf so natürliche Weise willkommen heißt und mit uns teilt, das wir uns auf Anhieb wohl fühlen. Ein Ei zum Abendessen, Bananen, Platanos, alles teilen sie so selbstverständlich, obwohl wir uns doch unserer Ansicht nach selbst eingeladen haben. Einzig ein territorialer Truthahn lässt uns seine Abneigung spüren, wird aber vom fünfjährigen Stammeshalter mutig in seine Schranken gewiesen. Gastfreundschaft ist hier keine aufgesetzte letztlich eigennützige Maske, sie ist Selbstverständnis. Glückselig treten wir den ersten vollständigen Tag in Kolumbien an. Auf und Ab, Achterbahn wie gewohnt und mit jeder Stunde des Tages heißer und heißer bis zum bedrohlich empfundenen Inferno, aus dem es kein Entrinnen gibt. Zudem entpuppt sich die anfangs asphaltierte Straße als schonende Vorbereitung auf eines der schlechtesten Wegstücke der Reise. Riesen Steine hindern uns an halbwegs akzeptablem Weiterkommen und mit jedem passierenden Laster bleiben wir für Minuten in einer dichten Staubwolke zurück. Na herrlich. An unsere Lungen wollen wir erst mal gar nicht denken. Ausgleichend werden wir mit einer wunderbaren Begegnung beschenkt, ein kleines Perezoso (Faultier) hat sich auf unerklärliche Weise auf die Straße verirrt und wird gerade als wir vorbeikeuchen von zwei Soldaten zurück in den Wald begleitet. Schwer atmend, erschöpft, aufgeregt und irritiert blickt es uns an und wir staunen zurück, die langen Fingernägel, der müde Blick, das zottelige Camouflage-artige Fell. Welch eigenartige Episode muss das im Leben dieser langsamen und bedacht wirkenden Kreatur sein. Welch unvergessliche Begebenheit muss das im Leben zweier rastloser Radfahrer sein. Was nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wird, bemerken wir nun erstmals am Wegesrand, die Spuren und nach außen zutage tretenden Auswirkungen des pannungsfeldes, das dieses Land subtil beherrscht. In die Luft gesprengte Ölpipelines. Guerilla, FARC, Unwörter die keiner zu gebrauchen wagt und die trotzdem vor allem in der südlichen Provinz schwer in der Luft hängen. Das Militär zeigt omnipräsent sein Bemühen die Oberhand zu behalten, scheint auch die Aktivitäten deutlich zurückgedrängt zu haben, was uns in jedem Gespräch mehrfach versichert wird. Und nachdem uns persönlich in jeder Zwischenmenschlichkeit ausnahmslos Hilfsbereitschaft, Neugier und Wohlwollen entgegengebracht werden gibt es weder Grund noch Anlass für Unsicherheit oder Angst. Ab dem kleinen Dörfchen Santa Ana können wir wieder geschmeidig über Asphalt gleiten, was aber bleibt sind die unerträglichen Temperaturen, die uns regelmäßig ab Mittag leiden lassen. Beinahe zu unserem Glück liegt vor uns ein Pass, dessen Höhen uns auf milde Kühle hoffen lassen. Mit jeder Kurve gewinnen mehr Ausblick über den undurchdringlich scheinenden Wald und entfernen uns mehr und mehr von der Zivilisation, die sich nur noch auf kleine Holzhütten am Wegesrand beschränken. Die Zeltplätze halten sich deutlich in Grenzen und so bleibt uns erneut nichts anderes übrig als bei einer kleinen einfachen Behausung um ein Stückchen Wiese zu bitten. Wiese? Zelt? Nichts da, ein kleines Zimmerchen mit Holzpritsche wird uns zugewiesen, ein Tinto und Bananen zur Begrüßung serviert, Abendessen und Frühstück (Popcorn und Tinto= schwarzer Kaffee) mit uns geteilt und fröhlich mit uns über Gott und die Welt konversiert. Die Wärme und Nähe der Menschen beflügelt uns beinahe und trägt uns mühelos über die Passhöhe, auf deren Kehrseite sich die Landschaft schlagartig ändert und viel mehr unserem Bild von Kolumbien zu entsprechen beginnt. Grüne Hügel, Kaffeepflanzen und Bananenstauden wohin die Blicke reichen und Fincas in typischer Architektur in deren Vorgärten Pferde weiden. Wie unbeschreiblich schön wir diese Gegend empfinden… und wie schnell sich ein Tag zu Ende neigt. Das gleiche abendliche Spiel der Herbergssuche beginnt - wir sind ein Paar aus Österreich, radeln von Feuerland in die Karibik, brauchen Zeltplatz für eine Nacht etc. etc. etc. Es scheint es wäre nicht Kolumbien, würden wir nicht wieder herzlichst aufgenommen werden. Es führt uns ins Haus der jungen Tierärztin Marcella, die die Kaffeefinca eines gealterten Onkels verwaltet und bewirtschaftet. Urlaub am Bauernhof in seiner romantischsten Form. Wir helfen Marcella bei der Mandarinenernte, erkunden den exotischen Obst- und Gemüsegarten, dinieren mit ihr gemeinsam in der rustikalen Außenküche und nach einer unvergleichlich erholsamen Nacht (in Zimmer mit Bett) führt sie uns am nächsten Morgen in die Geheimnisse des Kaffee-Röstens ein. Am Anfang steht ein Sack roher Bohnen. Wir mahlen um die Bohne aus der Schale zu lösen, trennen dann das Gemisch, indem Christopher langsam alles zu Boden leert, während Marcella und ich heftig mit riesigen Topfdeckeln Wind erzeugen, der nur die schweren Bohnen zu Boden fallen lässt. Um die Qualität zu steigern müssen wir nach Schema Aschenputtel „die Guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“ aussortieren. Erst dann beginnt das eigentliche Rösten. Mit einem überdimensionalen Holzlöffel rühren wir im Eisenkessel über einem kleinen Feuerchen solange bis der Geruch des schwarzen Goldes in unsere Nase steigt, mahlen noch heiß diesen Schatz und füllen unsere Behälter bis zum Bersten, um ab jetzt täglich unseren selbstgerösteten Kaffee genießen zu können. Und er schmeckt….mmmhhhh…einfach herrlich. Der Abschied fällt uns schwer, in kürzester Zeit ist Marcella eine Freundin und die Finca ein vertrauter Ort geworden. Wieder spüren wir die Spannung zwischen Verweilen Wollen und dem unvereinbaren Drang zum Aufbruch und Weiterstreben…das immerwährende und tägliche Prinzip unserer Reise, jeder Reise. Am Ende siegen immer Vorfreude und Neugier… San Agustin und die archäologischen Funde im Großraum des Magdalena Quellgebietes (Rio Magdalena = Hauptfluss Kolumbiens)bieten viel Spielraum dafür. Gewaltige einzigartige Steinstatuen entführen uns in eine Zeit, lange vor unserer, in ihre Mythologie und geben noch heute den Archäologen Rätsel über diese Kultur und Volksstämme auf, die ihre Geheimnisse in Form dieser Skulpturen hinterließen und so unsterblich geworden sind. Der Drang des Menschen nach Unsterblichkeit, ist er es der uns zu solchen Schöpfungen beflügelt, die unsere Zeit überleben und der Nachwelt ein Schatten unserer Selbst hinterlassen? Im Tal des Rio Magdalena folgen wir der Straße nordwärts Richtung Hauptstadt. Ringsum abflachende Hügel, die Meereshöhe deutlich unter der möglichen Kaffee-Anbauzone und das heiße Klima beeinflussen deutlich die Landschaft…Reis, Weideland und Rinderfincas und über einen kurzen Abschnitt abseits der Hauptstraße eine für Kolumbien einzigartige wüstenartige Gegend, die Desierto de la Tatacoa. Wenn auch das Mikroklima nicht zu einer vollständigen Wüstenlandschaft geführt hat, so macht es doch mit ihren 45° C, den ubiquitären Kakteen und der mondartigen rötlichen Sandsteinlandschaft großen Eindruck auf uns. Ein kleines Observatorium das auf einem der Hügel thront und einen malerischen Überblick über die Landschaft gewährt scheint ein nur allzu passender und stilechter Ort zum Campen. Für eine Führung durch den nördlichen Sternenhimmel bleibt nach einem Rekordtag mit Rekordtemperaturen aber kein Fünkchen Kraft. Schon am nächsten Morgen müssen wir den Weg zurückfinden zur Hauptschlagader gen Norden. Ein kleines Kanu, gerade Platz bietend für unser kleines Radteam, bringt uns schaukelnd über den Fluss ans andere Ufer, wo, nachdem wir den Obolus entrichtet haben, ein Fußweg durch Sumpflandschaft und über morsche Brücken zurück zur Straße führt. Ein kleines Dörfchen namens Natagaima wird wohl in naher Zukunft etwas mehr über uns und unsere Reise erfahren. Es scheint ein Abend wie viele zu werden, wir finden Unterschlupf im alten Gefängnis des Ortes, das mittlerweile die freiwillige Feuerwehr beherbergt, richten uns gemütlich im Hof ein, beginnen das Gemüse für das Abendessen zu schneiden, als der Kommandant an uns herantritt, einen Kameramann im Hintergrund und uns um ein Interview für den lokalen Sender bittet. Lokalsender oder CNN, ein bisschen geehrt fühlen wir uns da schon, platzieren uns mit unserem „Reporter“ vor Hugo und bemühen uns die einfachen Fragen so gut wie möglich zu beantworten, um das Ding in den Kasten zu bringen. Schnitt. Zurück in der Realität führen wir die Unterhaltung etwas intensiver fort und erfahren viel um und über die Problematik des Landes, die Schere zwischen Arm und Reich, Guerillakriege, Korruption etc. Dass eine blutige Geschichte hinter dem Land liegt, mag man zwar irgendwo im Hinterkopf haben, unser Bewusstsein hatte es allerdings bis dahin nicht erreicht. Je weiter wir in das Land vordringen, desto mehr wird uns dieses Konfliktpotenzial zwar bewusst, bleibt aber dennoch immer in ferner Distanz, denn Arm und Reich, egal mit wem wir Gespräche, Momente und Abende teilen, alle transportieren eine derartig tiefgreifende Herzlichkeit, die uns immer wieder aufs Neue berührt, dass es uns kaum möglich scheint, dass es auch eine Schattenseite in diesem wunderbaren Land gibt. Viele Gedanken die uns beschäftigen. Findet gewöhnlich, oder zumindest oft, das Leben für uns auf der Straße und drum herum statt, so bleibt sie bis El Espinal doch nur der Weg zum Ziel. Das Ziel wieder ein Stück Reise gemeinsam mit unserem lieben Franzosen, Freund und drittem Musketier, Arnaud (alias Portus), zurückzulegen. Mussten wir uns in Ecuador trennen, denn keine Pfade verlaufen auf ewig parallel, führen uns nun, nach unerwartet kurzer Zeit die Fäden des Lebens wieder zusammen. Zu dritt bestreiten wir nun die nächste Etappe ins Kaffeehochland Kolumbiens. Stetig führt die Straße höher und höher, aus dem Backofen des Ostens in die angenehme Kühle der Berge. Nicht zu ersten Mal auf der Reise müssen wir am Tagesende lange nach einem passenden Ort zum Campen suchen. Die Polizei scheint keinen Platz zu haben, Bomberos gibt es keine, die Schulen geschlossen und die Lehrer nicht da, der Flussufer zu steinig. Es ermüdet uns einen langen Tag nicht einfach problemlos beenden zu können. Just in jenem Moment, die ersten gestresst genervten Gefühle treten zutage, betritt die neunjährige Yessica die Bühne und lädt uns neben das Haus ihrer Schwester ein. Wie gerne folgen wir ihr und stören uns auch nicht daran, dass es mitten auf der kleinen Sackgasse der Dörfchens sein soll, wo wir die Nacht verbringen werden. Keine zwei Minuten dauert es und die gesamte Straße, Kinder und Jugendliche versammeln sich um uns und löchern uns mit Fragen. Und obgleich wir anfangs beginnen ein klein wenig Panik zu entwickeln, dass uns der Kindertrubel zu viel werden könnte, wird es ein buntes und reizvoll interessantes Gemisch aus Alltag für uns einerseits und das Spannendste, was die Kinder je erlebt zu haben scheinen andererseits. Am Ende werde ich mit Stofftieren beschenkt, Arnaud mit endlosen Kinderzeichnungen und wir alle drei mit einer positiv unvergesslichen Überraschung. Mit all unseren Lasten liegt die Geschwindigkeit beim Erklimmen der Berge und Pässe weit unten im einstelligen Bereich. Keine große Überraschung also, dass Rennradler an uns vorbeiziehen, ohne überhaupt großartig Notiz von uns zu nehmen. Umso erstaunter sind wir, als jemand langsam neben uns zu radeln beginnt, sich für uns und unsere Reise interessiert und uns auf Tinto und Bananen einlädt. Ein Kollege in doppelter Hinsicht. Javier ist Arzt und zum Ausgleich Rennradler und ein ausgesprochen gewinnender und liebenswerter Mensch. Wir besprechen unsere Pläne mit ihm, tauschen E-Mail-Adressen und verabschieden uns nur ungern nach einem kurzweiligen Vormittag. Wir alle müssen weiter, jeder hat seine Bestimmungen und Pflichten. Unsere Bestimmung für die folgenden Tage ist eine atemberaubende Landschaft, die wir uns über einen schlechten Feldweg durch das Hinterland in die Zona cafetera erarbeiten müssen. Der Abschied von Hauptstraße, Verkehr, Abgasen und Lärm fällt leicht und bringt uns ins Bewusstsein, dass wir lange die Geräusche der Natur entbehren mussten. Über den ersten der beiden Pässe treten wir uns tapfer hinweg, die Landschaft noch intensiv bewirtschaftet mit Frijoles (Bohnen), die die steilen Hügel in ein warmes Gelb tauchen. Die Abfahrt in die tiefe Schlucht lotst uns in ein charmantes Bergdorf, in dem die Uhren in anderem Rhythmus ticken. Die kleine Kirche bildet das unbestrittene Zentrum, vor den zwei kleinen bunten Läden, die mit dem Notwendigsten versorgen, besprechen die Dorfmänner in Gummistiefel, Hut und Machete die wichtigsten Geschehnisse und die einzige schnellere Fortbewegungsart neben den eigenen Füßen bietet das Pferd oder bestenfalls ein antikes Moped. Wir lieben es, auch dass wir wahrscheinlich der Dorfklatsch der gesamten Woche sein werden. War es bisher hart, anstrengend und kräftezehrend, so wird es im zweiten Gipfelsturm ein erschöpfender Kampf mit der Schwerkraft und dem steinigen Pfad nach oben. Ein Motorradfahrer hält neben uns und wir erkennen unseren Freund Javier (der Rennradler von gestern) wieder, der uns mit Sandwiches versorgt und die vor uns liegende Strecke für uns erkundet. Indessen kämpfen wir uns Meter für Meter weiter in eine der bezauberndsten und schönsten Landschaften. Bis zu fünfzig Meter hoch ragen anmutige Wachspalmen in den Himmel und bedecken soweit das Auge reicht die umliegenden Berge. Jedes Leiden scheint uns plötzlich so gerechtfertigt, dass wir auch die unzähligen Abschnitte, in denen wir nur noch schiebend vorankommen mit einem tiefen Gefühl der Befriedigung überwinden. Javier hat inzwischen eine Bleibe für uns in einer charmanten Finca organisiert, Abendessen für uns bestellt und bezahlt und verabschiedet sich zum zweiten Mal von uns. Ohne seine Hilfe wären wir wohl am Weg liegen geblieben, die Kräfte sind aufgebraucht, jeder Schritt schmerzt und nur die Aussicht auf Essen und Bett lassen uns die „Finca Carbonera“ erreichen - glückselig und am Ende. In der warmen Küche am Holzofen stärkt uns die Hausherrin mit kräftiger Suppe, Reis und Bohnen, sodass wir gestärkt am nächsten Tag endlich den Pass erreichen und eine 20 Kilometer-Abfahrt in das Schmuckstück Salento mehr oder weniger genießen, denn der steinige Pfad hält uns auch in der Abfahrt vor rauschenden Geschwindigkeiten zurück. Es ist ein Sonntag, als wir in Salento eintrudeln und uns vor Schock, ob der Menschenmassen zunächst der Fluchtgedanke erfasst. Der Gegensatz zwischen einsamer Bergwelt, Natur und Stille und die plötzliche unerwartete Umarmung einer überschwemmten Touristenstadt erfasst uns zu kalt und unvorbereitet. Wir ziehen uns im Garten eines Hostels zurück und erwarten gespannt den nächsten Tag. Es ist beinahe unglaublich, nach eineinhalb Jahren Reise treffen wir Peter wieder, mit dem wir drei intensive und einmalige Wochen auf der HS Schubert geteilt haben. Das Wiedersehen ist entsprechend freudig und beschwingt, es gibt auf beiden Seiten viel zu erzählen. Die zweite Runde durch Salento mit dem einen oder anderen Stopp zu Tinto, frischem Saft aus diversen (vorher nie gehörten tropischen Früchten) und Bier verläuft an einem Wochentag deutlich entspannter und die koloniale Stadt mit ihren prachtvollen und einzigartig farbenfrohen Türen, Fenstern und Balkonen nimmt auch uns letztendlich mit ihrem glänzendem Charme gefangen. Ab nun tauchen wir ein in die Welt des Kaffees. Tinto am Morgen, Tinto am Vormittag, zu Mittag, zu eigentlich jeder erdenklichen Tageszeit kann ein Tässchen des schwarzen Goldes nicht verkehrt sein. Kaffeekekse, Kaffeelikör, Kaffeekaramell… In der kleinen biologisch geführten Finca des freundlichen Don Elias spazieren wir durch die Plantage und lernen alles vor dem Getränk und seinen unzähligen „Derivaten“ kennen. Den Anbau, die Pflege, Ernte und Vertrieb dieses Tropfens, der die Welt betört. Einen kleinen Teil der Zona Cafetera erkunden wir im Jeep. In Marsella, einem kleinen fast ebenso bunten Städtchen, das dem Tourismus noch nicht zum Opfer gefallen mieten wir uns einen Willy Jeep, (aus den USA importierte Residuen aus dem 2. Weltkrieg), die zu den kleinen Städtchen der Gegend genauso zu gehören scheinen, wie die farbenprächtige Architektur. Ein Feldweg führt über einen Höhenrücken, von dem aus man unbeschreibliche Panoramen über die Kaffeeanbauzone mit geschmackvollen Fincas genießt und die Pflanzen beladen mit Blüten bis zu den roten Beeren bestaunen kann. Ab und an dringt der Geruch frisch gerösteten Kaffees in die Nase, was wäre also naheliegender als sich am nächsten Ständchen einen kleinen Tinto zu gönnen. Der Abend lassen wir kolumbianisch ausklingen bei einem Spielchen Tejo. Doch lassen wir diesen National“Sport“ doch Gegenstand der nächsten Geschichte sein, um am Ende einen neuen Anfang vorauszuschicken. In steifem Stechschritt spaziert die Wache an uns vorbei, im Hintergrund dröhnt laute Marschmusik und der Präsident der Republik winkt hoheitlich vom Balkon des Präsidentenpalastes. Wachablöse, jeden Montag am Plaza de Independencia, im Zentrum des kolonialen Quitos. Einen Tag nur widmen wir der Metropole, bummeln durch die gepflasterten Gässchen und besuchen einige der unzähligen Kirchen und Monumente. Längst sind wir imaginär schon näher an unserem nächsten Ziel und innerlich allzu aufgewühlt und gespannt. Seit Beginn unserer Reise hegen wir nicht nur den Wunsch, sondern auch die Gewissheit, dass wir uns ein kleines Archipel im pazifischen Ozean, 1000 Kilometer fern des Festlandes nicht entgehen lassen können, die Galapagosinseln. Nach dreistündigem Flug nach San Cristobal, eine der Hauptinseln, betreten wir ehrfurchtsvoll, beinahe ein bisschen demütig das UNESCO Weltnaturerbe. Dem ersten Anschein nach sind wir in einer gewöhnlichen, nicht allzu attraktiven Hafenstadt gelandet, die Hauptstraße am Meeresufer gesäumt von zahllosen Souvenirshops und Kneipen, bis wir erstaunt einem Seelöwen, der sich auf der Parkbank auszuruhen scheint über den Weg laufen und von nun an dem Zauber der Inseln erlegen sind. Unser erster Streifzug auf einer der Nachbarinseln Santa Cruz führt uns an den weißen Strand von Tortuga Bay. Noch keine zehn Schritte im weichen Sand spaziert läuft uns ein schwarzes, drachenartiges Geschöpf vor die Füße, ein marine Iguana. Der ärmste kann einem Fotoshooting nicht mehr entrinnen und wird von allen Seiten genauesten vor die Linse genommen und abgelichtet, bis wir entdecken, dass die gesamten tiefschwarzen Felsen, die ins Meer ragen von den kleinen bis riesigen Echsen belagert sind. Ein grandioser Einstieg in eine überwältigende und einzigartige Fauna, die schon Charles Darwin 1835 bezauberte und inspirierte in seinen Überlegungen und Forschungen und seiner Evolutionstheorie. Die Inseln sind in so vielerlei Hinsicht einmalig, zu Lüften, Land und Wasser. An Bord des Zweimasters Nautilus segeln wir über Wogen und Wellen und tauchen in die Tiefen der pazifischen Meereswelt ein. Einatmen, Ausatmen, Einatmen und nie aufhören zu atmen…nach beinahe eineinhalb Jahren stecken wir wieder im Neoprenanzug, den Sauerstofftank auf den Rücken geschnallt und gleiten sanft ins kalte Nass des Ozeans. Fischschwärme treiben in der Tiefe, ein Rochen taucht aus dem sandigen Grund auf und plötzlich erblicken wir zum ersten Mal in unserem Taucherleben (das zugegebenermaßen sehr kurz und arm an Erfahrungsschatz ist) den Alptraum aller Schwimmer und Surfer und unseren Traum… zwei Haie, zwei ausgesprochen besondere Haie…Hammerhaie. Da fällt es plötzlich schwer das kontinuierliche Atmen nicht kurz zu unterbrechen, die Luft anzuhalten in der ganzen Aufregung und Freude. Einen Moment lang empfinden wir diese Begegnung wie ein Wunder, unbeschreiblich und einzigartig. Wohlweislich waren bis zu jenem Augenblick der Meinung, Hammerhaie seien Planktonfresser...sie sind es nicht… Die weitere Zeit auf den Inseln folgt einem strikten Plan, dem Plan einer Galapagoskreuzfahrt durch die südlichen Gewässer des Archipels. Den Prolog gestalten die ältesten und berühmtesten Insulaner im Hochland von Santa Cruz, die Galapagos-Riesenschildkröten. Die sanften Riesen bestechen nicht nur durch ihr hohes Alter (bis zu 120 Jahren), sondern auch durch ihre einmalige Größe bis zu einem Meter. Eine traurige Geschichte und Vergangenheit liegt hinter ihnen. Lebendig wurden sie auf Piraten- und Handelsschiffen früherer Tage als Proviant mitgeführt und später durch eingeführte Ziegen durch deren Nahrungskonkurrenz stark dezimiert. Erst durch die Ausrottung und gezielte Tötung der eingeschleppten Säugetiere, die das gesamte Gleichgewicht zu gefährden drohten, und intensive Bemühungen seitens des Nationalparks konnten die Bestände wieder vergrößert werden. Nachts segeln wir zur Insel Floreana die mit spannender Historie in Bezug auf deren einstige Siedler aufwartet. Dr. Ritter der mit seiner Geliebten dort ein Eremiten-Dasein anstrebte, sich alle Zähne vor seiner Niederlassung dort ziehen ließ und als Vegetarier an einer Fleischvergiftung starb. Baronesse Wagner, die mit ihren zwei Geliebten nach Floreana kam um dort ein Luxushotel zu eröffnen und die eines Tages spurlos vom Erdboden verschluckt wurde. An sie erinnert nur noch ein gewaltiger Aussichtpunkt über eine türkise Bucht, die mit Meeresschildkröten gefüllt zu sein scheint, und über das hügelige und karge Hochland der Insel. Schon dieser erste Landgang hält uns alle in Atem ob seiner faszinierenden und anmutigen Tierwelt…farbenprächtige Flamingos, die kleinen nur 35 cm messenden Galapagos-Pinguine, Stachelrochen im seichten Gewässer der Bucht, Seelöwen, deren dominante Männchen mit ihrem Gebrüll die Luft erfüllen und Meeresschildkröten die sich zu dieser Jahreszeit ganz ungeniert vor uns paaren. Ein besondere Ort ist das vielleicht außergewöhnlichste „Postamt“ der Welt, ein kleines Holzfass, in dem Karten und Briefe hinterlassen werden, um von anderen Reisenden an ihrem Zielort zugestellt zu werden. Selbstverständlich hinterlassen auch wir eine Nachricht, die irgendwann seinen Adressaten erreichen sollte. Die kleine und unbewohnte Insel Española zeigt sich gerade hochfrequentiert. Die Nazca Boobies (Tölpel) laufen zur Höchstform auf im Partner-Werben und Paaren…Pfeifen, singen und tanzen um ihre Traumfrau von ihren Vorzügen zu überzeugen. Eine Tölpel-Dame zeigt stolz ihre frisch gelegten Eier, während sich die Nachbarin bereits rührselig um ihr kleines Tölpelchen kümmert. Besonders elegant ist der Tanz der Albatrosse und außergewöhnlich selten zu unserer Besuchszeit, da sie außerhalb der Brunftzeit die Insel verlassen. Eine malerische Bucht mit schroffen Felsen, an denen sich die Wellen brechen lädt uns Augenblicke zum Verweilen, Genießen und Träumen ein…zauberhaft, gewaltig und eigentlich unbeschreiblich. Irgendwie scheint sich jede Insel einer Tierart im Besonderen zu widmen, den Blue footed Boobies (Blaufuß-Tölpel), die stolz ihre knallig blauen Beine präsentieren und sich ihres schönsten Stückes sehr bewusst zu sein scheinen, den Fregattvögeln, deren Männchen einen roten Sack zu Brunftzeit aufplustern, den Seelöwen, Iguanas etc. etc. etc. Die Galapagosinseln sind allesamt vulkanischen Ursprungs und waren somit nie Teil des Festlandes, weshalb sich eine derart einzigartige endemische Flora und Fauna entwickelte. Einige der Inseln sind nach wie vor vulkanisch aktiv und so ereignete sich vor etwa hundert Jahren auf Santiago ein gewaltiger Lavastrom ins Meer, auf dem wir wandern und mehr Einblick in die Geologie des Archipels gewinnen. Augen zu- und deutlich tauchen die glühenden Lavamassen, das Rauchen, Dampfen und Zischen in unsere Fantasie auf. Bewachsen sind die Inseln allesamt nur spärlich, vor allem wegen der äußerst geringen Niederschläge, die sich nur alle zehn bis fünfzehn Jahre im Rahmen eines El Niño Ereignisses auf ein Rekordmaß steigern. Was uns über Wasser bezaubert, bezaubert erst recht unter Wasser….Beim Schnorcheln schwimmen und spielen wir mit jungen Seelöwen, bestaunen Pelikane und Blaufußtölpel die wie Pfeile vom Himmel schießen und so die Wasseroberfläche durchbrechen auf ihrer routinierten Fischjagd. Die bunten Fischschwärme, Langusten und Seesterne, ganz zu schweigen von Adlerrochen, die elegant zu fünft unter uns über den sandigen Boden gleiten un d Weißspitzen-Riffhaie, die nicht nur einmal unsere Adrenalinspiegel explodieren lassen. Jeder Tag an Bord der Deep Blue mit unserem fachkundigen und liebenswürdigen Reiseführer William verhilft uns zu neuen Eindrücken und Erlebnissen, bei Land- und Schnorchel-Ausflügen, die sich unvergesslich in unser Gedächtnis einprägen und das Buch der Erinnerungen großzügig füllen. Das letzte Plaudern an Deck wird vom Ruf des Kapitäns unterbrochen, dass uns Delfine am Bug begleiten und so dürfen wir auch sie noch bestaunen, bevor wir uns dem Zauber der Galapagosinseln wieder entziehen müssen und in unsere Welt des Radelns zurückkehren. |
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November 2014
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