Mit dem Rad Kamerad, mit dem Rad Kamerad, geht’s hinaus…fröhliches Hupen und Tüten, Treten und Strampeln, ein Mustertag an Motivation nach beinahe vierwöchiger Radpause zaubert uns ein Dauerlächeln auf die Lippen. Beschwingt fliegen wir durch das grüne Flusstal, Hügel auf und ab, vorbei an Reisfeldern, Papaya- und Bananenplantagen. Der Norden Perus ist fruchtbar, grün und heiß, unsagbar heiß. Gegen Mittag steht die Sonne hoch über uns, ein Schattenplätzchen ist trotz eifrigster Suche und geringsten Ansprüchen kaum zu ergattern und binnen kürzester Zeit schwinden die eben noch beschwingten Lebensgeister im Antlitz der schier unerträglichen Glut. Ausgetrocknet und nach Wasser lechzend, kaum erfrischt durch das siedend heiße Wasser aus der Flasche schleppen wir uns in die nächste Stadt und entschwinden in die Kühle des Abends. Nun was soll’s, sei es Wind, Regen oder Sonne, jedem dieser Genossen ist mit gutem Mute und früher Tagwache beizukommen, denn nicht zuletzt ist es immerhin der frühe Vogel, der den Wurme fängt. Um halb sieben soll der neue Tag für uns beginnen und er beginnt sogleich mit umfassender Intensität… ein Platten, zwei Platten, drei Platten vor Mittag - Tiger scheint sich ein bisschen vor der Weiterfahrt zu zieren und verlangt Christophers volle Aufmerksamkeit im Versorgen seiner kleinen Wunden. Immerhin können wir nun stolz verkünden, folgende Formel abgeleitet zu haben: Hitze = Ziegen = Dornen = Platten. Für eine genauere Erläuterung stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung. Wie ging es aber nun weiter…. Aus Film, Fernsehen, oder einem unserer Berichte sollte einem jeden der Rio Maranion geläufig sein – also jener Gigant eines Flusses der den Amazonas mit seinen Wassermassen großzügig nährt und auf unserer Reise nach Iquitos keine unbeträchtliche Rolle spielte. Eben jenen sollten wir an besagtem Tage überqueren. In Erinnerung an seine Dimensionen erwarten wir Brücken, Fähren und gewaltige Anlagen, mit deren Hilfe eine Überfahrt erst möglich wird. Da stehen wir nun am Rande eines etwas generöser angelegten Rinnsals und verfrachten die Räder in ein Fischerbötchen, das sogar mit unserer leichten Fracht und einem Motorrad heillos überladen scheint. Zwei Minuten Fahrt und wir stehen am anderen Ufer des Baby Maranions, der offensichtlich auf seinem Weg in den Dschungel noch einiges an Mächtigkeit zulegen wird. Im kleinen Dörfchen Bellavista treffen wir wieder Arnaud, der inzwischen seine Mähre in einer Werkstatt abgeholt hatte und von nun an geht die Reise wieder zu dritt weiter. Im ganzen Tumult des Vormittages (Reifen flicken, Flüsse überqueren etc.) übersehen wir den drohend hohen Stand der Sonne - zwölf Uhr hat‘s geschlagen und das Thermometer zeigt unglaubliche 58 °C. Es mag Haarspalterei gelichkommen und dennoch möchten wir fairerweise erwähnen, dass diese unvorstellbaren Messungen in der prallen Sonne stattgefunden haben. Nach unzähligen Pausen, stehend, sitzend und liegend, nach vier bis fünf Litern Wasser (pro Person versteht sich) und sechs Kokosnüssen (pro Gruppe versteht sich) neigt sich ein weiterer hitzerekord-verdächtiger Tag seinem Ende zu, in der Gewissheit, dass der nächste uns ähnlich zu schaffen machen wird. Zwei weitere Tage im Norden Perus vergehen, bevor wir nach einem rekordverdächtigen Tag den ach so gewohnten Peruanischen Sol gegen amerikanische Dollars eintauschen. Hier hat sich nun ein Fehler eingeschlichen…akuter Verwirrtheitszustand (durchaus durch die Hitze zu erklären) oder hat‘s denn doch schon gereicht in Südamerika? Halt, eine kurze Erklärung schulden wir dem verwirrten Leser, es handelt sich nämlich durchaus um eine legitime Frage – Was hat der U.S. Dollar an der Grenze Perus zu suchen? Das Währungskuriosum Ecuadors ist eben der Dollar. Und nicht nur das scheint uns bei der Einreise etwas verblüffend und kurios… Wir sehen uns in dem kleinen Zimmerchen der Zollwache um, der Computer deutet auf Lebenszeichen hin, aber niemand will uns offiziell mit einem Stempel im neuen Land begrüßen. Schon nimmt sich aber einer der Nachbarn in dem kleinen Grenzdörfchen unserer Sorge an und verweist uns zum Volleyballplatz, wo die Zöllner ein abendliches Spielchen austragen und verschwitzt zu uns eilen, um die Formalitäten zu erledigen. Nun ist es offiziell – Adios Peru! Hola y Bienvenidos a Ecuador! Neuer Morgen, neues Glück, neues Land, neues Glück – was könnte da schon schief gehen und uns altes Leid einholen? Nun, gewisse Strapazen und Anstrengungen ändern sich eben auch durch eine einfache Grenzüberquerung nicht. Man könnte in dieser Situation sogar von einer Steigerung sprechen. Steigerung der Steigung. Schon die ersten Meter in Ecuador sind radelnd nicht mehr zu bewältigen. Bis zu 20% Steigung auf schlechter und holpriger Schotterstraße bedeuten für rund dreißig Prozent des österreichisch-französischen Teams (man erahne bereits, dass es sich um die weiblichen 30% handelt), dass Schieben angesagt ist und sogar das zu einer kräftezehrenden Herausforderung wird. Immer wieder fällt die Straße in gleicher Steilheit ab, um erneut saftig anzusteigen. So bewältigen wir einen Hügel nach dem anderen und erarbeiten uns den Süden Ecuadors hart. Der Mühen Lohn sind atemberaubende tiefgrüne Berge und Täler, die uns umgeben und deren Anblick ein tiefes Gefühl der Befriedigung und des Glücks in uns auslöst. Ein jedes Bächlein nützen wir, um uns ein wenig Abkühlung und Verschnaufpause zu verschaffen, um die schmerzenden Waden zu kühlen und den Staub der Straße abzuwaschen. Und nicht zuletzt die herzlichen, freundlichen und offenen Menschen, die in den kleinen verschlafenen Bergdörfchen leben, erschaffen in uns eine Gewissheit, dass dieses Land seine Mühen wert ist. Es sind die kleinen Gesten, die uns den Tag erleichtern, die Beschwerlichkeiten lindern und uns schlichtweg glücklich machen…ein Schattenplätzchen zur Mittagspause, Hilfe bei der Wassersuche, ein kühles Bier am Wegesrand, ein Platz zum Schlafen/Campen, ein interessiertes Gespräch…Je anspruchsvoller die Etappen ausfallen, desto mehr an Bedeutung gewinnen diese sonst so scheinbaren Kleinigkeiten. Beinahe haben wir die erste anstrengende und staubige Etappe bewältigt, jene Grenzetappe, über die wir viel gehört und vor der wir entsprechend viel Respekt hatten, als das Wetter plötzlich umschlägt. Die schier unerträgliche Hitze staut sich in gewaltigen Gewitterwolken über uns auf und geht abrupt in einen tropischen Regenschauer über, der sich über uns entlädt und in dicken Tropfen auf uns herabprasselt, uns binnen Sekunden bis auf die Haut durchnässt und die staubige Straße in ein einziges Schlammbad verwandelt. Die triefenden Kleider sind nun unser geringstes Problem. Die Räder, so anstrengend sie auch zuvor zu radln gewesen sein mögen, sind nun störrischer als je zuvor, lassen sich nicht treten, kaum schieben und erschweren erneut unser Vorwärtskommen. Wäre nicht die rettende Asphaltstraße zum Greifen nahe gewesen, wer weiß wie lange wir in den schlammigen Massen gekämpft hätten. Auf glatter Fahrbahn stört uns auch der Regen nur mehr wenig und endlich erreichen wir das beschauliche, wenn auch sehr touristische Vilcabamba, das wir schon von unserem ersten Besuch in Ecuador kennen und lieben. Zwei Tage Ausspannen können nicht schaden, bevor wir den Oriente Ecuadors, den Westen, das Amazonastiefland erkunden wollen. In Loja beginnts. Zum einen unsere Beinahe-Tradition bei den Bomberos (Feuerwehr) Unterschlupf zu finden und zum anderen der Weg über einen Pass, gefolgt von einer berauschenden Abfahrt, vorbei an unzähligen kleinen und großen Wasserfällen, in das Tiefland im Westen des Landes. Das Grün wird grüner, die Bäume höher, die Temperaturen schwüler und den Wegesrand ziert täglich die eine oder andere giftige oder ungiftige Schlange, wer weiß das schon. Der Dschungel ist dem Greifen nahe! Wieder umarmt uns dieses wunderbare Gefühl von purem Leben, die vielen Geräusche und Gerüche des Waldes, die üppige, wenn auch hier oft kultivierte Flora und Fauna, einfach faszinierend. Fast täglich campen wir am Flussufer, baden am Abend in den erfrischenden Wellen und genießen die letzten und kühlen Stunden des Tages. Das Wetter scheint noch unberechenbarer als zuvor, in einem Moment formieren sich die Schweißtropfen in kleine Bäche, die von der Stirn über die Nasenspitze auf den sandigen Boden fließen, im nächsten durchnässt uns sekundenschnell ein gewaltiger Platzregen und spült das Salz von unseren Körpern. April, April und das mitten im Dezember. Und dennoch wäre es verwunderlich, wäre es anders, denn täglich bewegen wir uns beinahe einen halbe Breitengrad nach Norden und der Äquator, Namensgeber dieses wunderbaren Landes, liegt dicht vor uns. Zunehmend suchen wir allerdings geschützte Schlafplätze, damit die Nachtruhe nicht durch tropische Wettereskapaden gestört wird…ein verlassenes Häuschen, das uns ein Bauer zur Verfügung stellt, die Garage oder der Vortragssaal der Feuerwehr oder das wundervolle Haus der Vorarlbergerin Margit, die uns drei Tage lang beherbergt und die wir trotzdem nicht kennenlernen, weil der liebenswürdige Paul, seines Zeichens U.S. Amerikaner im freiwilligen Exil, das Etablissement unserer Landsmännin hütet. Drei Tage voll abenteuerlicher Geschichten des ehemaligen Piloten, voll Entspannung und ausgezeichnetem Essen, das wir in der Luxus Küche des Hauses zaubern. Eine weitere Etappe neigt sich dem Ende zu und wir streben zurück Richtung Ecuadors bergige Mitte. Die vor uns liegende Straße gilt als ein Highlight und rühmt sich seiner unversiegbaren und zahllosen Wasserfälle. Aus dem Tiefland des Amazonas, das nicht nur rückblickend keineswegs tief oder gar flach und einfach zu meistern war, geht’s aufwärts in das feuchtfröhliche Baños, am Fuße des 5016 Meter hohen Vulkans Tungurahua. Noch bevor wir die Stadt erreichen schweben wir in eisigen und windigen Höhen, in luftigen Tarabitas (waagrechte Gondeln) über den tief unter uns im Tal gelegenen Fluss und bewundern die imposanten Kaskaden die über vulkanische Basaltsäulen in die Tiefe stürzen. Noch eben aus der Vogelperspektive bewundert erleben wir einen Tag später den Fluss im wahrsten Sinne des Wortes aus der Froschperspektive. Hautnah. „Vorwärts, Rückwärts, Felsposition“ donnert der Guia (Führer) hinter uns, bevor wir das Boot ins Wasser gleiten lassen und in den tosenden Wellen des Wildwassers durchgeschüttelt werden. Im 6er Raft, ausgestattet mit Neoprenanzügen und Helm kämpfen wir mit den Gewalten der Strömung, fallen ins Wasser, schreien und lachen, paddeln und rudern bis zum Muskelkater, schlucken und spucken und versinken in den gewaltigen Fontänen, die sich über uns ergießen. Ein herrlicher Ausgleich zum Alltag auf zwei Rädern. Nun trennen uns nur noch wenige Tage von der Hauptstadt Quito. Kaum verlassen wir das kleine Städtchen Baños, taucht neben uns ehrfurchtsvoll der gewaltige Vulkan auf, der uns bis dahin verborgen geblieben war. Der perfekte Kegel und sich abzeichnende Krater dominiert über viele Kilometer die Landschaft und verleiht ihr trotz intensiver landwirtschaftlicher Nutzung eine raue und unberechenbare Aura mit unvergleichlicher Pietät und Schönheit. Eine zweischneidige Rolle spielt dieser Berg, schenkt einerseits fruchtbaren Boden und nährt sein Volk und könnte ihm dennoch in jedem Moment den Tod bringen. Alleine die Gedanken an einen feurigen Lavastrom lassen uns erschaudern und vor Ehrfurcht beinahe zittern. Die Straße der Vulkane nannte einst Alexander von Humboldt den Weg nach Quito der geziert wird von der anmutigen Bergwelt der hohen Kordilleren. Nirgendwo sonst sind noch so viele Feuerberge aktiv wie an dieser Strecke der Panamericana. Umso enttäuschender empfinden wir den dichten Nebel- und Wolkenschleier, der uns jedwede Sicht auf diese Schönheiten missgönnt und verschleiert. So bleibt der Antlitz des Cotopaxi und seiner Gefährten vorerst Teil unserer Fantasie, bis wir zurückkehren und staunend vor diesen glühenden Riesen verweilen dürfen. Denn nun sind wir in Quito, in der Hauptstadt Ecuadors und am Ende einer spannenden und vielseitigen Etappe. Am Ende unserer Reise zu dritt mit unserem lieben Freund Arnaud, der nun ohne uns weiter nordwärts zieht, wo wir uns nach vielen neuen Abenteuern erneut zu eine österreichisch-französischen Radteam vereinen werden. Mehr dazu später!
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Ich trete ohnehin auf dem kleinsten Gang, immerhin zeigt Christophers „Tacho-Multifunktionsgerät“ 12% Steigung. Mehr geht nicht, nicht mit vierzig Kilo Gepäck. So gefährlich kann es doch nicht sein, inmitten der Pampa auf einer Stein- und Schlammstraße gerade mal breit genug, dass wir nebeneinander radln können. Und außerdem fühlen wir uns verfolgt. Obwohl es ja schon die dritte Polizeieskorte seit gestern ist. Andererseits könnte man sich an die hundertprozentige Sicherheit auch gewöhnen, sogar die Hunde lassen einen beinahe in Frieden. Das Drama der Geschichte beginnt am Tag zuvor, Tag eins nach zweiwöchiger Radpause. Gerade inmitten einer spannend schockierenden Geschichte unseres Begleiter Lucho (Besitzer der ersten „Casa de Ciclistas“ in Trujillo)hält neben uns ein Streifenwagen…es handle sich bei unserer gegenwärtigen Teilstrecke um ein besonders gefährliches Stück mit einigen Überfällen täglich. Wir schlucken hart, vielleicht verhört? Nein? Nun gut, es gilt kühlen Kopf zu bewahren und positiv denken, dann sieht man uns die Angst schon nicht an und keiner wird sich an uns vergreifen. Haben ja auch nichts zu geben, nicht wirklich halt, hoffentlich. Ein geduldig bestimmtes Räuspern reißt uns aus unseren Gedanken und Befürchtungen…ja nun, man müsse sich nicht allzu sehr aufregen, man würde uns einfach über die nächsten Kilometer eskortieren und damit sei die Sache erledigt. So sei es und so wird’s gemacht. Sogar im ersten Gang stirbt der Streifenwagen fast ab, obwohl wir strampeln was das Zeug hält. Zumindest werden sie es lustig haben, wenn sie uns von hinten beim Kämpfen mit den Kräften beobachten können…Kaum sind wir wieder allein unterwegs findet sich alsbald der nächste Streifenwagen, der uns dicht auf den Fersen bleit und allen auch uns Respekt einflößt. Sicherer geht’s gar nicht. Als Draufgabe schlafen wir gleich im Polizeihof - sicher ist sicher- und duschen im Gefängnis, da kommt bestimmt keiner freiwillig rein. Irgendwann wird es auch den dritten und letzten Eskortierenden zu viel und sie übergeben und –lassen uns unserem Schicksal, das an diesem Tag vor allem eine furchtbare, steile und zum Heulen animierende Straße und eine versöhnliche Nacht im Hause der liebenswürdigen Nancy, ihres Zeichens Luchos Schwägerin, für uns vorsieht. Bis Cajamarca sollte uns diese Dualität der Stimmungen täglich begleiten. Die Tage beginnen sonnig, trocken (als kleiner Hinweis auf das Nachfolgende) und gut gelaunt. Pünktlich um zwölf mit gelegentlich akademischem Viertel verdunkelt sich der peruanische Himmel und entlädt sich mit einer derartigen Gewalt, dass wir binnen Minuten bis auf die Haut eingeweicht werden. Stimmungswechsel – schlecht gelaunt. Aber kein Übel ohne Gewinn…zwei durchnässte Radfahrer werden nicht ohne Weiteres abgewiesen und so werden wir täglich freundlich eingeladen zumindest irgendwo unter Dach zu zelten oder gar im Bett zu schlafen (Stimmungswechsel – gut gelaunt)…im Nonnenkloster (mit Fernseher und heißer Dusche) oder im ersten Stock des Magistrates. Zumal wir ohnehin beinahe vor den Toren der geschichtsträchtigen Kolonialstadt Cajamarca stehen. Hier wurde blutige Geschichte geschrieben, als Pizarro den Inka-König Atahuallpa auf niederträchtige Weise in einen Hinterhalt führte und ermordete. Hier beginnt auch für uns und unsere Reise ein neues Kapitel, Radln zu dritt mit unserem Freund Arnaud, dessen Namens-Schreibweise auch schon seine Herkunft verrät. Und obwohl uns die Regenzeit in Nordperu langsam aber sicher und mit voller Wucht einholt, schaffen wir es zu dritt auf wundersame Weise leichter den damit einhergehenden Stimmungsschwankungen zu entkommen und gute Miene zum nassen Spiel zu machen. Die Landschaft um und nach Cajamarca ist bis heute eine Gold- und Milchgrube. Auf den sanften und grünen Hügeln grasen unzählige Kühe deren Milch von den Eseln morgens und abends davongeschleppt wird. Beschwingt durch unsere Gesellschaft und die positive Überraschung einer neu geteerten Straße scheinen wir mühelos über die Auf und Abs hinwegzutreten. Ein Ab von zweitausend Höhenmetern zaubert uns allen ein genüssliches Lächeln auf die Lippen. Weit unter uns in eine atemberaubende Kulisse eingebettet liegt der Rio Maranon auf den wir in riesigen Serpentinen zurasen. Schon ab der Hälfte der „abgebauten“ Höhenmeter scheint sich die Temperatur verdoppelt zu haben, die Hänge sind von Kakteen überzogen und am weißen Ufer des Flusses zaubern Kokospalmen ein karibisches Flair. Im kleinen Dörfchen Balsas gibt’s eisgekühlte Kokos und Mangos zum Spottpreis und einen kleinen Strand, der zum Zelten wie gemacht zu sein scheint. Da stören auch die Kinder nicht, die uns sofort ausfindig machen und ihren Spielplatz in unsere Nähe verlegen. Ist halt einfach zu spannend wenn drei Gringos noch dazu mit Rad hier aufkreuzen. Die nächsten Tage stehen im Zeichen der Schuldenbegleichung, eine zweitausend Meter Abfahrt kostet nun mal, und gar nicht zu wenig…dreitausend Meter Steigung auf schmalster Straße, die der Todesstraße in Nichts nachsteht, und entweder glühend heiße Sonne , die uns das Hirn zu verbrennen droht oder Regen aus Kübeln und Tonnen, gegen den wir uns auch trotz Poncho kaum wehren können. Aber auch nach dieser geschafften Etappe sehen wir noch besser aus als die zweihundert Ausstellungsstücke im Museum Leimebambas – Mumien, die uns zum Teil mit verzerrten Gesichtern anstarren und einen leichten Anflug von Gänsehaut auf unsere Arme zaubern. Sie alle sind die verbliebenen stummen Zeugen und Angehörigen einer Kultur, die noch vor den Inkas diese Region der Anden besiedelte, die Chachapoya (Wolkenmenschen). Tag für Tag erkunden wir die Überreste jener Epoche…Revash – ein beeindruckendes Mausoleum, das waghalsig in senkrechte Sandsteinklippen gebaut wurde und die atemberaubende Festung Kuelap, deren Anreise nicht nur uns, sondern auch einen PickUp und Arnauds Rad schwer mitnimmt. Tausendzweihundert Meter über dem Fluss gelegen treten wir ohne Gepäck im strömenden Regen und auf schlammigem Feldweg den Ruinen entgegen. Kultur hat eben seinen Preis. Als wir nach den berechneten drei Stunden kaum die Hälfte der Strecke bewältigt haben und die Schlammschlacht schier unfahrbare Ausmaße annimmt, bleibt uns nur die Huckepack-Variante nach oben. Es bleibt bis heute ein Streitthema, welche der beiden Varianten ungemütlicher war…. Schon nach außen hin beeindruckt die Anlage mit einer gewaltigen zwanzig Meter hohen Steinmauer, die nur über drei hohe und extrem schmale Zugänge steil erreichbar ist. Über zwei Ebenen verteilen sich an die dreihundert kreisrunde Gebäude, deren Raumaufteilung sogar teilweise noch zu erkennen ist. Die Aussicht auf die umliegenden Berge und Dörfer lässt unsere Knie weich werden. Jedes Dorf der Umgebung ist aus dieser Höhe zu erkennen und die tiefgrünen Terrassen leuchten in den warmen Strahlen der Nachmittagssonne. Das größte Mysterium Kuelaps muss wohl das „Tintero“ (Tintenfass) darstellen, ein kreisrundes Konstrukt, das sich nach unten hin verjüngt, einem Tintenfass gleich und über dessen Verwendung zahlreiche Theorien bestehen…Gefängnis? Opfertempel? Observatorium? Jedem seine Phantasie, der die mystisch im Nebel liegenden bemoosten Ruinen einen besonderen Nährboden bieten. Die Abfahrt ins Tal, in unsere Herberge bringt uns zurück in die Realität, als Arnaud mit etwas Glück einem gewaltigen Sturz entkommt als sein Fahrrad schwer verletzt zusammenbricht… Während er mehrere Tage damit verbringt Hilfe für seinen Esel zu organisieren ruhen wir uns in Chachapoyas ein wenig aus, von Regen, Kultur, Monteczumas Rache etc. … Pause für Körper und Geist… Ein einziger kurzer Radtag den Fluss entlang nach Pedro Ruiz und Cuispes verbleibt, bevor wir die Radelei für einige Zeit an den symbolischen Nagel hängen. Cuispes gehört zweifelsohne zu jenen kleinen Dörfern Perus, die kaum in einer Karte zu finden sind und das einfache Landleben in idyllisch sympathischer Weise repräsentieren. Trotzdem und noch mehr weil es für uns einen kleinen Umweg von doch recht anstrengenden und steilen sechshundert Höhenmetern bedeutet, führt uns nicht der Zufall in das verschlafene Örtchen. Es darf sich immerhin des dritthöchsten Wasserfalls der Erde (jawohl!!!) rühmen, Catarata de Yumbilla. Ein kleines Holzgatter, nicht mehr, das uns in die Welt des Dschungels eintauchen lässt. Schnuppertag im Urwald, denn hier sind die Menschen noch nahe und der Weg in die Zivilisation kurz. Und dennoch umarmt uns das undurchsichtige dichte Grün vom ersten Schritt an und mit jedem weiteren werden die Pflanzen größer und vielgestaltiger, die Geräusche lauter und fremder. Unsere Aufmerksamkeit wird zwischen dem Boden unter unseren Füßen, der wurzelübersät ist und vielleicht die eine oder andere Schlange darüber hinwegschleichen könnte, und den Baumwipfeln und Sträuchern, die Vögel, Faultiere und Affen beherbergen, hin und hergerissen. Mit jedem Atemzug vermeinen wir pures Leben einzuatmen. An zwei Wasserfällen führt der Weg zum höchsten aller dieser vorbei, Catarata de Yumbilla, die sich über drei Stufen ca. 870 Meter in die Tiefe stürzt. Jeden Meter, den wir uns nähern, kühlt die Luft einen Grad ab bis wir so dicht am obersten Teil des Falles stehen, dass uns der Wind um die Ohren rauscht, die vom gewaltigen Tosen bereits taub zu sein scheinen. Ehrfürchtig stehen wir vor ihm, tief beeindruckt von den Gewalten die sich uns präsentieren. Der berühmtere Nachbar, etwas weniger hoch, aber in seiner Gesamtheit noch imposanter und wohl deshalb prominenter – Catarata Gocta – lädt zu einem gesonderten Besuch. Ein „luftiger“ nervenkitzelnder Felsvorsprung gibt den Blick auf die vollständige Gewalt und Größe des Wassersturzes frei. Wie unscheinbar und klein fühlt man sich in weiter Ferne neben diesem Riesen… Welten liegen zwischen diesem Augenblick und der nächsten Szene, die den Einstieg in ein unvergessliches Abenteuer darstellt. Zehn Stunden im Bus (die Räder müssen erneut zurückbleiben) katapultieren uns nach Yurimaguas, das Ende der Straße. Aber hier gibt es ein Weiterkommen - nur zu Fuß (mit Machete und viel Glück) oder mit dem Boot. Wir geben dem schwimmenden Untersatz den Vorzug, was der Bauer kennt frisst er und ein bisschen Schippern hat uns schon immer gefallen. Auch wenn es ein wenig anders von der Bühne geht als sonst. Eine Hängematte neben der anderen, sardinenartig eng, ersetzt Stühle und dergleichen und ist beim näheren Ausprobieren auch viel gemütlicher, auch wenn die „Schwing-Zone“ beengend klein ist. Vorerst sind es ja sowieso nur zwölf Stunden in das nächste größere Flussdorf Lagunas. Gegen Abend haben bereits die meisten Passagiere ihr Dorf erreicht und Ruhe kehrt an Deck ein. Wir genießen die letzten Sonnenstrahlen und einen unvergleichlichen Sonnenuntergang auf dem Dach des kleinen Frachters und schwelgen in andächtiger Stille des ausklingenden Tages, der den Fluss in ein sanftes Rosa taucht. Nun wird man mich des Kitsches anklagen oder der Lügen strafen, aber tatsächlich erspähen wir an diesem Abend die ersten Flussdelfine die gegen Westen in den Sonnenuntergang schwimmen…. Viel mehr glaubt man mir bestimmt den unendlichen Trubel und Wirbel, als wir endlich in Lagunas anlegen und von Bord gehen - Hafenstimmung vom Feinsten! Nur für kurze Zeit verweilen wir in den Armen der Zivilisation, schon am nächsten Morgen sitzen wir mit wehenden Haaren auf dem Anhänger eines Mototaxis, das uns zum Einstieg des Pacaya-Samiria Reservates bringt, sechs Tage in Obhut unserer Guias (Führer) Raul und Abraham, die seit ihrer Kindheit den Dschungel und seine exotischen Bewohner kennen und uns mit Anekdoten ihres Lebens hier beinahe den Atem rauben…fünf Meter Anakonda, die einen Freund beim Fischen beinahe erwürgt, Tarantelbisse, Fische, die noch blutrünstiger sind als Piranhas und ihre Opfer absichtlich verletzen, um mehr ihrer Artgenossen und Piranhas anzulocken, die Jagdmethoden der Krokodile…schauerlich spannend eben. Das Kanu scheint so voll beladen zu sein mir Vorräten für die kommenden Tage, dass für uns kaum mehr Platz zu sein scheint. Ruhig „laufen wir aus dem Hafen aus“ und erwarten gespannt das Abenteuer Urwald. Unsere Blicke verlieren sich im undurchsichtigen Grün des Waldes. Es dauert jedoch nicht lange bis die geschulten Augen unserer Guias eine Anakonda, die sich auf einem Ast zum Sonnenbad niedergelassen hat, erspähen. Ein junges Exemplar, vielleicht an die zwei Meter lang und vier bis fünf Zentimeter dick. Je weiter wir uns in das Herz des Reservates begeben, desto mehr tauchen wir in die Vielfalt der Flora und Fauna ein. Affen in allen möglichen Varianten – Brüllaffen, Kapuzineräffchen und einige andere, blau-gelbe Ara-Papageien, Tukane und alle möglichen anderen bunten und weniger farbigen Vögel, Schildkröten, rosa und graue Flussdelfine und bunte Schmetterlinge die im Licht der Sonne dem Fluss und Wald eine märchenhafte Aura verleihen. Am schwersten macht es uns allerdings das Faultier. Durch seine unwahrscheinlich langsame Art sich zu bewegen und ein Fell, das den gefleckten Baumstämmen aufs Haar gleicht, haben wir alle Mühe sie trotz der Hilfe Rauls und Abrahams in den Baumwipfeln zu erkennen. Erst als sie sich ein wenig regen, zeitlupenartig versteht sich, können auch wir sie als Lebewesen ausmachen und erkennen. Fachmännisch erzählen uns die beiden, dass Faultiere unwahrscheinlich wenig essen und so zum Beispiel auch nur einmal im Monat einen Toilettengang für nötig befinden. Außergewöhnlich in jedweder Hinsicht. Alles für uns ist außergewöhnlich und exotisch. Mit Anbruch der Nacht ändert sich nach und nach die Geräuschkulisse. Die Vögel und Affen verstummen, Frösche und Grillen geben den Ton an. Wir erreichen unser erstes Nachtlager. Schon am Morgen duftet es nach Fisch in der Bratpfanne, ab jetzt zwei bis dreimal täglich frisch aus dem Fluss auf unsere Teller und schmeckt auch schon am Morgen herrlich gut. Bevor es im Kanu weiter flussabwärts geht begutachten wir einen Piranha aus nächster Nähe und entlassen zwölf Tage alte Schildkröten Babys in ihre Freiheit. Jede Minute gibt es etwas neues Spannendes zu sehen, zu hören oder riechen. Am Abend versuchen wir selbst einen Fisch an die Angel zu kriegen, mit mäßigem Erfolg, ein Piranha beißt an, zu klein zum Essen, hinterlässt aber in uns allen ein mulmiges Gefühl nachdem wir kurz zuvor im Fluss gebadet haben. Es wartet eine dunkle Nacht auf uns und wir legen uns im Kanu auf die Lauer, die Bewohner der Dunkelheit etwas näher kennen zu lernen. Eine Schlange pirscht sich auf einem dünnen Ast an ein schlafendes Vögelchen heran, dass durch uns alarmiert in letzter Minute seinen Kopf aus der Schlinge zieht, Frösche so groß wie Kaninchen quaken in tiefem Bass durch die Nacht und die roten Augen der Krokodile leuchten flammend im Licht der Taschenlampe. Abraham entführt uns einen kleinen Kaiman, einen Meter lang, um ihn halten und näher betrachten zu können, als plötzlich das tiefe erzürnte Brüllen der Mutter ganz dicht neben uns uns drei in Angst und Schrecken versetzt. Auf drei bis vier Meter schätzen sie das Untier und spätestens bei einem erneuten Drohen der Reptilien Lady stehen unsere Nackenhaare zu Berge. Was für eine Nacht!!! Jeder Tag schenkt uns neue Wunder und Abenteuer, Staunen und Bewundern der gewaltigen Vielfalt dieser überwältigenden Natur. Sechs Tage könnten nicht kürzer und schöner sein und so fällt uns der Abschied und die Rückkehr in die Welt der Menschen schwer. Menschen, überall Menschen, wir sind wieder auf dem Boot, das Boot nach Iquitos. Iquitos, die größte Stadt der Welt die nur per Boot und Flugzeug und nicht über den Landweg zu erreichen ist. Meist schaukeln wir ein wenig nach links, ein wenig nach rechts, lesen ein bisschen und verbringen die erste Hälfte meines Geburtstages an Bord, bevor wir am späten Nachmittag die Stadt erreichen, die schon von Weitem ein wundersam exotisches Flair versprüht. Lärmende Mototaxis preschen vorbei an den gefliesten Bauwerken, die an eine Zeit erinnern, als hier das Kautschukgeschäft boomte. Spektakulär sticht der Stadtteil Belen hervor, dessen Häuser nicht viel mehr als überdachte Flosse sind, die je nach Wasserstand im Sand stehen oder, man rate - eben schwimmen. Nach einer aufschlussreichen Bootstour spazieren wir durch den dazugehörigen Markt, der alle Leckereien und Grauseligkeiten des Selva (Wald) feilbietet …ausgeweidete Gürteltiere, Krokodilshaxn, panzerlose Schildkröten, Piranhas und fingerdicke Maden, die Arnaud mit verzogener Miene mehr oder weniger genüsslich verzehrt. Na, läuft das Wasser im Mund zusammen? Wir für unseren Teil halten uns eher bei den unübertroffen delikaten Fischen (Doncella etc.), die zum Spottpreis über den „Ladentisch“ gehen. Beinahe möchte man die Dschungeldiät dauerhaft übernehmen – Fisch am Morgen, Fisch zu Mittag, Fisch am Abend - da kann man auch getrost auf die übrigen Delikatessen verzichten. Nicht zuletzt schlendern wir an einem kleinen Stand vorbei, der ein paar unglücklich dreinblickende Äffchen und prähistorische Riesenschildkröten zum Verkauf ausstellt, scheinbar die regionstypischen Haustiere. Beinahe möchten wir uns einen Herr Nilson mitnehmen und ihn von seinem bitteren Los befreien, aber die Freiheit wäre doch die passendere und schönere Lösung für sie alle. Langsam neigen sich die Tage am Amazonas ihrem Ende zu, zurück auf das Schiff und in vier Tagen Hängematten zurück in unsere Welt des Radlns. Die Bustüre schließt abrupt hinter uns, der Fahrer tritt ordentlich ins Gaspedal und lässt uns allein im strömenden Regen zurück. Was für ein Tag zum Wandern… nach wenigen Minuten schon fühlen wir uns bis auf die Haut durchnässt, die ach so schönen Berggipfel verstecken sich in einer dichten Nebeldecke, unsere geliehenen Trekkingrucksäcke sind so schwer, dass wir sie nur mit Müh und Not auf unsere Schultern hieven können und vor uns liegen nun vier Tage Wandern in der Cordillera Blanca, die uns bei anhaltend miesem Wetter kaum viel Freude bereiten werden. Ein etwas verhaltenes Lächeln aufgesetzt, ein Liedchen auf den Lippen (zumindest im Geiste) und lockeren Schrittes marschieren wir los in Richtung Laguna 69. Der Weg schlängelt sich durch ein Quinawäldchen über Wiesen und ein Bächlein bis der steile Anstieg beginnt. Zunehmend mischen sich Schneeflocken unter die dicken Regentropfen und trotz adäquater Winterverpackung und nicht wegzuleugnender Anstrengung bringt uns der kalte Wind zum Frösteln und Schlottern. Längst schon ist das Lied auf den Lippen verstummt, das Lächeln (beinahe) versiegt und ein Funken Missmut will sich unserer bemächtigen, als vor uns die Laguna 69 die Bühne betritt und jedem Unmut ein jähes Ende bereitet. Das intensive türkis-blaue Gewässer spiegelt selbst im trüben Licht den Gletscher wieder und leuchtet so magisch, dass wir die längste Zeit in seinen Bann gezogen sind. Auf die kalte und nasse Rückwanderung folgt eine noch kältere und nässere Zeltnacht – auf diese allerdings ein strahlend blauer und sonniger Morgen. Der Vorhang aus Nebel und Wolken ist gefallen, gewaltig und Respekt einflößend ragen die weißen Häupter des Bergmassivs in die Höhe. Der zweiköpfige Riese Huascaran, seines Zeichens höchster Andengipfel Perus krönt mit seinen gewaltigen Dimensionen den Horizont. Der eigentliche Santa Cruz Trek beginnt für uns recht gemächlich. Durch kleine Bergdörfchen führt der Weg zunehmend in die Einsamkeit der Bergwelt Perus. Ein kleines Bächlein schlängelt sich durch eine zauberhafte Hochebene, auf der Pferde und Esel weiden und die Welt ihren Atem anzuhalten scheint. Im glasklaren Wasser werden die Strahlen der Nachmittagssonne tausendfach reflektiert und jeder Schritt bringt uns den Eisriesen etwas näher. Steiler und steiler werden wir nun in Richtung Passhöhe geleitet, vor uns ein imposanter Gletscher, der in uns ein bisschen Sehnsucht weckt, nicht nur an ihm vorbei zu spazieren, sondern ihn für uns zu erobern, seine Gewaltigkeit hautnah und unter unseren Füßen zu spüren und zu erleben. Auf 4.700 Metern ist der Scheitel erreicht. Vor uns erstreckt sich ein Panorama, das uns für Minuten in sprachloses Staunen versetzt…Gletscher reiht sich an Gletscher und in weiter Ferne funkelt das Türkis einer kleinen Lagune. Allen voran haben es uns der „Paramount Pictures“ Star Artesonraju und der angeblich schönste Gipfel der Welt Alpamayo angetan, die elegant in den wolkenlos blauen Himmel ragen. Könnte man, man wollte ewig verweilen. Von nun an geht’s stetig bergab, einen halben Tag, einen Tag, bis wir ein letztes Mal sehnsüchtig zurückblicken und die großen „Weißen“ weit hinter uns bleiben. Unsere Tage in Huaraz sind beinahe gezählt und wir genießen letzte Stunden auf der Terrasse unseres Hostels, vertieft in Radler Gespräche mit unserem Freund Arnaud, bevor wir für ein Weilchen unsere letzte Etappe antreten. Ein letztes Mal radeln wir am Nationalpark vorbei, Huascaran und seine Kollegen hüllen sich allerdings allesamt in eine dicke graue Wolkenschicht ein. Das was pura bajada (reine Abfahrt) und somit eine Art Genuss-Radeln sein sollte wird zu einem anstrengenden Kampf gegen den Wind, der uns bis zu Küste begleiten sollte. Nun tut aber auch die Schwerkraft ihre Arbeit und so schaffen wir es schon am ersten Nachmittag zum Einstieg des Etappen-Highlights - Cañón del Pato (Entenschlucht). Das zuvor weite und tiefgrüne, intensiv bewirtschaftete Santa-Tal verengt sich zunehmend zu einem tiefen felsigen Canyon, wo sich die gegenüberliegenden Gebirgsketten Cordillera Negra und Blanca bis auf 15 Meter an engster Stelle beinahe berühren und sich der Rio Santa in schwindelerregender Tiefe durch die Schlucht schlängelt. Das atemberaubende und einzigartige Erlebnis, insbesondere für Radfahrer sind allerdings 35 einspurige und nicht beleuchtete Tunnel, vom Ausmaß eines Torbogens bis hin zu sich um Kurven krümmende und stockdunkle Durchfahrten, durch man sich beinahe blind durcharbeiten muss, es sei denn ein Bus oder Auto befindet sich zur gleichen Zeit im Tunnel und spendet etwas Helligkeit. Im Licht des Tages ergießen sich Wasserfälle tosend und steil über natürliche Treppen ins Flusstal. Ein grandioses Gesamterlebnis! Auf Staub und Schotter windet sich die Straße weiter entlang des Flusses, das Tal öffnet sich und die umliegenden rot-gelb-schwarz eingefärbten Felsen erinnern an Bob Ross’ altmodische Aquarellgemälde. Gegen Mittag gewinnt der Wind gegen Waden- und Schwerkraft wieder die Übermacht, zusammen mit 35° C wüstenartiger Hitze und minutenlangen Staubwolken nach jedem passierenden Fahrzeug eine zermürbende Kombination. Im klein(st)en Dörfchen Mirador dessen Häuser zur Hälfte bereits dem heißen und gnadenlosen Wind zum Opfer gefallen sind, gönnen wir uns im einzigen kleinen Geschäft ein lauwarmes Bier und eine kurze Pause. Die gesprächige und liebenswürdige Besitzerin Nancy ist dankbar für ein wenig Abwechslung und Gesprächsstoff und erzählt uns ein wenig aus ihrem Leben. Ihr Heimatdörfchen Mirador zähle nur sechs (!) Einwohner, sie selbst habe in der nächsten Stadt als Lehrerin gearbeitet, was sie uns mit „Hello, my name is Nancy“ prompt beweist. Stolz zeigt sie uns ein Foto ihrer drei Söhne, die längst aus dem Haus sind und einen kleinen Koalabären von ihrer Cousine aus Australien. Stundenlange Erklärungsversuche, dass Australien und Österreich so ähnlich wie Tag und Nacht sind, sparen wir uns ausnahmsweise. Langsam lässt die Hitze des Tages nach, die Sonne nimmt ein sanftes Licht an und neigt sich verdächtig gegen Westen, Zeichen genug, um endlich einen Schlafplatz zu suchen. In Chile-analoger Weise versuchen wir nach einigen zugegebenermaßen doch etwas furchteinflößenden Warnungen gegen „Wild-Campen“ unser Glück neben einer Einmann-Polizeistation und werden dort prompt fündig. Kaum haben wir Hugo aufgebaut und die letzte Nudel hinuntergeschlungen gesellen sich drei weitere Ciclistas (Radfahrer), Jan und Eva aus der Slowakei und Andy aus Schottland neben uns. Herrlich lustige und unterhaltsame Abendgesellschaft! Nun trennen uns nur noch wenige Kilometer von der Küste Perus. Über eine Privatstraße kürzen wir einen Großteil des Weges ab, passieren dabei Reisfelder und eine zunehmende wüstenartige Landschaft bis wir seit Langem wieder einmal auf der Panamericana landen (und uns auch prompt daran erinnern, warum wir sie meiden), die uns bis Trujillo erhalten bleibt. Trujillo, eine stinkende und lärmende Großstadt mit den rücksichtlosesten Autofahrern Perus, aber durchaus charmantem kolonialem Zentrum und einer hohen Dichte an bunten VW-Käfern gönnt uns nur wenige Stunden Aufenthalt, denn schon am gleichen Tag unserer Ankunft verabschieden wir uns für einige (viele) Tage von unseren geliebten Eselchen - es beginnen unsere Schnuppertag in Ecuador. Schon etwas entnervt und uns nach unseren Rädern sehnend besteigen wir den dritten und letzten Bus, der uns in fünf weiteren nach überstandenen fünfzehn Stunden Busfahrt nach Cuenca bringen soll. Irgendwie ein komisches Gefühl, ohne jedweder Anstrengung und so plötzlich in das nächste Land unsere Reise katapultiert zu werden. Und ob man es glauben will oder nicht, fällt uns schon nach Kurzem der deutliche Unterschied zu Peru auf, nicht nur des Dollars wegen. Gespannt und voll Vorfreude warten wir im Hotel auf die Ankunft von Markus, mit dem wir einige Tage, gewissermaßen einen „Kurzurlaub“, verbringen werden. Endlich klopft es an der Tür, er ist da, juhuuu, der Spaß kann beginnen. Zur Feier des Tages gibt es ein Bierchen, das wir nur unter verstecktem Mantel kaufen konnten, denn in ganz Ecuador herrscht am Sonntag ab 16h ein strenges Alkoholverbot. Nachdem wir die gröbsten Begebenheiten des letzten Jahres ausgetauscht haben, beginnt für uns die Bescherung, Bergkäse aus Schlins, Mannerschnitten, neue Schuhe für Christopher, Geschenke für Mariposita und Tigre…DANKE!!! Wir erkunden die wunderschöne koloniale Altstadt Cuenca, mit unzähligen Kirchen und Museen (darunter ein Panama-Hut-Museum, in dem wir uns stilecht eindecken) und einem farbefrohen Markt, dem wir täglich einen Besuch abstatten. Der Brombeer-Batido (Brombeershake mit Milch) hat es uns allen dreien besonders angetan. Im nahen Cajas-Nationalpark legen wir einen Wandertag ein, schließlich müssen wir ja rasch eine Gelegenheit schaffen, um Bergkäse und Mannerschnitten passend einsetzen zu können, wo ginge das wohl besser als beim Wandern!? Fünf Stunden südlich von Cuenca liegt das sympathische kleine Dörfchen Vilcabamba, eingebettet in ein zauberhaftes Tal, indem Kaffee, Bananen und allerlei Zitrusfrüchte gedeihen, umgeben von einer sanften und dennoch markanten Hügellandschaft. Hier beginnt so richtiges Urlaubsgefühl, Hängematten-Schwingen, Plantschen im Pool und jeden Tag eine Wanderung in der herrlichen Umgebung Vilcabambas. Während Markus dem benachbarten Podocarpus Nationalpark einen Besuch abstattet genießen wir das Glück dieser Erde auf dem Rücken der Pferde. Wie herrlich, trabend und galoppierend diese pittoreske Landschaft zu erleben! Auf der Finca unseres Guias Holger werden wir mit Bananen und Kaffee aus Eigenanbau versorgt, während wir in der Hängematte schwingend die Wahnsinns-Aussicht genießen. Die letzten Höhenmeter zum Gipfel des Hausberges ersteigen wir zu Fuß und bestaunen das 360° Panorama auf das Dorf und die umliegenden Täler. Viel zu schnell ziehen die Tage mit Markus vorüber, jeder gefüllt mit wunderbaren Erlebnissen in der bezaubernden Natur im Süden Ecuadors. Viel zu schnell stehen wir einander gegenüber, uns wehmütig verabschiedend, jeder wieder seines Weges gehend, jeder zurück in seinen Alltag. Viel zu schnell sitzen wir wieder im ungemütlichen Bus, der uns nach fünfzehn Stunden quälender Fahrt zurück in Peru ablädt. Zurück in unseren Alltag, zurück auf die Straße nordwärts… Hektisches Winken, Hupen und Geschrei in einem der unzähligen Winkel Cuscos, Minivan rein, Minivan raus, bis wir endlich ordnungsgemäß eingereiht im richtigen Bus sitzen. Wo‘s hingeht? In einem Bus noch dazu? …die größte Touristenattraktion des gesamten Kontinentes wartet darauf von uns erkundet zu werden - Machu Picchu. Zu faul zum Wandern, zu arm um den unverhältnismäßig überpreisten Zug durch das Valle Sagrado (Heiliges Tal der Incas) nehmen zu können, beschließen wir die Anreise per Minivan über uns ergehen zu lassen. Über eine atemberaubende Bergstraße, die sich in unzähligen Serpentinen auf 4.400 Meter hinaufschlängelt rasen wir stundenlang Richtung Ruinen. Die käsig bleichen Gesichter und ein qualvolles Raunen unter unseren Touristenkollegen sind nur ein Hinweis auf das Fahrverhalten unseres Chauffeurs…Nach acht Stunden ist Teil eins der Mühen geschafft. Wir spazieren weitere zwei Stunden entlang der Bahngleise nach Aguas Calientes, etwas unbehaglich, haben wir doch unüberlegterweise unseren Pass widerstandslos einem mäßig sympathischen sich als Guide ausgebenden Peruaner abgegeben…Ende gut – alles gut, am Hauptplatz trifft man den Doch nicht Trickbetrüger wieder, wir werden ins schmuddelige Hotel begleitet und beim fast schon entwürdigenden Abendessen, das man bedenkenlos als Touristenfalle bezeichnen darf, werden uns unsere IDs anstandslos mitsamt Eintrittsticket ausgehändigt. Nach zwei Stunden ist der unangenehme Spuk vorbei und die kurze Nacht darf beginnen. Um fünf Uhr morgens schultern wir unsere Rucksäcke und stapfen los durch die dunkle Stadt. Bald erspähen wir vor uns ein Heer aus Touristen, bewaffnet mit Stirnlampen, Stöcken und allem was einem Sieg über die hunderten steilen und glitschigen Stufen dienlich sein könnte. Ein letztes Stoßen, Gedränge und Gewürge durch die Eintrittspforte, noch ein paar Treppen zu überwinden bevor uns die Magie Machu Picchus augenblicklich in seinen Bann zieht. Wie beschreibt man den ersten Anblick einer derartig gewaltigen Szenerie, die man doch von hunderten Fotos kennt, der aber keine Abbildung nur annähernd gerecht werden kann…grandios, majestätisch, monumental?! Einfach gewaltig…Langsam dringt der Morgen in jeden Winkel der hoch über dem Flusstal (2360 Meter) thronenden Gemäuer, die zarten Nebelschleier lichten sich und geben die Bühne für das goldige Licht der ersten Sonnenstrahlen frei. Auf den grünen Terrassen, die einen kunstvollen Kontrast zu den grauen Steinwänden bilden, grasen friedlich ein paar Lamas. Wir beginnen unsere Erkundungstour, staunen über die präzise bearbeiteten Steine der Gebäude, astronomischen Plattformen und Wasserrinnen und können uns beim Anblick der atemberaubenden am Felsen hängenden Inca-Brücke weiche Knie und ein bewunderndes Seufzen kaum verkneifen. Die Incas konstruierten die Stadt im 15. Jahrhundert, die in ihrer Hochblüte an die tausend Menschen beherbergte. Über den einstigen Zweck der Stadt gibt es bislang nur Vermutungen, die auf archäologischen Funden basieren – so könnte Machu Picchu eine königlich-religiöse Zufluchtsstätte der Incas gewesen sein. Für uns ein unvergesslicher Tag auf den Spuren einer einst glanzvollen Hochkultur. Einen letzten Tag in Cusco geben wir uns dem Müßiggang hin, genießen die koloniale Altstadt mit seinen charmanten Cafés und einem bunten Markt, sinnieren in Radlerkreisen über diese und jene Route nach Nord und Süd und treffen unsere Freunde Peycho und Arnaud, mit denen wir in Erinnerungen an die bereits errungenen Kilometer und Abenteuer schwelgen. Es will gut ausgeruht sein, eine kräftezehrende Achterbahnfahrt durch die Berge Perus steht uns bevor… Reich an Eindrücken, voller Erwartungen und doch innerlich leicht angespannt angesichts der drohenden Qualen kämpfen wir uns durch die letzten Ausläufer der Großstadt. Noch radelt sichs leicht und unbeschwert entlang des Flusstals, vorbei an Rinderweiden und unzähligen Käsereien, über kleinere und größere Höhenrücken. Der erste Pass von vielen meint es mit 3.700 Metern noch gut mit uns. Die 2.000 Meter Abfahrt lässt uns allerdings bereits befürchten, dass wir den nächsten etwas höheren Pass im Schweiße unseres Angesichts erkämpfen werden müssen. Mit jedem mal sind es mehr und mehr Meter, die uns die Berge abverlangen, ein ständiges Auf und Ab zwischen den eisigen und oft wolkenverhangenen Höhen der Viertausender Pässe und den schwülen dampfenden Tiefen der Täler mit üppigster Vegetation und quälenden Mosquitos, deren Male uns jetzt noch verzieren. Die Mühen und Schindereien sind vielgestaltig – unzählig viele Baustellen, deren Passage oft nur nach längeren Verhandlungen mit den Straßenarbeitern möglich ist, kiloweise Dreck, der hartnäckig am Rad klebt und das Treten zum Gewaltakt werden lässt. In den kleinen Dörfern und Örtlein entlang der Straße pfeift und hallt es aus allen Ecken und Enden „Gringos, Gringos“, die Schulkinder eilen aufgeregt zusammen, verfolgen uns teilweise laufend oder auf ihren Drahteseln über hunderte Meter und werden nicht müde uns über alles Mögliche, vornehmlich jedoch über die finanziellen Aspekte unserer Reise auszuquetschen. Ganz besonders scheinen wir es aber gewiss den Haus-, Hof- und Straßenkötern des Landes angetan zu haben. Hinter jedem Vorsprung scheinen sie zu lauern, überraschen und jagen uns mit ohrenbetäubendem Gekläffe und fletschenden Zähnen, sind jedoch am Ende glücklicherweise doch zu feige ihre Drohungen wahr zu machen und hetzen in alle Richtungen auseinander, wenn der Steinhagel aus Christophers Händen auf sie niederprasselt. Ob Perus Hunde unter der Protektion des hiesigen Wetters stehen, das uns für den Gegenangriff bitter bezahlen lässt, oder nicht, das sei dahingestellt. Eine tiefschwarze Schlechtwetterfront zieht drohend am Horizont auf, lässt uns unter Blitzen und Donnern erschaudern und foltert uns mit Hagelkörnern die schmerzhaft auf uns herabstürzen. Kurz nach der Passhöhe auf 4.100 Metern suchen wir Zuflucht in unserem Re-Hugio, soll das Wetter machen was es will, wir sind dann mal weg. Am nächsten Morgen gibt es eine weihnachtliche Überraschung, ein tiefverschneites, weites und einsames Plateau hält uns einen Tag und eine weitere Nacht in seinen frostigen Klauen gefangen, bevor wir nach Ende der Schneefälle endlich in wärmere Gefilde abradeln können. Nach zehn Tagen scheint das härteste Stück Arbeit hinter uns zu liegen und die Lorbeeren vor uns, so hoffen wir jedenfalls. In dem kolonialen Ayacucho erholen wir uns von den Strapazen und planen die nächste Etappe – ohne große Überraschung, weiter durch die Berge Perus…Die Landschaft wandelt sich zunächst dramatisch, anstatt grüner Weiden und Eukalyptushaine zieren meterhohe Kakteen die trockenen kargen Berge und die schmale Straße windet sich über unzählige Kilometer dramatisch am Fels entlang durch ein teilweise Canyon-artiges Flusstal. Die Bewohner der nun rarer werdenden Dörfer sind freundlich und interessiert und schaffen es mühelos auf das für uns doch etwas beleidigende „Gringo“ zu verzichten. Im Großen und Kleinen wiederholen sich die beschriebenen Szenarien allerdings immer wieder, einmal mehr einmal weniger aufgebrachte und nervende Hunde, einmal mehr einmal weniger Regen und Wolken, einmal mehr einmal weniger „Gringo“-Rufe… was allerdings schlagartig mehr und keinesfalls weniger wird sind Felsklötze, Baumstämme und allerlei spannende andere Hindernisse, die unser Fortkommen massiv zu beeinträchtigen beginnen. Noch sind wir uninformiert und naiv, können keine rechte Erklärung dafür finden, bis uns ein ebenfalls an der Weiterfahrt verhinderter Lastwagenfahrer aufklärt – Straßensperren für drei Tage, Durchkommen unmöglich. Aaaah, jetzt ist auch uns klar, brennende Reifen, Stacheldraht und Nägel auf der ohnehin miesen Straße sind also durchaus nicht normal, auch in Peru nicht. Immer wieder müssen wir mit der streikenden und teilweise doch recht agitierten Menge über unseren Durchlass diskutieren. Ein fettleibiger Peruaner grinst uns mit goldumrahmten Zähnen an, hebt seine Hände und stellt sich uns mit bestimmter Selbstverständlichkeit in den Weg – auch für uns Durchfahrt verboten. Die uns umgebende Meute brüllt „Gringos, Gringos“. Ein etwas vernünftig und auch sympathischer erscheinender jüngerer Herr nimmt dann doch Anteil an unserem „Schicksal“ und veranlasst die Blockierenden sich zu teilen und uns durchzulassen. Schon vormittags liegen die ersten Betrunkenen im Graben neben der Straße und schlafen heroisch ihren Rausch aus. Immer wieder müssen wir uns durchkämpfen, Scherben und anderen Bedrohungen für die Reifen ausweichen, bis wir endlich völlig entnervt und müde in Huanuco eintrudeln. Zwei Tage Pause, bis die Blockaden vorbei sind, das ist gewiss. Deutlich entspannter treten wir den letzten Abschnitt durch die Berge vor Huaraz an. Auch die gewohnten Kläffer bringen uns nicht mehr so leicht aus der Fassung und gut ausgeruht treten wir (wie scheinbar ohnehin ständig) gegen die Schwerkraft in unsere Pedale – die kritisch vollbeladenen Räder (1 Liter Trinkjoghurt, 1 kg Papaya und sonstiger Luxus) wiegeln allerdings ordentlich gegen uns auf und verlangen von uns Schwerstarbeit, um sie die Pässe hochzustemmen. Landschaftlich und auch wetterlich zeigt sich dafür Peru vorerst von seiner Sonnenseite. Das initial breite und grüne Flusstal, gesäumt von kleinen Adobe-Häuschen verengt sich zu einer schmalen Schlucht, durch die der zuvor noch gemächlich und friedlich fließende Bach unter ohrenbetäubendem Lärm durchtost. Immer steiler führt die Straße ins frostige Gebirge, der verkehrsreiche Asphalt endet und holprig geht’s durch die grandiose Bergwelt des Parque Nacional Huascaran (Nationalpark H.). Die schieferartig abblätternden Felsen leuchten in tiefem Schwarz, in der Ferne thronen die ehrwürdigen Sechstausender der Anden und mit jeder Kehre die wir bewältigen öffnet sich für uns ein weiterer atemberaubender Blick. Die weit unter uns liegende Ebene schillert in sattem moosgrün und ein feuerroter Bach schlängelt sich surreal durch das Tal. Wir nähern uns einem der vielen Gletscher bis zu seiner mächtigen Abbruchkante, unter der sich eine türkise Lagune pittoresk an die Endmoräne anschmiegt. Der einzige Verkehr sind drei Esel und zwei Schafe (mit ihren menschlichen Gefährten), die uns nicht weiter stören und in der einsamen Landschaft eine besondere Aura besitzen. Die unbeschreibliche und beispiellose Präsenz dieser Stein- und Felsriesen mit ihren Eiskappen und Lagunen lassen uns beinahe vergessen, dass wir über drei 4.800 Meter hohe Pässe radeln und die Luft so dünn ist, dass für Worte kaum ein Quäntchen übrig bleibt. Aber welche Worte könnten einer derartigen Würde schon gerecht werden?! Der Anblick der gigantischen Puya Raimondii, deren Blüten meterhoch in den Himmel ragen, ein unvergesslicher Zeltplatz am Fuße einer kleinen Lagune mit dramatischem Panorama und ein sensationeller Sonnenuntergang bilden einen würdigen Abschluss einer langen, anstrengenden und unvergesslichen Etappe 1 (denn noch sind wir nicht am Ende) durch die Berge Perus und seine unzählig vielen spannenden Gesichter. Abschließend sei demütig erwähnt, 100.000 Höhenmeter und 10.000 Kilometer, abgesehen von unerschöpflich vielen Abenteuern, Erlebnissen und Begegnungen sind die bisherigen unauslöschlichen Errungenschaften seit unserer Abreise am 15. September 2012. Wie vielseitig und unvergesslich 365 Tage doch sein können, wenn man jeden einzelnen von ihnen intensiv lebt… Ungeduldig jagt Christopher die geschäftige Calle Illampu auf und ab…auf der Suche nach einem raren Gegenstand in der Stadt, Schuhe in Größe 47. Seine eigenen haben es sich irgendwo auf den Schotterstraßen Boliviens nicht nehmen lassen die Reise abzubrechen und in Gummilatschen – so treu sie auch sein mögen - lässt sich unser Projekt Berg nicht gerade problemlos ausführen. Nach langem Hin und Her wird man in der Reiseagentur doch fündig und der Minivan, in dem wir zu viert zappelig warten bekommt das erlösende Freizeichen. Wir drängeln durch die engen Straßen La Paz bis wir endlich dem Ballungszentrum entfliehen können und über das karge Altiplano, vorbei an surreal anmutenden rosa-orangen Lagunen in Richtung unseres Berges, den 6.088 Meter eisig aufragenden Huayna Potosi, rasen. Den Nachmittag verbringen wir mit Pickel und Steigeisen auf der „Übungsbühne“, einem der Gletscherausläufer, klettern die Eiswand hinauf und hinunter, werden von der Vorfreude und der Aufregung auf den kommenden Tag geradezu beflügelt. Nach einer Nacht im Base Camp schultern wir kurz nach Mittag unsere schweren Rucksäcke – es geht los, frohen Mutes stapfen wir über eine schottrige Endmoräne unserem Wagnis entgegen. In einem provisorisch eingerichtetem Freiluftbüro entrichten wir 10 Bolivianos (1 €) Nationalparkgebühr, schnallen die Steigeisen an und marschieren über einen schmalen Pfad durch sulzigen Schnee in immer eisigere Höhen zum „High Camp“ auf 5.300 Metern. Die letzten 150 m, immer dünner werdende Luft und ein zunehmender Gradient, strapazieren zunehmend unsere Kräfte. Die Aussicht auf die umliegenden 6.000er, die tief unter uns liegenden Stauseen und den Gletscher ist dafür im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Berauscht durch den ersten Teilerfolg genießen wir das Panorama und die letzten wärmenden Strahlen der Sonne, bevor wir uns am frühen Abend in die Schlafsäcke kuscheln, um so viel Schlaf wie möglich vor dem Gipfelsturm zu ergattern. Es sollte nicht mehr werden als ein Wälzen und Drehen, ein Schlafen und Erwachen, ein Ringen nach Luft und sich selbst Beruhigen, bevor uns Bergführer Luis um 1.20h in die müden Gesichter leuchtet – es ist Zeit aufzustehen. Schlaftrunken und erregt zugleich packen wir die Ausrüstung, hüllen uns in mehrere Schichten Funktionskleidung und treten in die eisige Kälte der Nacht hinaus, die durch einen berauschend klaren Sternenhimmel geziert wird. Sternschnuppen flitzen über unsere Köpfe hinweg und der sichelförmig über uns hängende Mond erleuchtet geduldig den Weg. Flach kreuzen wir zunächst Richtung Gipfelmassiv, bevor es zunehmend steiler wird und wir nur parallel unsere Schritte setzen können. Wir kommen gut voran, arbeiten uns an einigen Seilschaften vorbei, setzen einen Fuß vor den nächsten, so schwer er auch fallen mag, so viel Anstrengung und Atemzüge er auch kosten mag. Nach drei Stunden verweilen wir ein letztes Mal in der klirrenden Kälte und sammeln unsere Kräfte für die verbleibenden 80 Meter, die uns vom Triumph trennen. Ein schmaler eisiger Grat führt steil an einer gefrorenen Schneewächte ans Ziel. Kaum, dass wir unsere Schritte sicher aufsetzen können, weder Steigeisen, noch Pickel wollen sich so richtig fest verhaken. Links fällt der Hang beinahe 90 Grad ab, rechts hinter der Eiswand können wir das Gleiche erahnen. Noch versuchen wir uns von dem sich offenbarenden Panorama zu distanzieren, zu groß die Gefahr der Ablenkung und eines Fehltrittes. Jeder Schritt eine Überwindung, jeder Schritt ein tiefer und doch unbefriedigender Atemzug, jeder Schritt näher unserem ersten gemeinsamen 6.000er…Wenige Augenblicke später ist es geschafft, auf 6.088 Metern über dem Meeresspiegel sacken wir auf dem Gipfel des Huayna Potosi in den kalten Schnee. Erschöpft, berauscht, überglücklich, wir sind die Helden des Augenblicks – ein Moment für die Ewigkeit. In Rot- und Orangetönen zeichnet sich der neue Morgen am Horizont ab und verabschiedet die eisige Nacht. In der Ferne funkeln die Milliarden Lichter der Stadt, der riesige Titikakasee liegt wie ein Winzling weit und tief unter uns…Magisch…Die aufgehende Sonne erleuchtet nun jeden Winkel des vorher im Dunkel verborgenen Berges und gibt ihn beim Abstieg für unsere Blicke frei. Im ewigen Weiß scheint alles unter uns einer anderen Welt anzugehören. Wie im Rausch steigen wir zum High Camp, zum Base Camp und blicken nur kurze Zeit später stolz und sehnsüchtig aus dem Fenster des Minivans zurück auf unseren Berg, unseren 6.000er, unseren Huayna Potosi. Inbrünstig umarmt uns die lärmende Großstadt wie eine überschwängliche Liebhaberin, Marktgeschrei, hupende Taxis, unzählige Touristen, die sich im historischen Zentrum La Paz mit bunten Souvenirs und Geschenken eindecken. In den engen steingepflasterten Gässchen rauchen überall kleine Öfen, in die tanzende und traditionell gekleidete Bolivianer Coca Blätter und aromatische Kräuter werfen, eine lange Stoffbahn wird mit Bananen, Kartoffeln und Fleisch belegt, Bier auf den Boden geschüttet… Die kleinen Läden am Mercado de Brujas (Hexenmarkt), deren Pforten getrocknete Lama Embryos und –Föten „zieren“ sind gut besucht von Jung und Alt, Arm und Reich, Modern und Traditionell – sie alle widmen den ersten August voll und ganz Pachamama (Mutter Erde), bringen Opfergaben dar und erbitten so gute Geschäfte, Gesundheit…. Es ist spannend sich in diesem Trubel aus Gesang, Tanz und Feiern ein wenig zu verlieren… Wir lösen uns aus den Klammern der Stadt, verlassen das familiäre Ambiente der Ciclistas und ziehen weiter, immer der Nase nach. Die eisigen Riesen der Cordillera Real verabschieden uns am Horizont bis das ewige weite Blau des höchsten schiffbaren Sees der Erde und zweitgrößten Sees Südamerikas auftaucht – des Lago Titikaka. Eine grandiose Panoramastraße leitet uns entlang des Ufers in das umtriebige Copacabana, das als wichtigster Wallfahrtsort Boliviens gilt. Eine prächtige Basilika im maurischen Stil beherbergt die „Virgen Morena“ (Dunkle Jungfrau) mit einer Krone aus purem Gold. Hunderte oder tausende bunt geschmückte Autos, vorrangig peruanischer Herkunft verstopfen die Straßen und die Seepromenade der Stadt – sie warten darauf ihre Autos segnen zu lassen. Hinzu kommen die Feierlichkeiten um den bolivianischen Staatsfeiertag, den sechsten August, alles in allem eine skurrile Melange aus Jahrmarktsstimmung und Pilgerflair –Rosenkränze, Heiligenbilder und Madonnenfiguren, Esel Fett und sonstige Allheilmittel, Schals, Tücher und Kleidung aller Art, Obst und Gemüse –alles wird auf dem Marktplatz emsig feilgeboten. Wir entfliehen dem Getümmel und Gewusel, suchen ein bisschen Spiritualität und Ruhe auf der Isla de Sol (Sonneninsel), die in der Incamythologie und schon in Vor-Inca-Zeiten eine wichtige Rolle spielte. Zwei Stunden schippern wir über den etwas unruhigen See und werden an der Nordflanke des Eilands ausgesetzt. Der magere und etwas hektisch anmutende Aymara (indigener Stamm im Altiplano Boliviens) Franko führt uns die steilen terrassenförmig angelegten Hügel entlang zum heiligsten Ort der Insel, dem Pumafelsen. Leidenschaftlich und flammend entführt er uns in die Sagenwelt, die um die Isla del Sol rankt, wo der Sonnengott seine Kinder, den ersten Inka und seine Frau, zur Erde gelassen haben soll… Über den Höhenrücken der Insel – mit Blick auf den überdimensionalen See und die umgebenden Schneespitzen - spazieren wir an das Südufer der Insel, wo wir zurück in den Trubel Copacabanas befördert werden. Nach mehr als zwei Monaten ist es nun soweit, Abschied nehmen, etwas Neues beginnen, die Grenze überschreiten, Peru wartet... Eine weitere spannende, unikale und bemerkenswerte Kultur am Lago Titikaka wollen wir für uns ergründen…Was mag sich der erste Uru gedacht haben, was mag man über ihn gedacht haben, wie mag sein Volk wohl reagiert haben auf seinen Vorschlag? Unmöglich, verrückt, unausführbar… Wie groß muss die Bedrohung durch überfallende Stämme gewesen sein, dass der Plan dennoch in die Realität umgesetzt wurde? Welche Alternativen hätte es gegeben? Das Festland für immer zu verlassen, den Titikakasee zum Lebensraum werden zu lassen, neue Inseln zu erschaffen – nicht aus Stein, nicht aus Fels – Nein, meterdicke Schichten aus Wurzelstock und Halmen des Totora-Schilfs, auf denen der Stamm der Urus Zuflucht suchte und fand. Langsam treiben wir auf die kleine artifizielle Welt, fünf Kilometer vor Puno, gespannt darauf, was uns erwartet. Über sechzig solcher Inseln existieren, obgleich nur noch wenige Urus diese harte Lebensart auf dem Wasser bevorzugen und viele zurück aufs Festland zurückgekehrt sind. Auf der ersten Insel, die wir ansteuern leben zwanzig Personen – sechs Familien – in einfachen Hütten aus Schilf. Die Zeiten haben sich dennoch auch für sie weiterentwickelt, ein solarbetriebener Fernseher sorgt für Unterhaltung, Motorboote lösen die prächtigen Schilfboote ab und der Tourismus wurde zum integralen Bestandteil des Lebensunterhaltes. Souvenirs werden angeboten, in Restaurants und kleinen Geschäften sorgt man für das leibliche Wohl der Gäste aus aller Herren Länder. Fernab jedoch vom Festland, wo nur wenige Besucher den Rhythmus der Bewohner stören, wird ein noch authentisches Leben bevorzugt… Trotz aller Kommerzialisierung eine spannende Reise in eine Welt, die wir eher im Reich der Comics und der Fantasie erwarten würden… Wie es dann weiter ging? Das erfahrt ihr beim nächsten Mal! Also dran bleiben und einschalten wenn es wieder heißt... ach, was reden wir, der nächste Beitrag kommt bestimmt, wir radeln schon mal voraus… 2/8/2013 Vom Leben und Überleben auf der "Todesstrasse" und anderen Bolivianischen AbenteuernRead NowUnsere Geschichte beginnt an einem Montag, der Start in eine ganz „gewöhnliche Arbeitswoche“, die es auch für uns gibt. Schnell die letzten Bissen des Frühstücks hinunterschlingen, Fotoshooting mit Gastgeber Hutch, Hugo abbauen, die Räder satteln und im Nu sind wir „on the road again“. Das grobe Ziel – La Paz. Nun gibt es hier zum Einen die asphaltierte und stark frequentierte Hauptstraße, zum Anderen einen klitzekleinen Umweg über die sogenannten Yungas, eine sub-und -tropische Region im Norden der Metropole. Die Straße, sollte es überhaupt eine sein, kennt zu unserem Nachteil niemand (nichtmal die Polizisten im Ort wo diese abzweigt), ist auch nirgends beschrieben und lässt uns zumindest erahnen, dass es sich dabei wohl eher nicht um die einfachere der beiden Varianten handelt. Für kurze Zeit verschlingt uns noch das Verkehrsgetümmel Cochabambas, bevor eine unmarkierte Straße rechts abzweigt und uns geradewegs in die Berge hineinführt. Noch breiten sie sich vor uns wie eine gewaltige Mauer aus, kein Weg sichtbar der uns darüber führen oder besser noch daran vorbeischmuggeln könnte. Der Asphalt endet, Empiedrada beginnt…Nicht schon wieder - tiefe Seufzer - denn die Erinnerungen an die letzte derartige Radl-Erfahrung sind doch noch schmerzvoll aktuell und lassen uns unsere Pläne zumindest im Ansatz kritisch hinterfragen. Zu allem Überfluss wird die Steigung rasch und zunehmend steiler, bis zu 15%, sodass zuweilen auch das Schieben über die groben Pflastersteine zu einem außerordentlichen Kraftakt wird und ca. die Hälfte unseres Teams (wir wollen ehrlich sein, die weibliche) in Tränen aufgelöst am Straßenrand hockt - Rad stiefmütterlich in weiter Ferne - und über den Sinn der Operation „Todesstraße“ sinniert… Hinter uns verschwindet nur langsam das Häusermeer der Stadt, vor uns noch immer keine Aussicht auf ein Ende der Qualen, zumal wir auch erst den zweiten Tag (von noch ungeahnt vielen) unterwegs sind. Mit zusammengebissenen Zähnen und angespannten, brennenden Oberschenkeln, das ferne Ziel vor unserem geistigen Auge, gelangen wir zur Passhöhe auf 4.400 Metern Höhe, 2.000 Meter über unserem Ausgangsort. Karg und teils schneebedeckt umgeben uns trotz der Höhe die noch gewaltigeren Fünftausender, seit Langem beobachten wir wieder Alpaca-und Lama-Herden in den spärlich bewachsenen Hängen grasen und Kondore kunstvoll über uns kreisen. Inmitten der friedvollen Hochland-Kollage schlagen wir das Nachtlager auf. Am Folgemorgen rollen wir erst mal lange bergab – endlich (!?) - durch aromatische Eukalyptuswälder, vorbei an Bauern und Bäuerinnen, die schon frühmorgens ihre Ochsen auf die Felder führen. Das ländliche Leben, das imposante Panorama in die umliegende Bergwelt, beides lenkt unsere gesamte Aufmerksamkeit auf sich und so bemerken wir erst beim Anblick der nächsten „Subida“ (Anstieg), die sich mit 16% steil an den Felsen schmiegt, der neben ihr unmittelbar in die Tiefe führt, dass wir wieder unsere Ausgangshöhe erreicht haben und alle mühevolle Arbeit der letzten zwei Tage in zwei Stunden „zunichte gemacht“ wurde. Der letzte passierende Pickup vor Einbruch der Dämmerung hält neben uns und die gut gelaunte Mannschaft an Straßenarbeitern muss wohl Mitleid mit uns gehabt haben, lässt uns an einem Schälchen Fanta laben und spendiert uns ein Säckchen Coca-Blätter. „Heiter immer weiter mit der Boca (Mund) voll mit Coca“ lautet das Motto unter dem wir am nächsten Vormittag einen weiteren Berg erarbeiten. Die Fernsicht scheint uneingeschränkt, je höher wir uns hinaufarbeiten, desto mehr weiße Bergspitzen betreten die Bühne und bieten uns ein Schauspiel, das uns für (fast) alle Mühen entlohnt. Wer Protagonist, was Tribüne, das bleibt zweifellos immer eine Frage der Perspektive. In dem kleinen Städtchen Independencia stehen gewissermaßen wir auf dem Podest, werden von allen Seiten bestaunt und bewundert, Radfahrer wie uns habe man hier noch niemals gesehen. An beinahe jeder Haustür grüßt man uns freundlich, so manch einer legt uns den gutgemeinten Ratschlag ans Herz, doch zumindest bis zur nächsten Passhöhe einen Bus zu nehmen. Ein wenig Mitleid können sich vor allem die Dorffrauen nicht verkneifen und ein kleiner Junge, der uns einen halben (leider schweren) Kürbis mit auf den Weg gibt. Eine derartige Herzlichkeit und Offenheit der Landbevölkerung erstaunt und beglückt uns in derselben Weise. Bald verstehen wir auch die gutgemeinten Warnungen, der Weg ist erneut furchtbar steil, viel zu Schieben und das nur unter großem Kraftaufwand. Die Maisernte rundherum ist im vollem Gange, Einheimische und wir gleichermaßen sind am Schuften. Am Horizont ruht majestätisch der „schlafende Inca“ (Gebirgskette), den wir aus eisigen Höhen bewundern können, während uns der kräftige Nordwind die Stirn bietet und uns den Rückzug nahelegen will. Am höchsten Punkt können wir bereits erahnen, wo wir die nächste Nacht verbringen werden. Tief unter uns sucht sich ein breiter Fluss seinen Pfad durch die gebirgige Landschaft. Steil fällt der steinig holprige Weg ins Tal ab, pro hundert Höhenmeter scheint die Temperatur einen Grad zuzunehmen, die Hänge verkleiden sich in saftigem Grün und Sittiche schwirren aufgeregt über unsere Köpfe hinweg. Nach 2.000 Metern Abfahrt, die wir nur bedingt genießen, stehen wir am sandigen Flussbett. Jeden Tag ein Gipfelsieg, jeden Tag ein Talsturz, nur dass ersteres ¾ des Tages einnimmt und beinahe unsere gesamten Kräfte verschlingt. Umso nervöser werden wir, als die Straße unangekündigt vor einer Schranke endet. „Privatbesitz – Durchfahrt verboten“. Wie bitte? Was? Wohin? Wieso? Verwirrung macht sich breit… Sind wir 2000 Meter umsonst abgefahren? Alles zurück? Die einzige Brücke über den Fluss würde man außerdem als schwerst mangelhaft bezeichnen, besteht nämlich nur aus den Pfeilern, das wird schwierig... Erst eine Nacht darüber schlafen, ruhen und sammeln. Am nächsten Morgen können wir die Schranke gegen eine kleine Gebühr passieren, Straße stimmt, Richtung stimmt! Wir atmen durch, wenn auch nur kurz. Den Fluss müssen wir in an drei Stellen durchfurten und die Räder durch das knietiefe und stark strömende Wasser stemmen, bevor wir uns den nächsten „Hügel“ vornehmen. 16% maximale Steigung, 8% Durchschnitt, 1.350 hm. Mehr sog i ned. Teilweise wahnsinnig exponiert hängt die Straße am Berg, einspurig versteht sich, zur Rechten fällt der Hang 1.000 hm bis zum Flusstal ab. Orchideen wachsen in den bemoosten Bäumen, kleine Wasserfälle stürzen neben uns den Hang herab. Unglaublich grandios! Jeden Tag verändert sich die Vegetation mehr und mehr, nimmt die Gestalt der Subtropen an - Orangenbäume, Bananenstauden, Kaffee, Hibiskus und Bougainvillea. Bunte Schmetterlinge schillern im warmen Licht der Nachmittagssonne, der stille und königliche Flug der Kondore wird abgelöst durch lauthals kreischende Oropendolas, Papageien und Tucancillos, die den Luftverkehr übernehmen. Es ist spannend jeden Morgen in einer anderen Welt aufzuwachen, die wir für uns am Vortag erobert haben. „Hugo im Dschungel“ - ein ganz neues Erlebnis. Die schüchternen Kinder der Familie, die uns ein paar Quadratmeter ihres Dschungels borgt, schielen neugierig um die Ecke, ungewöhnliche Wegelagerer finden sie unter ihren Bananen. Sie versorgen uns mit Orangen und einer Papaya, teilen das Wenige, das sie besitzen auch mit uns… Die bunte Landschaft beherbergt eine gleichermaßen bunte Kultur. Die einst nach Potosi entführten afrikanischen Arbeiter, die sich dem rauen Klima in den frostigen Höhen nicht anpassen konnten, wurden hier angesiedelt. So passiert man kleine afrobolivianische Dörfchen - ein lebendiger Schmelztegel beider Kulturen. Vor den Häusern, auf den Dorfplätzen, auf jeder halbwegs ebenen Fläche trocknen Coca-Blätter in der Sonne, die zuvor in mühseliger Arbeit terrassen-förmig an den Hängen angebaut und geerntet werden. Ihr zartes Grün überzieht weithin die nun sanften und runden Berge. Sanft oder schroff, für uns bleibt die Anstrengung die Gleiche, am Ende eines jeden Tages stehen mehr als 1.000 Höhenmeter und trotz Schwerstarbeit scheinen wir nur langsam voranzukommen. Zu allem Überfluss weist unsere Landkarte zahlreiche Mängel auf - so stimmen teils weder Distanzen, noch die Lokalisation einiger Ortschaften. Gepaart mit den oft ambivalenten Aussagen der Ortsansässigen gestaltet sich die Navigation recht vage und schwierig. Beispielsweise kostet uns ein Städtchen namens Irupana einiges an Nerven – 44km sollten es dahin sein, schließlich überwinden wir mehr als hundert Kilometer, und passieren einige Ortschaften, die laut Karte weit außerhalb unserer Route liegen, bis wir endlich nach einem monströsen Tag mit 1.750 hm auf schlechtester Piste spät abends das Ziel erreichen (und den Namen für immer vergessen dürfen). Zehn Tage sind wir bereits pausenlos unterwegs, hügelauf und hügelab, längst sehnt sich jede Muskelfaser nach ausgiebiger Ruhe und der Geist nach Müßiggang. Umso mehr strengt uns die Weiterfahrt auf dreckiger und verkehrsreicher Straße an, auf der wir oft minutenlang in einem dichten Nebel aus Staub radeln dürfen. Bräunlich staubig, man könnte sagen“ paniert“, bitten wir am Abend um ein kleines Fleckchen Wiese neben einem kleinen Häuschen. Der liebenswürdige Tito, der in Konstanz am Bodensee maturiert hat, seine Mama und Schwester nehmen uns ohne Zögern in ihr Haus auf, versorgen uns mit Essen, heißer Dusche, Bett und überaus interessanten Gesprächen. Eine Wohltat für Körper und Geist -uns umgibt fast eine Art Wehmut als wir uns aus dieser Herzlichkeit wieder in den rauen Radleralltag stürzen… Zwei letzte anstrengende Tage und eine Nacht neben dem Schweinestall der rustikalen und fröhlichen Mara Pinto trennen uns von unserem lang ersehnten Zwischenziel – dann endlich Coroico! Zwölf Tage, 475 km, 12.000 hm, Unmengen an Schweiß, Kraft und Anstrengung, einiges an Tränen und Nerven, beeindruckende Landschaften und Bergpanoramen, unerwartete Großzügigkeit, Gastfreundlichkeit und interessante unvergessliche Begegnungen, bis wir vor uns den letzten Streich des Projektes Todesstraße bewältigen dürfen und müssen – den Camino Antiguo, DIE berühmt-berüchtigte Todesstraße selbst, die über 3.000 hm aus den subtropischen dampfenden Yungas in das hochandine La Paz führt. Noch in der Morgendämmerung, im dichten Nebel nach vier Tagen Regen, satteln wir die Räder und rumpeln durch das gerade erwachende Coroico – selbst noch etwas verschlafen - über Steinpflaster hinunter in das Nestchen Yolosa. Auf 1.200 Metern steigen wir ein in den Camino de la Muerte. Ein großes Schild weist auf den herrschenden Linksverkehr hin, damit die links sitzenden Lenker bei Gegenverkehr den Fahrbahnrand besser einsehen können, gilt auch für uns. Obwohl seit 2006 eine asphaltierte Umgehung in Betreib ist, begegnen uns schubweise Laster und Kleinbusse, für die wir uns gegen die Felswand lehnen müssen, um ein Passieren auf der einspurigen Schotterstraße überhaupt zu ermöglichen. Ab und an beginnt sich der Nebel zu lichten und wir erhaschen einen Blick auf die steil, annähernd senkrecht abfallenden Hänge unmittelbar neben uns, die so gut wie nie gesichert sind. Unglaublich eindrucksvoll! Zahlreiche Kreuze am Wegesrand erinnern an die dramatischen Verkehrsunfälle, denen die Straße ihren Namen „verdankt“ und sie einst zur gefährlichsten Straße der Welt machten. Davon abgesehen imponiert sie durch eine grandiose Landschaft und Vegetation - ein saftiges Grün aus Palmen, Bananen, Orchideen, Farnen und Moosen; Wasserfälle, überhängende Felsen und ein Panorama auf die umgebenden fruchtbaren Berge…Auf oft matschigem Untergrund und steilem Anstieg erarbeiten wir uns jeden Meter der Straße unter größter Anstrengung. Nach 1.902 hm, gebrochenem Höhenmeter-Rekord und (man verzeihe uns) vor Stolz schwelender Brust erreichen wir am Nachmittag die Kreuzung zur Asphaltstraße und haben die Krönung unserer Etappe erfolgreich überstanden. Überstanden? Beinahe …ja, der Asphalt hat uns wieder, der Paso „La Cumbre“ trennt uns allerdings noch vom Regierungssitz Boliviens. Mit brennenden, stark rebellierenden Oberschenkeln kämpfen wir uns weiter in die Höhe. Auf 4.670 Meter zwingt uns die Straße, erneute 1.550 hm müssen wir bewältigen, bevor uns das Durchatmen und mehr gekrächzte als gejubelte „Geschafft!“ gegönnt ist und wir endlich nach La Paz rollen dürfen. La Paz, der Frieden, lassen wir sie die Einleitung in ein neues Abenteuer sein… Bisher hatte uns Bolivien ein einsames, märchenhaftes und konkurrenzlos schönes Gesicht offenbart. Mit entsprechenden Gefühlen brechen wir auf, um das Herz des Landes kennenzulernen. Schon nach wenigen Kilometern außerhalb Uyunis entfaltet sich eine karge, dennoch beeindruckende hügelige Hochebene mit kleinen Schluchten, grasenden Alpacaherden und letzten Ausblicken auf das ewige Weiß des Salar de Uyuni. Riesige Kakteen, stachelige Fuchsien, kleine Gehöfte mit Ziegen und Kühen und spannende geologische Formationen aus bunt geschichtetem, aufgeworfenem Sediment sorgen für Abwechslung und Ablenkung von den Strapazen. Auch Freund „W“, bereits bekannt aus patagonischen Tagen, wer sich daran erinnern möchte, meldet sich lautstark zu Wort…ein kleiner Pass, ein kleines Lüftchen und blitzartig eine gewaltiger Titan, ein Sandsturm, gegen den zu kämpfen fast unmöglich erscheint. Augen, Nase und Mund sind voll von aufgewirbeltem Staub und selbst in einer Schlucht finden wir kaum den erhofften Unterschlupf. Erst nach vielen Stunden schieben und ringen um jeden Meter dreht sich das Glück und der Wind und wir gleiten leicht und beinah unbeschwert über 4.200 Meter hohe Pässe hinweg. Canyons, die an Karl May Filme erinnern mit spitzen Felsnadeln und eine gewagt konstruierte Eisenbahnstrecke entlang der schroffen Felsen dominieren die Landschaft – spannend, imposant und versöhnlich... Nach drei harten und abwechslungsreichen Tagen erblicken wir in der Ferne das Ziel unserer Etappe, Potosi, Silberstadt und höchstgelegene Großstadt der Welt auf über 4000 Metern , deren Geschichte an einem Lagerfeuer beginnt… 1544, der Inca Diego Huallapa entzündet am Fuße des Cerro Rico ein Feuerchen und bemerkt, dass darunter die Erde silbrig schimmernd zu schmelzen beginnt. Sofort realisiert er, dass es sich dabei um etwas handeln muss, wonach die Conquistadores unstillbaren Hunger verspüren. Nachfolgend beginnt der Silberabbau im großen Stil. Die Arbeit ist hart und gefährlich, tausenden kostet der Berg das Leben. Um die Produktivität zu erhöhen werden afrikanische Sklaven importiert, die in der für sie ungewohnten Höhe und die menschenunwürdigen Bedingungen nicht lange überleben. Ende des 17 Jahrhunderts erreicht sie eine sagenhafte Blüte, wird zur Hauptquelle spanischen Silbers und wächst zu einer der bedeutendsten Städte der Welt heran… Potosí steht jahrhundertelang als Synonym für Reichtum und noch heute findet man die Redensart vale un Potosí für: „Es ist ein Vermögen wert“. Ende des 19. Jahrhunderts beginnen die Silbervorkommen zu sinken und heute werden vorwiegend Zinn und Zink abgebaut. Die Stadt schmiegt sich wie ein verwöhntes Kätzchen an ihren „Schöpfer“, der wie ein Mahnmal übermächtig dahinter thront. Gänsehaut überkommt uns alleine bei seinem Anblick, ein Besuch in seinem Innersten, den Minen, der Hölle, steht uns bevor. Mit Schutzkleidung und kleinen Geschenken – Cocablätter, Dynamit, Cola - für die Arbeiter ausgestattet, arbeiten wir uns entlang der Gleise in die Stollen vor. Die anfängliche Kälte weicht alsbald einer feucht-schwülen Hitze, ein beißender Geruch dringt uns in Augen, Nase und Lungen, erschwert das Atmen und löst tiefe Beklemmung aus. An Wänden und Decken, die großteils von mächtigen Balken gestützt werden, schillert es in bunten Farben, grünes Kupfer, gelber Schwefel, rotes Eisen, wunderbar auskristallisiert wie in Rübezahls Märchenwelt. Meter für Meter, tief gebückt und kriechend, kletternd und rutschend, ein riesiger Berg mit 500 Jahren Bergbaugeschichte über uns, stoßen wir bis „Level 4“ vor, 55 Meter unter der Erde, wo wir auf schweißtriefende, erschöpfte Minenarbeiter treffen, die gerade Tonnen-schwere Waggons, mit Erz beladen, die Gleise entlang nach außen verfrachten. Nur das Kauen von Unmengen an Coca erlaubt ihnen diese unmenschlichen Bedingungen einigermaßen zu ertragen. Die Jüngsten sind gerade mal sechszehn Jahre, vor ihnen steht eine Zukunft härtester körperlicher Arbeit und früher oder später schwerste Lungenerkrankungen, die ihren Henker darstellen…Niederschmetternde Perspektiven…Alternativen? Potosi lebt vom Bergbau im Cerro Rico, also nein…Nach 2 Stunden in den Tiefen des Berges erblicken wir endlich das Licht am Ende des Tunnels, wir können frei durchatmen, die Welt hat uns wieder. Uns stehen Schrecken und Erleichterung ins Gesicht geschrieben, doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt… Szenewechsel… Blumen am Bett, Geschenke, Sekt – unser erster Hochzeitstag, den wir dankbar und glücklich in der Silberstadt verbringen. Die Abfahrt aus Potosi fällt schwer - Schneefall und Montezumas Rache stellen schlechte Vorzeichen für einen erfolgreichen Radtag dar. Zudem bleibt das Landschaftsprofil, wie bereits gewohnt, schonungslos bucklig, sodass erneut drei beschwerliche Tage vor uns liegen. Die tiefer liegenden Täler lassen nun auch die tropischen Breiten erahnen, üppige Vegetation, Feigen- und Zitrusbäume, saftig grüne Wiesen und kreischende Papageien… Sucre, die Hauptstadt Boliviens ohne Regierungssitz, schenkt uns frühlingshafte Tage inmitten ihrer sauber gepflegten Kolonialarchitektur, mit weiß gekalkten Gemäuern, unzähligen Kirchen und einem charmanten Palmen-gesäumten Hauptplatz. Urlaub, vom „Urlaub“, den wir ausnahmsweise in einem komfortablen Hotel mit Frühstücksbuffet (!!!) verbringen. Geschwind ziehen die Tage des Müßiggangs vorbei und wir finden uns am Rande der Stadt wieder, auf eine senkrechte Lehmwand starrend…Was wir zu finden glauben und hoffen, verrät ein riesiger Kunststoff-Dinosaurier, der drohend neben die Straße platziert wurde. Und dann demarkieren sich für unsere Blicke die einzelnen regelmäßigen Fußstapfen der Urzeitriesen, die regelmäßig verteilt über den gesamten Abbruch des Hügels ziehen…Ein Blick zurück in ein längst verstrichenes Zeitalter der Erdgeschichte. Nur noch wenige Kilometer entlang eines breiten und kultivierten Flussbettes werden wir mit Asphalt verwöhnt, bevor die berüchtigte (zumindest für Radler) „Empiedrada“ beginnt, eine beinharte Pflasterstraße aus großen runden Flusskieseln, die einem zügigen Vorwärtskommen gnadenlos den Riegel vorschiebt…malerisch anzusehen ist dieses Kunstwerk jedoch allemal. Das Tal wird zunehmend weiter, wir streben abermals in luftige Höhen und genießen grandiose Ausblicke in eine atemberaubende Hügellandschaft. Eng schmiegt sich der Pfad an die Berghänge, die mitunter unmittelbar neben uns hunderte Meter in die Tiefe führen. Einzelne Adobe-Häuser thronen auf den Höhenrücken, Ziegenherden grasen auf den trockenen Weiden und ein paar freche Kinder rufen uns kichernd „Gringos“ nach. Je langsamer sich unser Vorankommen gestaltet, desto mehr schweifen unsere Blicke über die Umgebung und das Leben der Landbevölkerung, das sich hier täglich abspielt. Die Felder ziehen sich weit hinauf bis in die steilsten Hänge, teilweise trotten eingespannte Ochsen vor dem Pflug durch die kargen Flächen, öfter noch ist die Bestellung der Felder reinste Handarbeit. Frauen, Kinder, Männer, Jung und Alt, alle helfen mit, um für den Unterhalt der Familien zu sorgen. Kartoffel werden auf den Äckern in Säcke gefüllt, neben der Straße formt man gerade Ziegel aus Lehm und lässt sie in der Sonne trocknen, ein an die neunzig Jahre alt wirkender Senor mit faltig gegerbtem Gesicht schleppt Feuerholz auf dem Rücken nach Hause, meckernde Ziegen und grunzende Schweinchen werden an ihren Leinen auf die Weide geführt und ein hysterisches „IAIA“ hallt durch das gesamte Dorf. Ein hartes und einfaches Leben, aber auch idyllisch und vielleicht entspannter, als wir es uns auch nur vorstellen können. Liebenswürdig reagieren die Menschen auf unsere Grüße, interessieren sich für unsere Reise, wünschen uns Glück, lassen uns in ihrem Garten biwakieren und beschenken uns mit Kartoffeln, Mais und Bananen. Eine Großmütigkeit und Herzlichkeit, die uns in dieser entlegenen und touristisch unerschlossenen Gegend und in Anbetracht der Strapazen ganz besonders beglückt. Nach einem Marathontag mit 115 km, 1130 hm, über einen Pass und gegen Wind erreichen wir Cochabamba, wo wir bei Hutch, 73 Jahre alt und gerade eine 7 –jährige Radweltreise beendet, unser „Re-Hugio“ aufstellen und ein paar Tage rasten dürfen, bevor wir in noch entlegenere Gebiete Boliviens vordringen wollen. Hasta luego Gringos muchos abrazos Agnes y Christopher Zögernd bricht der Tag des ersten Juni an und errettet uns aus einer eisigen Nacht. 6.45h zeigt unser
Wecker. Zunächst eine heiße Dusche, ein für uns überdimensionales Frühstück und dann beginnt das langwierige Einpacken des Proviants für mindestens zehn Tage…20 l Wasser, 4 kg Pasta, 2kg Haferflocken, 14 Pck. Suppe, Schokolade, Erdnüsse, Kekse ohne Ende…vor uns liegt ein besonderes Abenteuer – ein Weg (vor dem in unserem Bike-Buch gewarnt wird) durch das bolivianische Altiplano mit frostigen Temperaturen, dünner Höhenluft, schwerst zu radelnden Wegen, unberechenbaren Wind- und Wettersituationen – die Lagunenroute oder Ruta de las Joyas altoandinas (Route der hochandinen Schmuckstücke) - klingt doch vielversprechend... An der chilenischen Grenze in San Pedro de Atacama erledigen wir zunächst die Ausreiseformalitäten, bevor wir ostwärts die Stadt verlassen. Nach etwa 10 km beginnt der satte Anstieg, der uns von 2.400 hm auf weit über 4.000 hm führen sollte. Zunächst lässt sich die Steigung noch gut bewältigen, ab ca. 3.000 hm beginnen wir die Höhe und das Gewicht unserer vollbepackten Räder deutlich zu spüren. Regelmäßige Pausen zum tief Durchatmen und Trinken sind unerlässlich. Die umgebende Landschaft entlohnt uns für alle Mühen – hinter uns die weite Ebene des Salar de Atacama (Chiles größter Salzsee) und die Silhouette des Valle de la Luna, im Nord-Osten der imposante Kegel des 5.900 m hohen Vulkans Licancabur. Die Steigung nimmt mehr und mehr zu, ebenso die Kurzatmigkeit und die Anzahl der Pausen. Auf 3.600 hm biwakieren wir mit Blick auf den Vulkan und eine friedlich grasende Alpaca-Herde. Nach mehr als 10 Stunden Schlaf und eisigem Einpacken setzen wir fort, wo am Vortag aufgehört - mitten im „Gipfelsturm“ auf den 4.650 m hohen Paso Hito Cajon-der chilenisch-bolivianische Grenzpass. Weder die kalte Muskulatur, noch die Anstrengung des Vortages und am wenigsten die dünne Höhenluft sind gute Voraussetzungen dafür. Stark schnaubend schleppen wir uns Richtung bolivianische Grenze. Endlich, kurz nach Mittag, erreichen wir die Abzweigung und damit leider auch das Ende des Asphaltes. Über teils gefrorene, teils matschig-nasse Schneefelder kämpfen wir uns noch wenige Kilometer bis zur Passhöhe durch, wo es für uns Adios Chile, Hola Bolivia heißt. Wir sind überglücklich am Grenzposten anzutreffen, denn bis vor kurzem (2-3 Tagen!) war er wegen starken Schneefalles gesperrt! Eine kleine Herde Vicunas begrüßt uns am Wegesrand und nach kurzem Bergabrollen erblicken wir das erste Schmuckstück der Route, die Laguna Blanca (Weiße Lagune), die sich malerisch an die angezuckerte Gebirgskulisse anschmiegt. Zwei Flamingos stolzieren im eisig kalten, größtenteils gefrorenen Wasser…wir sind sprachlos ob dieses bezaubernden Anblickes. Auf 4.350 hm campieren wir im Hof eines verlassenen Refugios mit Blick auf die Lagune. Am Morgen des dritten Tages erwachen wir in einem eisglasierten „Hugo“, das Thermometer zeigt -15°C. Erst die erlösenden wärmenden Sonnenstrahlen erlauben das vorsichtige Herauskriechen aus dem Schlafsack, um Wasser, das wir, um es vor Erfrierung zu bewahren, vorsorglich mit ins Bett nehmen müssen, für unser Frühstück zu kochen. Wir radeln zur nahegelegenen Laguna Verde (Grüne Lagune), die halbgefroren den kolossalen Licancabur widerspiegelt. Ein Verbindungsbach zwischen den Lagunen hindert uns am Weiterkommen, also Schuhe und Socken aus, um mit Mariposita und El Tigre durch das eisige Wasser waten zu können – eine morgendliche Erfrischung, die Kneipp alle Ehre machen würde. Ein letzter Blick zurück, bevor sich der Weg leicht ansteigend durch das Tal schlängelt und uns auf 4.764 hm hinaufführt. In der Ferne steigen zwei Rauchfahnen empor (Vulkan? Geysire?) und eine neue grandiose Landschaft offenbart sich… rötlich gestreifte Berge und die Desierto del Dali (Wüste des Dali), eine ebenmäßige Sandwüste, mit von Wind und Sand skurril geformten Felsskulpturen. Wir flitzen die Passhöhe hinunter zum Salar de Chalviri (Salzsee Chalviri), der bedeckt von gelben Grasbüscheln ein völlig neues Bild für uns darbietet. Im Becken der gleichnamigen heißen Quellen genießen wir die umliegenden Naturschönheiten und lassen den Tag zufrieden und glücklich ausklingen… Schon um 7h morgens (bei -12°C) schleichen wir noch etwas müde zum heißen Bad, um die Muskulatur auftauen zu lassen. Vor uns liegt eine kräftezehrende Etappe, die uns auf beinahe 5.000 hm führen wird. Zunächst kommen wir gut voran, gegen Mittag, beinahe prophetisch pünktlich, setzt ein enormer und eisig kalter Gegenwind ein, der gepaart mit schlecht fahrbarer Piste unser Vorankommen grausam anstrengend macht. Entkräftet erblicken wir am höchsten Punkt der gesamten Route (4.901 hm) unser Ziel – Sol de Mañana (Morgensonne), das höchste Geysirfeld der Welt. Immer der Nase nach dem intensiven Schwefelgeruch folgend befinden wir uns alsbald inmitten einer gigantischen Hexenküche, in der es an allen Ecken und Enden raucht, dampft, blubbert und brodelt. Ein fantastischer Ort (und auch der höchste) für unser Biwak… Sowie die Temperaturen abends beinahe minütlich abfallen, so klettern sie am Morgen durch die Kraft der Sonne wieder hinauf. Auch in dieser enormen Höhe werden wir irgendwann von den frostigen Klauen der Nacht befreit und können unseren Weg fortsetzen. Ein weiteres Highlight wartet bereits auf uns. Ob der lückenhaften Wegbeschreibungen und komplett fehlenden Beschilderungen führen uns gutes Raten und Instinkt auf die richtige Fährte. Erst als wir in der Ferne am Fuße der schneebedeckten Berge einen rötlichen Schimmer umgeben von weißem Saum aus Salz erkennen, atmen wir erleichtert durch – vor uns liegt die märchenhafte Laguna Colorada (Bunte Lagune). Im spätnachmittäglichen Licht leuchte sie orange-rosa und an die Kolorierungen perfekt angepasst stolzieren unzählige Flamingos anmutig durch das flache Gewässer. Ein berauschender Anblick wie aus einer anderen Welt, in der die Macht der Fantasie regiert... Auch am Folgetag, bereits Tag 6 unseres Abenteuers, können wir uns solcher surrealen Empfindungen nicht erwehren. Wir durchqueren die silolische Wüste, rote weite Sandflächen umgeben von den mächtigen Gebirgszügen, bis wir einen Wald aus Felsen erreichen, die ihre skurrile Gestalt der hartnäckigen jahrhundertelangen Arbeit von Wind und Sand verdanken. In ihrer Mitte thront altehrwürdig der Arbol de Piedra (Baum aus Stein), das Herzstück dieser Naturschönheiten… Eine furchtbar schlechte Piste führt uns zurück in die Härte der Realität. Das Wetter hat sich über Nacht verändert, die befreiende Sonne wird von dichten Wolken überlagert. Über Stock und Stein fühlt sich das Radeln wir ein Humpeln und Fallen an, eine schlaflose Nacht und der ab mittags einsetzende Wind potenzieren die Strapazen. Am Abend schmerzt der gesamte Körper und die Gedanken kreisen unaufhörlich um die drohenden Wolken, die sich auf dieser Höhe nur in Form von Schnee entleeren würden…eine weiter schlechte und schlaflose Nacht… Der Morgen ist trocken, Erleichterung einerseits, völlige Erschöpfung andererseits machen sich breit. Allein die nachfolgenden „Flamingolagunen“ bauen unser Gemüt auf und entlohnen uns für die Beschwerlichkeiten. Hunderte Flamencos waten durch das Wasser, auf der Suche nach Nahrung. Wir befinden, ohne auch nur zu zögern, die anmutigsten und vornehmsten Vögel hier bestaunen zu dürfen. Ähnlich angetan sind die vielzähligen Touristen, die in Jeeps durch die hochandinen Schmuckstücke chauffiert werden, allerdings stellen auch wir für sie offenbar eine gewisse Attraktion dar... Gestärkt von unserer Mittagspause und den magischen Momenten mit den Flamingos beginnen wir den misslichsten Pistenabschnitt der Lagunenroute. Waschbrett von der übelsten Sorte garniert mit riesigen Steinen, verwandeln das Radeln in einen Balanceakt, um nicht abgeworfen zu werden. Nebel umhüllt uns zudem und um alle Bedingungen eines wahrhaftigen Abenteuers zu erfüllen, wirbeln Sturmböen den befürchteten Schnee in unsere vor Kälte geröteten Gesichter…Alles Leid hat irgendwann ein Ende und alle Grausamkeiten werden mit dem Beginn einer ebenen Fahrbahn und sonnigem nächstem Morgen abgegolten… Eine lang ersehnte Abfahrt am Fuße des Vulkans Ollagüe bringt uns auf den Salar de Chiquana – ein erhebendes Gefühl mit rasanter Geschwindigkeit über den ebenen und harten Salzsee brausen zu dürfen und am Ende in San Juan del Rosario mit einem unbeschreiblichen Reichtum an Eindrücken „einzureiten“. Müde, staubig, hungrig, durstig, aber überglücklich und stolz. Nach einem erholsamen Tag im ersten bolivianischen Dörfchen und Salzhotel brechen wir voll der Vorfreude zu einem der Highlights schlechthin auf. Wie zuvor holpern, stolpern und pflügen wir so recht und schlecht dahin, erraten den richtigen Weg mehr, als ihn zu kennen und werden nach einer überraschend lauen Nacht am Morgen von weihnachtlichen Gefühlen übermannt – fünf Zentimeter Neuschnee zieren unseren Vorgarten und Hugos Zinnen. Unsere Freude hält sich in Grenzen, rasch packen wir unsere sieben Sachen um der weiteren drohenden Schlechtwetterfront, die sich bereits schwarz-grau über uns zusammenbraut zu entfliehen. Durchgefroren bis auf die Knochen finden wir Unterschlupf in einem Hotel, ganz und gar aus Natriumchlorid - oder so- erbaut. Mauern, Boden, Bett, Tische, Stühle, alles aus Salzblöcken gefertigt. Am Folgemorgen endlich…trocken, schneefrei und der Himmel ansatzweise blau. Aufgeregt besteigen wir zeitig die Sättel radeln los ins unendliche Weiß des größten Salzsees der Erde, des monumentalen Salar de Uyuni. Keine adequaten Worte können diesen zauberhaften weißen Riesen beschreiben, der von einem Gitter aus hexagonalen Strukturen überzogen ist und nur am fernen Horizont von den schneebedeckten Bergen umrahmt wird. Atemberaubend und zweifelsohne konkurrenzlos. Wir zücken den Kompass, Fahrtrichtung Nord-nach und nach taucht das Tagesziel, die Isla Incahuasi vor uns auf-Hurra, wir liegen Richtig! Die Felsen sind Korallenüberreste, bewachsen von tausend Jahre alten und an die zehn Meter hohen Kakteen und umgeben vom endlos scheinenden Meer aus Salz. Als Radfahrer dürfen wir hier zelten und uns ins Goldene Buch der Ciclistas eintragen, in dem wir die Unterschriften einiger Bekannter wiederfinden. Einen weiteren Tag gleiten wir über das ewige Weiß und erreichen schlussendlich Uyuni, das Ziel einer langen, kräftezehrenden, gewiss jedoch unvergleichlich abenteuerlichen, magischen und unvergesslichen Etappe, die uns den Zauber Boliviens nähergebracht hat…Doch das ist erst der Anfang… Die Mittagssonne steht hoch über uns, eine dichte Glocke aus Smog umhüllt das Meer aus grauen Wohnblöcken und erlaubt uns nur die Silhouette der umliegenden Berglandschaft zu erahnen – wir sind in der Hauptstadt Santiago. Ein Gewusel und Gewirr aus Verkehr und geschäftigen Menschen, aber durchaus auch Ort, um die Annehmlichkeiten einer Metropole in etwas gemütlicherem Ambiente auskosten zu können. Wir erledigen ein paar Einkäufe für Mariposita und El Tigre, verwöhnen uns mit einem romantischen Abendessen und verabschieden uns alsbald, um eine weitaus gefälligere Stadt zu besuchen. Valparaíso, viel besungen (zumindest zweimal) und ein vielversprechend klingender Name…aus der Ferne ein Meer aus bunten, teils windschiefen Häuschen, die sich von den vielen Anhöhen bis an die Küste schmiegen. Aus der Nähe eine köstliche Melange aus authentischem, etwas schmutzig verruchtem Hafenstadt-Flair, Künstlerszene mit imposanten Graffitis sowie Cafés und Bars im Boho Chic. Eine besondere Eigenheit sind die vielen altertümlichen Ascensores (=Aufzüge), die einem das Treppensteigen ersparen und zu wunderbaren Aussichtspunkten über Stadt und Bucht führen. Dieser bunte Schmelztegel beschert uns ein paar entspannte und kunterbunte Tage, bevor wir erneut in die Pedale treten und die Küste entlang (natürlich) nordwärts starten. Vian del Mar, Concon, Zapallar…das sind die Seebäder, die die Reichen und Schönen ansprechen, weniger aber uns. Umso mehr imponiert uns dessen ungeachtet die Küstenstraße, die unbeschreibliche Ausblicke auf den Ozean bietet. In einem eifern wir dann aber doch der Hautevolee nach, auch wir bauen unsere kleine Villa Hugo hoch über dem Pazifik thronend in die Klippen und genießen ein unvergessliches Panorama mit selbstverständlich dazugehörendem Dinner bei Sonnenuntergang. Der Weg führt uns zurück auf die Panamericana, die teils noch die Küste entlang verläuft und uns nach und nach, hügelauf und –ab, in immer kargere Gefilde führt. Die Versorgungsstationen werden rarer, die Landschaft wird geziert von Kakteen, Steinen und malerisch auf den Anhöhen ruhenden Windrädern, die mächtig und doch grazil leise ihre Arbeit verrichten. Über Höhenzüge mit grandiosem Weitblick und durch tiefe Täler bereitet uns die Etappe konditionell und landschaftlich mehr und mehr auf das große vor uns liegende Projekt vor – die Atacamawüste…Doch halt, so weit sind wir noch nicht ganz. Wir verlassen die verkehrsreiche Ruta 5 und biegen in das Valle Rio Hurtado (Hurtado Flusstal) ein. Der Weg schlängelt sich zunächst mit leichter Steigung in das Tal hinein, die Ortschaften bestehen nur noch aus wenigen Lehmhäusern und sind dünn gesät. Gegen Talschluss wird es für uns zunehmend steiler, der Weg holpriger und die Landschaft einfach grandios. Ein fast paradoxer Anblick bietet sich uns – die Ebene sattgrün mit Weingärten, herbstlich gefärbten Pappeln, Zitrusfrüchten und Feigen, die umliegenden Berge komplett karg und steinig. In Serpentinen winden wir uns über einen 2000 Meter hohen Pass und erblicken in der Ferne die ersten Observatorien, die uns allein bei ihrem Anblick Ehrfurcht einhauchen. Auch für Geologen bietet sich ein spannendes Gemälde, der Boden leuchtet in den verschiedensten Farben von grün, gelb bis rot und offenbart auf diese Weise seinen Reichtum an Bodenschätzen…Wir genießen eine eindrucksvolle Abfahrt durch dieses zauberhafte Land und gelangen in das Valle Elqui, wo das Herz des chilenischen Nationalgetränkes gebraut wird, der Pisco. Eine lehrreiche Tour durch die Pisqueria CAPEL mit abschließender Verkostung wollen wir freilich nicht verabsäumen…Zurück Richtung Westen wird das Tal weiter, Papaya-Plantagen und Feigen gestalten die landschaftliche Umrahmung, bis wir wieder an der Küste anlangen und in Coquimbo bei Leonardo und seiner Familie herzlichst aufgenommen und umsorgt werden. Mit ihm beginnen wir die Planung für ein außergewöhnlich spannendes und interessantes Projekt…durch die Wüste zu den Sternen…Cerro Paranal. Vor uns liegen fast tausend Kilometer über zahlreiche Höhenrücken und durch die trockenste Wüste der Erde, die Atacama, die in vielen Teilen noch keinen Tropfen Regen gesehen hat. Täglich gilt es tausend oder mehr Höhenmeter zu bezwingen und Wasser für meist zwei Tage (6-12 Liter/Rad) zusätzlich zu unserem gewöhnlichen „Marschgepäck“ zu schultern. Man möchte meinen, da komme die Einladung eines Camioneros (Lastwagenfahrer) scheinbar genau recht, uns ein paar Kilometer über einen vor uns liegenden Berg zu befördern – dankend lehnen wir ab, wir sind mittlerweile zu wahren ciclo-aventureros (Rad-Abenteurer) avanciert. Wir geben erneut der Küstenstraße den Vorzug, wodurch wir uns Wind, aber auch wunderbare Fernblicke und reizvolle Zeltplätze erkaufen. Es fehlen nur noch wenige Tage bis zum 18.Mai, unserem Besuchertermin in Paranal, die Wüste lässt sich nicht mehr wegdiskutieren und vor uns liegen noch 2600 Höhenmeter bis zum Observatorium. Wir beladen Mariposita und El Tigre mit Proviant für mehrere Tage, 10 Litern Wasser und als Rad-Schwerstverkehr treten wir die letzte Etappe unseres Abenteuers von der Küste weg in Richtung Sierra del Muerto (Gebirgszug des Toten) an. Bei einer Steigung von 9-11% kommen wir rasch ins Schwitzen und Schnaufen, können dafür bis zum Sonnenuntergang auf 1600 Höhenmeter hochklettern. Die Landschaft entlohnt uns für alle Mühen, auf einer Anhöhe mit 360° Rundblick bewundern wir die Mars-ähnliche Umgebung mit den rötlich gestreiften kargen Höhenrücken. Nach einem weiteren Radtag und einer letzten Kletterpartie erspähen wir in der Ferne auf dem „Gipfel“ des Cerro Paranal die silbrig glänzenden Gehäuse, die die kräftigsten Teleskope der Welt – Very Large Telescopes – beherbergen. Nach allen Strapazen und beinahe drei Wochen an Planung ein magischer Moment. Wir nächtigen in unserem Hugo wie in der Kaiserloge, über uns der südliche Sternenhimmel, wie man ihn kaum wo klarer und imposanter bestaunen kann, neben uns der berühmte Nachbar, das Observatorium. Der Morgen der Führung beginnt mit einem Schock – ein hungriger Wüsten- Fuchs hat Maripositas Packtaschen angeknabbert und beinahe sämtliche Vorräte an Keksen, Brot, Feigen – notwendig für die verbleibenden 130 Kilometer bis zur nächsten Versorgungsmöglichkeit- des nächtens vernascht. Man muss uns wohl unseren Kummer angesehen haben, denn Luis, der liebenswürdige Wärter am Portal verwöhnt uns mit Kaffee und Broten und die reiselustige Familie Kain aus Dänemark beschenkt uns reichlich mit Keksen, Nüssen und Cornflakes, die ein sorgenfreies Weiterradeln garantieren. DANKE an alle!!! Die Spannung steigt, im Konvoy werden wir zu den Teleskopen chauffiert. Eines der gigantischen VLTs besichtigen wir von innen - die Spiegel messen 8.5 m im Durchmesser, sind 18 cm dick und wiegen an die 4.5 Tonnen. Jede klare Nacht wird observiert und ein riesiges Team an Astronomen, Ingenieuren und Technikern steckt hinter dem Zauber dieser Forschungseinrichtung. Ein gewaltiger Anblick, sowohl das Teleskop, wie auch die gesamte Plattform, die im Licht der Sonne majestätisch erhaben leuchtet. Den ganzen Abend begleitet uns der Zauber des Tages und wird geziert durch die Gestirne des unermesslichen Kosmos, der uns umgibt. Problemlos gelangen wir in die nächste Stadt, um Wegzehrung für den nächsten Abschnitt ostwärts zu besorgen. Es geht über den Wendekreis des Steinbockes endgültig in die Tropen, was wir mit einem Mango Cocktail gebührend feiern, und der weitere Pfad entführt uns ein Stück in die Vergangenheit. So zum Beispiel in dem kleinen Örtchen Baquedano, wo antike Lokomotiven und Waggons staubig in der Remise abgestellt sind, als würden sie jeden Moment losdampfen. Der Wind heult durch die umgebenden Bretterbuden und für das komplette Wild West Feeling fehlt nur noch ein Mundharmonika Ständchen und ein paar Cowboys, die in weitem Bogen aus dem Saloon fliegen. Sehr spannend…Weiter entlang der Panamericana erreichen wir Chacabuco. Es beginnt eine Zeitreise, als im Norden Chiles der Abbau von Salpeter Reichtum brachte. Heute ist die einstige Salitrera eine Geisterstadt. Anfang des 20. Jahrhunderts arbeiteten, lebten und starben hier die Minenarbeiter. Es gab Theater, Schule, Sportanlagen, Krankenhaus, Bäcker und einen Laden und ein gesamtes Arbeiterleben spielte sich auf wenigen Hektaren innerhalb der Mauern der sogenannten “Oficinas“ ab. Um uns in diese Welt hineinversetzen zu können, bleiben uns ein paar Sepia-farbene Fotos und die wenigen Gemäuer, an denen der Zahn der Zeit durch Wind, Sand und Sonne seine erbarmungslosen Spuren hinterlassen hat. Dank Jose, dem Aufseher, dürfen wir die Nacht inmitten dieser geschichtsträchtigen Mauern verbringen und können intensiv die Aura vergangener Tage erahnen…Der Rest bleibt Schweigen… Bis Calama folgt eine Salitrera der nächsten bis die verlassenen Minen früherer Tage dem modernen Minenbetrieb weichen. Der gesamte Norden des Landes stellt einen schier unerschöpflichen Pool an Bodenschätzen dar, allen voran Kupfer. Nahe Calama besichtigen wir die weltweit größte Tagebau Kupfermine Chuquicamata. Die Tour führt zunächst in die gleichnamige Stadt, die vor mehr als 5 Jahren vollständig geräumt wurde, da die Kupfervorkommen zu nahe an die Siedlung heranreichten und mittlerweile einige Wohnhäuser inklusive dem einst städtischen Krankenhaus unter dem Schutt der Mine begraben liegen. Nachfolgend werden wir zum Mirador chauffiert…vor uns erstreckt sich ein 5x3 Kilometer großes, 1 Kilometer tiefes Loch, in dem es „kreucht und fleucht“ wie in einem Ameisenhaufen. Unerschöpflich arbeiten die kolossalen Trucks, um täglich mehrere hundert Tonnen Rohmaterial für die Kupfergewinnung abzubauen. Seit nahezu hundert Jahren liefert Chuqicamata Reichtum in Form dieses wertvollen Metalls und ein Auskommen für zumindest weitere 50 Jahre (ein weiterer Kilometer Tiefe) scheint garantiert zu sein. Obgleich skeptisch gegenüber diesem „Raubbau“ sind wir dennoch mächtig beeindruckt. Unsere letzte chilenische Etappe führt uns über den 3400 Meter hohen Paso Barros Arana in die Wüstenoase San Pedro de Atacama. Die Nacht auf nahezu Passhöhe beträgt bereits einige Minus-Grade, wir schlafen in Daunenjacken und finden am Morgen das Wasser in unseren Flaschen gefroren…reines Training für das bolivianische Altiplano. Der Morgen dafür in doppelter Hinsicht lohnend – seit über zwei Monaten treffen wir das erste Mal wieder auf „KollegInnen“ auf dem Rad, zum anderen eröffnet sich nach der Passhöhe der mächtige und zutiefst beeindruckende Anden-Gebirgszug mit seinen schneebedeckten Gipfeln und Vulkanen. Wir sind zutiefst ergriffen und können uns vor Verzückung und Freude, ob dieser ungeahnt malerischen Landschaft kaum halten. Den krönenden Abschluss des Tages bildet das Valle de la Luna (Tal des Mondes), tief rote Hügel und Krater mit einer weißlich schimmernden Salzkruste, die im Licht der untergehenden Sonne ein unbeschreiblichen und magischen Anblick bieten! Wir verbringen die Nacht am Aussichtspunkt, genießen den Anblick nochmals früh am Morgen und legen dann die letzten 10 Kilometer in die Oase zurück – unser letztes Ziel in Chile. Hinter uns liegen mehr als 6100 Gesamtkilometer, 102 reine Fahr-Tage (Tage nur auf den Bikes, die Pausen nicht eingerechnet), unbeschreibliche Erlebnisse, Landschaften und Begegnungen…aber auch mehr als 35 Kilogramm Pasta, 15 Kilogramm Haferflocken, 400 Brötchen und wohl an die 200 Liter Kaffee J Alles in allem unvergessliche Tage in Argentinien und Chile, macht also Lust auf mehr…vor uns liegt Bolivien und eine besonders anspruchsvolle Radstrecke – die Lagunenroute…doch mehr dazu in Kürze…. Tag für Tag füllen wir die große Landkarte Südamerikas wie ein Ausmalbild, das wir von Süd nach Nord bunt mit Erlebnissen, Eindrücken und Begegnungen bemalen. Standort aktuell ist seit wenigen Stunden Santiago, wir verzeichnen bereits 4.152 Kilometer und 39.408 Höhenmeter und hinter jenen abstrakten Zahlen verbergen sich viel Anstrengung und Schweiß, viel mehr noch jedoch Geschichten und Anekdoten, an denen wir euch ein wenig teilhaben lassen wollen. Versetzt euch mit uns in die bezaubernde Seenlandschaft m Süden Chiles und Argentiniens. Geschmeidige Hügel mit großzügigen Wiesen, alten Baumbeständen, stolzen Gehöften und Estancias und unzählig viele Seen, einer blauer und malerischer als der andere, zieren die Landschaft. Beim ersten Schild, das groß „Kuchen“ anbietet oder bei einem Hotel namens „Tante Puppe“ blicken wir noch verwundert zurück, fast fühlen wir uns ein wenig nach Hause zurück befördert, deutsche Siedler haben eben die Gegend in ihrem Sinne geprägt – ordentliche, saubere und aufgeräumte Anwesen, Kuchen und deutsches Bier, schön gemähter Rasen…wären nicht am Horizont die ersten schneebedeckten Vulkankegel, die wie wir später erfahren nicht alle ganz unschuldig sind. Ein letztes mal nähern wir uns langsam wieder Argentinien, das uns ebenfalls mit seinen Seen noch einmal zu einem Kurzbesuch einlädt. Zwischen uns und der argentinischen Schweiz liegt der moderate 1.305 m hohe Paso Cardenal A. Samore. Das Schmalz in den Wadln passt an diesem Tag, wir checken in Chile aus, fahren noch ein paar Meter in Serpentinen den Pass rauf und beschließen nach 1.100 Höhenmeter und 73 km an jenem Tag unser „ReHugio“ am Straßenrand einzurichten. Es folgt ein reichhaltiges Maisrisotto, die Gitarre wird ausgepackt, ein grünweißes Auto fährt langsam vor. Die Carabineros de Chile, Ordnungswächter, gewöhnlich wahrlich Freunde und Helfer, teilen uns mit, dass auf dem Pass, im Zwischengrenzland das campieren streng verboten sei. Ob der fortgeschrittenen Stunde (19 .00) macht man uns ein unmoralisches Angebot, nämlich uns per Pickup die restlichen 600 Höhenmeter den Pass hinaufzubefördern, sodass wir nur noch eine 17 km Abfahrt zum argentinischen Grenzposten vor uns hätten. Was für ein Oferta, das wir nach einiger Überredungskunst ausschlagen können und müssen…schummeln geht einfach gar nicht. Hugo wird abgebaut, die Räder gesattelt und um 20.00 h in der beginnenden Dämmerung machen wir uns das zweite Mal an diesem Tag auf den Weg. Langsam umgibt uns die Dunkelheit, kaum können wir noch erkennen, dass Wald und Straßengraben teils meterhoch mit Asche gefüllt sind – Relikte eines Vulkanausbruches 2011, mysteriös und unheimlich, zumal uns auch der Nebel nahe der Passhöhe umschmeichelt. Die Kälte der Nacht gesellt sich hinzu und als wir gegen 22 Uhr endlich die höchste Stelle erreicht haben, liegen vor uns noch immer 17 km bis zum Grenzposten. Eine weitere Stunde quälen wir uns mit der Stirnlampe bewaffnet die Straße entlang, bis wir endlich die Lichter des argentinischen erblicken. Völlig geschafft klopfen wir an die Tür der Grenzpolizei. Man erwartet uns bereits, Chile hat Argentinien sozusagen informiert über unsere späte Ankunft. Zu müde, um nur einen Meter zurück zu radeln, um uns des nachts den Einreisestempel abzuholen, biwakieren wir zum zweiten Mal, beinahe noch an Ort und Stelle, drei Schritt vor der polizeilichen Haustür neben einer kleinen Lagune. Der Schlaf ereilt uns beinahe im Stehen an diesem „Tag der drei Rekorde“, wie er in unsere Annalen eingehen wird. Acht Stunden 50 Minuten im Sattel, 1858 Höhenmeter und 104 Kilometer, alle drei noch einmal im Rahmen einer Etappe zu toppen werden wir kaum mehr schaffen. Soweit, so gut, Ostern steht vor der Tür, dem Osterhasen haben wir genug Gründe für ein prall gefülltes Osternest geliefert, wir befinden uns am Lago Nahuel Huapi in Villa La Angostura. Fleisch und Schokolade sind die Themen der folgenden Tage, bevor wir uns zurück auf die Straße wagen und die bei In- und Ausländern beliebte Ruta de Siete Lagos befahren. Ein kleiner malerischer See folgt dem nächsten und am letzten der sieben, vor San Martin de Los Andes legen wir noch einmal einen Urlaubstag ein, bevor wir über den Paso Hua Hum überqueren und somit Argentinien zumindest für diese Reise wohl hinter uns lassen müssen. Ade Steak, ade Malbec, ade Facturas – es war uns eine Ehre. Argentinien ist Vergangenheit, die Seen nicht. Noch gilt es die chilenische Seite dieses anmutigen Landstriches abzugrasen und zu genießen. Das Wetter spielt nun nicht mehr immer in angenehmen Dur- Tönen, ein bisschen Moll, heißt Regen und Feuchtigkeit müssen wir ob der fortgeschrittenen Jahreszeit hinnehmen. Macht nix wäre gelogen, macht zum Teil etwas - hat aber auch seine Vorteile, trifft es hingegen schon eher. Der Vorteil liegt eindeutig in den kreativen Schlafplätzen die wir so erlangen. Da wäre zu nennen ein Wartesaal an einer Bootsanlegestelle und einiges mehr, worauf wir noch zu sprechen kommen. Das Seenland endet für uns in Villarrica, ein beschauliches kleines Städtchen am Fuße des gleichnamigen Vulkans, der zu den aktivsten Chiles zählt und manchmal mit einer Säule aus Rauch und Lava für Furore sorgt, ein Schauspiel, das er uns verweigert. Genug der Seen, genug des Regens, genug des Südens, wir wollen endlich in den Norden, in die Sonne, in die Wärme, dorthin wo Wein anstatt von Milch und Honig fließt, in das nah und fern bekannte Valle Central. Nach Adam Riese ist der schnellste Weg dahin die Autobahn – ja, ganz recht, ganz recht, auch für uns Radfahrer. Dazu sei folgendes vorausgeschickt: Ruta 5, das ist DIE Panamericana, das ist auch Autobahn und in diesem Abschnitt die direkteste Süd-Nord Verbindung. Man glaubt es kaum, aber auf dem Pannenstreifen fühlen wir uns sicherer als auf mancher lokalen Straße und zudem scheinen wir gern gesehene Gäste zu sein, zumindest dem fröhlichen Gehupe und Gewinke der Lastwagenfahrer nach zu urteilen. An das Kuriositäten-Dasein sind wir seit den manchmal unfreiwilligen Fotoshootings an der argentinischen Ruta de Siete Lagos ohnehin gewöhnt. Wie dem auch sei, rasch machen wir Fortschritte auf der Landkarte, was sich auf dieser als langer Strich und im echten Leben als deutliche Zunahme der Temperaturen bemerkbar macht. Entsprechend erspähen wir mehr und mehr Obstplantagen in dem sich vor uns öffnenden Valle Central - Äpfel, Kiwi, Haselnüsse und bald vor uns ein im Licht der Sonne gelb-rötlich schimmernder Weingarten. Wer könnte hier, im Herzen des Weinbaus, einem Gläschen Cabernet Sauvignon oder gar einem Carmenere widerstehen? Wir dürfen uns besonders glücklich schätzen, in den Besitzern der Vina Los Acantos treffen wir auf ausgesprochen liebenswürdige ältere Herrschaften, die uns Sonntag nachmittags auf Kaffee und Schokolade einladen, eine Flasche Wein schenken und uns in einem ihrer Weingärten übernachten lassen – das sind unsere magischen Momente…außergewöhnliche Schlafplätze, wohlwollende und interessierte Menschen…fast täglich dürfen wir uns in dieser Hinsicht höchst glücklich schätzen, mal campieren wir in einem Schwimmbad neben der Panamericana, zweimal nächtigen wir einem unbewohnten Haus, bekommen Schlüssel, Essen und warme Dusche, wieder ein andermal dürfen wir uns Gäste im Garten der Carabineros de Chile nennen – ganz recht, erneut lernen wir kennen wie Polizisten sein sollen und können, unsere Freunde und Helfer. Allen voran sei jedoch unser Radfreund Leo erwähnt, bei dem wir drei Tage in Talca übernachten dürfen, der uns mit Frühstück verwöhnt und die Gegend zeigt und erklärt. Wir treffen Anna und Magdalena, herrlich nach so langer Zeit auf Reisen mit den beiden ein bisschen Zeit zu verbringen und einen Teil unseres Abenteuers mit ihnen zu teilen. Alle gemeinsam besuchen wir die Vina San Pedro, zweitgrößter Weinproduzent Chiles – vor uns erstrecken sich 1.200 Hektar Weinbau, eine spannende Tour durch Weingärten, Keller und gustatorisch durch die lokalen Klassiker Carmenere und Chardonnay. Schwer fällt der Abschied, doch es zieht uns nordwärts, die Hauptstadt und Metropole Santiago de Chile wartet – wartet auf uns…in diesem Sinne verabschieden wir uns aus diesem Kapitel, wir wollen doch eine Stadt von Welt nicht zu lange warten lassen :-) |
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November 2014
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